Die Arbeiterwohlfahrt bietet umfassende Hilfe für alle, die im finanziellen Abseits stehen. Die Diakonie betreut die Privatinsolvenzverfahren. Das Modell ist in Schleswig-Holstein einzigartig.
Norderstedt. Wenn die Schulden sich haushoch türmen, wenn der Dispo überreizt und die Kreditwürdigkeit aufgebraucht ist, dann wird der Druck auf die Seele unerträglich. „Manche Schuldner leben jahrelang mit dem Selbstverständnis, dass ihnen niemand helfen kann“, sagt Andreas Ruth. „Diesen Druck ertragen sie so lange, bis sie komplett ins Schlingern geraten, bis die Gesundheit beeinträchtigt wird oder sie beinahe das Dach über dem Kopf verlieren.“ Erst dann und sehr spät wagen sie den Schritt zur Schuldnerberatung. Und lernen, dass am Ende des Tunnels auch wieder Licht kommt.
In Norderstedt leitet Andreas Ruth von der Arbeiterwohlfahrt seit dem 1. Januar die neue Schuldnerberatung am Friedrichsgaber Weg 370. Gemeinsam mit den Beraterinnen Jennifer Schröder und Daniela Thran ist Ruth der Ansprechpartner für die sogenannte soziale Schuldnerberatung. Ab sofort erfahren hier alle Menschen Hilfe, die im finanziellen Desaster gelandet sind, deren Alltag aus den Fugen geraten ist und die nicht mehr wissen, wie sie den Kühlschrank voll bekommen sollen.
Geldgeber des Beratungsangebotes ist der Kreis Segeberg. „Wir haben die Schuldnerberatung in Norderstedt neu aufgestellt und mit der Awo einen neuen Träger gewonnen“, sagt Jörn Giesecke vom Fachdienst Soziale Sicherung. Das neue Beratungs-Modell ist wohl in Schleswig-Holstein einzigartig. Bislang wurde die komplette Schuldnerberatung bei der diakonischen Beratungsstelle an der Ochsenzoller Straße gestemmt. Diese kümmert sich ab sofort ausschließlich um die privaten Insolvenzverfahren und damit um die Menschen, die die ersten Schritte in die Entschuldung bereits gegangen sind. Der Kreis hingegen steckt seinen gesetzlich vorgeschriebenen Finanzierungsanteil für Maßnahmen, die Menschen wieder für den Arbeitsmarkt stabilisieren sollen, in die neue Schuldnerberatung. Der ganzheitlichen und aufwendigen Beratung von Schuldnern soll so mehr Raum gegeben werden.
In Norderstedt sei die Situation auf einem seit Jahren gleichbleibenden Niveau. Gerechnet wird mit etwa 645 Beratungskontakten im Jahr. Unter den betroffenen sind tendenziell immer mehr alten Menschen, die aufgrund geringer Renten Hauskredite nicht mehr abbezahlen können oder durch den Tod des Lebenspartners nicht mehr über die Runden kommen. Ein Hauptgrund für die Verschuldung sei die „Bankenfalle“, wie Andreas Ruth sagt. Also Schuldner, die ihren Lebensstil auf Pump finanziert, den Dispo krass überzogen haben und Kredite nicht mehr bedienen können. Dazu kommen Trennung oder Jobverlust. „Wir beobachten zunehmend Menschen, die aufgrund von Krankheiten, etwa psychischen Probleme, in Schwierigkeiten geraten“, sagt Daniela Thran. „Um die Menschen ganzheitlich zu beraten, müssen wir die komplette familiäre Situation erfassen.“
Ein fast schon therapeutischer Ansatz. „Wir haben es ja immer mit einem hohen Maß an Halbwissen bei unseren Kunden zu tun“, sagt Thran. „Da bedienen Schuldner ihre Kredite mit viel zu hohen Raten und können den Kindern nicht mehr das Milchgeld für die Schule geben.“ Erst in der Beratung erfahren die verzweifelten Menschen, dass sie sofort aufhören können mit der Ratenzahlung, wenn das Existenzminimum gefährdet ist. „Kinder leiden besonders unter Armut. Alle Studien zeigen deutlich, wie negativ sich die Situation auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. Deswegen versuchen wir immer, dass so viel Geld wie möglich bei den Kindern bleibt“, sagt Daniela Thran. Andreas Ruth erzählt von einer verschuldeten Arbeitslosen, die sich einen Job an der Supermarktkasse organisiert und ihre beiden Kinder in einer Betreuung untergebracht hatte. „Dann dachte sie: Warum soll ich arbeiten? Wird doch sowieso gepfändet. Dabei bleiben ihre 1200 Euro Verdienst völlig unberührt.“ Es seien Aha-Erlebnisse wie diese, über die Schuldner den Weg aus der eingebildeten Ausweglosigkeit finden.
Am Anfang der Schuldnerberatung steht die Existenzsicherung, dann wird begonnen, Ordnung ins persönliche Chaos zu bringen. Mit den Schuldnern werden Ratenzahlungen vereinbart, die Betroffenen werden im sozialen Netzwerk Norderstedts zu anderen Hilfsangeboten weitervermittelt, etwa zur Suchthilfe, medizinisch-psychiatrischen Hilfe oder zur Familienhilfe. Am Ende übernimmt die Diakonie und begleitet die Schuldner durch das Privatinsolvenzverfahren.
Eng ist die Zusammenarbeit mit den Jobcentern der Stadt. „Wir wollen in Zukunft auch Beratungsangebote direkt in den Jobcentern anbieten, etwa Vorträge“, sagt Andreas Ruth. Es sei bedauernswert, dass viele Menschen erst sehr spät den Schritt in die Beratung suchen. „Manchmal erleben wir, wie ein Schuldner schon nach einem ersten klärenden Gespräch bei uns wieder mit geradem Rückgrat aus der Tür geht, durch die er vorher gebeugt gekommen war.“
Die Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt am Friedrichsgaber Weg 370 ist telefonisch unter 040/533099800 zu erreichen (werktags 9 bis 13 Uhr). Eine offene Sprechstunde ohne Voranmeldung gibt es donnerstags von 14 bis 16 Uhr.