Bad Segeberg. Von 1988 bis 1991 verkörperte der Franzose in Bad Segeberg Winnetou – und sorgte für Zuschauerrekorde und volle Kassen.
An die Stimme mussten sich die Zuschauer erst gewöhnen: Winnetou, der smarte Häuptling der Apachen, mit französischem Akzent: „Isch abbe nur oinen Froind“! Old Shatterhand nämlich. Karl May hatte das wohl anders im Kopf gehabt, als er seine berühmten Indianerromane schrieb. Aber dieser französische Baron war damals die pure Verkörperung Winnetous – und ist es bis zu seinem Tod am vergangenen Wochenende geblieben.
In Bad Segeberg konnten die Zuschauer den Schauspieler Pierre Brice sozusagen ganzheitlich bewundern: Von 1988 bis 1991 verkörperte er Winnetou im wahrsten Sinne des Wortes am Segeberger Kalkberg. Die Verpflichtung des damals schon in die Jahre gekommenen Schauspielers wurde von vielen zunächst als Risiko eingestuft. Denn 1987, als der damalige Geschäftsführer Ernst Reher zusammen mit dem neuen Intendanten Peter Hick, dem Presseagenten Wolfgang Spahr und dem Kalkberg-Vorsitzenden Uwe Menke nach Wien reiste, um Kontakt aufzunehmen, galt Pierre Brice als abgetakelter Star, der vorher in der sauerländischen Provinz bei den Karl-May-Spielen in Elspe den Winnetou gespielt hatte und nun mit einer selbst inszenierten Karl-May-Revue durch die Lande tingelte. „Aber unsere Rechnung ging voll auf“, sagt Ernst Reher, der bis 1999 Geschäftsführer der Kalkberg GmbH war. „Wenn wir Pierre Brice damals nicht geholt hätten, würde es die Spiele heute vielleicht nicht mehr geben.“
100.000 Zuschauer mehr als im Vorjahr
Denn die Karl-May-Spiele hatten an Glanz eingebüßt. Unter Klaus-Hagen Latwesen, Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person, hatte es zwar einen Aufschwung gegeben, doch die Zuschauerzahlen stagnierten und waren schon wieder rückläufig. Pierre Brice sollte es also richten.
Und er schaffte es: Eine bisher nie dagewesene mediale Aufmerksamkeit sorgte für einen Ansturm auf die Karten. In der ersten Saison kamen bereits 100.000 Zuschauer mehr als im Jahr zuvor, um sich den Kino-Helden in „Winnetou – der Apache“ anzusehen. Ein Stück übrigens, das aus der Feder des Franzosen stammte und ihm zusätzliche Einnahmen bescherte. Die Inszenierung des rumänischen Filmregisseurs Sergiu Nicolaescu setzte damals Maßstäbe, die bis heute gelten.
Über die Höhe der Gage sprechen Ernst Reher und Peter Hick bis heute nicht gerne: Ja, Pierre Brice habe gutes Geld verdient, aber er sei die Gage auch wert gewesen. Er hatte es selbst in der Hand, seine Fixgage aufzubessern: Ab 160.000 zahlenden Zuschauern verdiente Pierre hinzu. Bei rund 250.000 Besuchern, die in der ersten Saison kamen, erspielte er sich ein nettes Einkommen.
Zwar wurde in der vergangenen Karl-May-Saison mit 329.000 Besuchern ein offizieller Rekord erreicht, aber der wahre Zuschauerrekord wurde 1991, in der tränenreichen Abschiedssaison, aufgestellt: Rund 317.000 zahlende Gäste wurden gezählt – allerdings in nur 57 Vorstellungen. Heute stehen 72 Vorstellungen auf dem Plan. „Wenn wir das auf den heutigen Stand hochrechnen, wären damals über 400.000 Besucher gekommen“, sagt Peter Hick, der heute als Intendant der Ralswieker Störtebeker-Festspiele tatsächlich die Zahl von 400.000 Besuchern erreicht. „Für uns war Pierre Brice damals ein richtiger Glücksfall“, erinnert sich Ernst Reher, der ganz in der Nähe des Freilichttheaters am Kalkberg wohnt und das Karl-May-Geschehen noch heute sehr aufmerksam verfolgt. Wie übrigens auch Peter Hick, der sich die Segeberger Inszenierungen jedes Jahr gerne wieder ansieht und häufig sogar mit seinem ganzen Ensemble anreist, um zu sehen, was an seiner ehemaligen Wirkungsstätte – Hick war vor seiner Intendantenzeit auch als Darsteller am Kalkberg aktiv – geboten wird.
Extra-Rolle für Hella Brice
An Pierre Brice haben beide, Reher und Hick, heute noch gute Erinnerungen. „Er wurde von seinen Schauspielerkollegen voll und ganz akzeptiert“, sagt Ernst Reher, der dafür sorgte, dass der französische Star und seine deutsche Frau Hella entweder in Bad Segeberg direkt oder in der näheren Umgebung während der Saison ein Haus beziehen konnten. Auf der Hinterbühne hatte Pierre Brice die Chance, sich zwischen den Vorstellungen in einen Wohnwagen zurückzuziehen, um sich zu erholen. Denn die Garderoben lagen damals noch an der Oberbergstraße in der Nachbarschaft des Freilichttheaters. Erst die hohen Zuschauerzahlen während der Pierre-Brice-Ära ermöglichten es der Kalkberg GmbH, sechs Millionen Mark für den Ausbau der Hinterbühne auszugeben. Vom damaligen Engagement des Starschauspielers profitieren die Schauspieler also heute noch. Für Hella Brice wurde übrigens im zweiten Brice-Jahr extra eine Rolle in das Stück „Der Schatz im Silbersee“ hineingeschrieben.
1989 legten die Zuschauerzahlen noch einmal um 10.000 zu. Der Kontakt zwischen Schauspielern, Schaulustigen und Fans war damals noch enger. Peter Hick erinnert sich: „Die Schauspieler mussten von der Garderobe über die Straße zur Bühne und wurden oft von Autogrammjägern aufgehalten. Pierre Brice musste pausenlos Autogramme geben, aber er entledigte sich dieser Aufgabe mit viel Geduld und viel Charme.“ Überhaupt schwärmt der damalige Intendant noch heute von Pierre Brice: „Er hat eine große Ruhe ausgestrahlt und war ganz einfach der Winnetou schlechthin.“ Den französischen Akzent seines Hauptdarsteller war für Peter Hick überhaupt kein Problem – eher im Gegenteil: Die Stimme habe sehr gut zur Rolle gepasst und hätte seiner Ansicht nach vermutlich auch den Karl-May-Filmen von früher gut getan.
Rückkehr als Regisseur 1999
Hick konnte übrigens 1991 mit einem besonderen Coups aufwarten: Er engagierte den Berliner Schauspieler Ralf Wolter für die Rolle des Sam Hawkins. Damit war das Filmpaar von einst wieder vereint: Wolter hatte an der Seite von Pierre Brice und Lex Barker in fünf Filmen den Sam Hawkins gespielt.
Peter Hick hatte zuletzt vor etwa vier Jahren Kontakt zu Pierre Brice, als dieser auf Rügen war, um aus seiner Autobiografie zu lesen. Das Fernsehen filmte im Reitstall der Familie Hick. Ernst Reher hingegen traf Pierre Brice bereits 1999 wieder. Denn damals kehrte der Franzose zurück an den Kalkberg, um als Regisseur das Karl-May-Stück „Halbblut“ zu inszenieren. Als Winnetou war längst Gojko Mitic fest im Sattel, als Gaststar konnte Elke Sommer verpflichtet werden.
Auch der Regisseur Pierre Brice hatte alle Fäden fest in der Hand. Und er bewies viel Umsicht: Eigentlich war seine Arbeit längst beendet, als er von seinem Landsitz bei Paris wieder nach Bad Segeberg eilen mussten, weil ein Feuer einen großen Teil der Kulissen zerstört hatte. Brice schaffte es, die Inszenierung innerhalb von 44 Stunden umzustellen. Am Donnerstag, dem nächsten Vorstellungstag, lief alles wie am Schnürchen. „Es ist damals keine einzige Vorstellung ausgefallen“, sagt Ernst Reher, der vor dieser Leistung des Regisseurs und seines Ensembles heute immer noch Hochachtung hat. Pierre Brice adelte den Geschäftsführer der Kalkberg GmbH, der diesen Job übrigens viele Jahre neben seiner eigentlichen Tätigkeit als büroleitender Beamter der Stadtverwaltung ausübte, auf seine Weise: Als Ernst Reher 1999 verabschiedet wurde, bot Brice ihm das Du an. „,Ich heiße Pierre’ hat er zu mir gesagt“, erinnert sich Ernst Reher heute noch mit großer Freude an dieses Ereignis. getroffen haben sich die beiden dann nicht mehr. Aber zwischen Peter Hick und Ernst Reher bestehen heute noch freundschaftliche Bande.