Die SPD hat die Einführung von Prepaid-Stromzählern für Norderstedt beantragt. Ein für sozial schwache Strom-Kunden freiwilliges Angebot, das den Weg aus der Energie-Schuldenfalle weisen soll.
Norderstedt. Die Energiearmut – ein Phänomen, das längst nicht mehr nur am Rand der Gesellschaft zu beobachten ist. Geringverdiener, Selbstständige mit unregelmäßigem Einkommen, Kleinunternehmer, Rentner, Hartz-IV-Empfänger – über 600.000 Haushalte in Deutschland kämpfen regelmäßig mit der Begleichung der Stromrechnung. Und über 300.000-mal im Jahr erfolglos, denn so viele Stromsperren zählt die Bundesnetzagentur.
Steigende Energiekosten fressen auch in Norderstedt immer größere Teile des knappen Monatsbudgets vieler Bürger. Die Norderstedter Stadtwerke verzeichnen derzeit Außenstände in Höhe von etwa 300.000 Euro. „Menschen mit geringem Einkommen befinden sich da in einer Schuldenspirale mit Abwärtssog“, sagt der SPD-Stadtvertreter Nicolai Steinhau-Kühl. Während sich die Schulden durch nicht beglichene Stromrechnungen anhäuften, kämen bei Stromsperren zusätzlich noch die Kosten von je 100 Euro für das Ab- und wieder Anschalten obendrauf.
Mit Haustechnik will die SPD in Norderstedt diese Schuldenspirale stoppen. Im Stadtwerkeausschuss wird Steinhau-Kühl die Einführung von Vorkasse-Stromzählern in der Stadt beantragen, sogenannten Prepaid-Metern, wie sie im europäischen Ausland, besonders in Großbritannien, schon seit vielen Jahren üblich sind. Der Stromkunde kauft je nach Budget Strom-Prepaidkarten beim Stromanbieter oder am Kiosk, steckt sie in seinen Stromzähler und verbraucht das Guthaben.
„Wir glauben, dass dies ein Weg ist, um aus der Energie-Schuldenfalle heraus zu kommen“, sagt Steinhau-Kühl. Der Nutzer hätte die Chance, sein Budget zu kontrollieren, er könnte keine Schuldenberge mehr anhäufen, Stromsperren wären nicht mehr nötig, die Kosten dafür entfielen. Die Einführung der Zähler sei im Sinne des „mitmenschlichen Umgangs“ gedacht, so Steinhau-Kühl. „Auch wenn der Prepaid-Stromzähler im Keller durchaus stigmatisieren kann. Allerdings ist es in der Nachbarschaft in der Regel auch schnell bekannt, wenn bei jemandem der Strom abgeschaltet wurde“, sagt Steinhau-Kühl.
Die SPD will laut ihrem Antrag in einem ersten Schritt Vorkasse-Zähler bis Jahresende in den Notunterkünften der Stadt einbauen lassen. Bis Mitte 2015 soll die Stadt weitere 50 Stück der Zähler für betroffene Haushalte in Norderstedt anschaffen. Eingebaut werden sollen die Zähler allerdings nur, wenn die Betroffenen das wünschen. „Die Verbreitung von Prepaid-Zählern in Deutschland ist ein Ziel im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Bund. Das wollen wir jetzt auf lokaler Ebene umsetzen“, sagt Steinhau-Kühl. Er rechnet deshalb auch mit einer Mehrheit für seinen Antrag im Ausschuss. Für Theo Weirich, Werkleiter der Norderstedter Stadtwerke, sind Prepaid-Meter eine „gute Idee, die ausgereift werden müsste“. Technisch seien sie kein Problem. Denkbar sei auch, die von den Stadtwerken favorisierten Smart-Stromzähler mit einer Prepaid-Funktion auszustatten. „Das Problem ist eher, dass wir in Deutschland eine andere Kultur haben“, sagt Weirich. Das Abschalten von Strom sei die Ultima Ratio und komme in Norderstedt selten vor. Die meisten säumigen Stromkunden würden Ratenzahlungen leisten, nur bei etwa zehn Prozent der Schuldner ließen sich die Außenstände nicht eintreiben. „Es ist eine überschaubare Gruppe von Kunden, für die die Zähler interessant sein könnten“, sagt Weirich.
Probleme bereitet eher die Tatsache, dass in Mehrfamilienhäusern die Zähler in verschlossenen Kellern hängen und die Prepaid-Kunden da nur schlecht rankommen könnten. „Außerdem ist es nicht ungefährlich, wenn der Strom einfach so ausgeht, etwa während das Essen auf dem Herd steht oder die Waschmaschine sich dreht“, sagt Weirich.
Auf Kritik stoßen die Prepaid-Zähler bei der Verbraucherzentrale und den Linken. Miro Berbig, Fraktionschef der Linken in Norderstedt: „Die Geräte lösen die Abrechnungsprobleme der Stadtwerke. Aber nicht die Zahlungsschwierigkeiten der Geringverdiener.“ Wer zwei Kinder und kein Geld habe, sei trotzdem darauf angewiesen, dass sich die Waschmaschine dreht. „Die Energieprobleme müssen individuell gelöst werden, da kann man nicht mit dem Rasenmäher drüber“, sagt Berbig. Er plädiert für Sozialtarife, kombiniert mit Energiespar-Geräten und dem Angebot der Hilfe beim Sparen von Strom.
Juristin Julia Buchweitz von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein kritisiert die Einschränkung der Verbraucherrechte durch die Zähler. „Wenn das Guthaben aufgebraucht ist, sitzt man direkt im Dunkeln.“ Stromsperre hingegen müssten vom Versorger vier Wochen im Voraus und dann noch einmal drei Tage vor der Abschaltung angekündigt werden. Damit hätten Betroffene noch Zeit zu reagieren, etwa Ratenzahlung zu vereinbaren oder den Anbieter zu wechseln. Hartz-IV-Empfänger könnten eine Abtretung unterschreiben und die Stromrechnung vom Amt überweisen lassen oder eine Härtefallregelung nutzen, wenn kleine Kinder in der Wohnung leben. Julia Buchweitz: „All das gibt es bei der Prepaid-Karte nicht.“
Die Prepaid-Stromzähler werden in der Sitzung des Stadtwerkeausschusses am Mittwoch, 26. November, von 18.15 Uhr an im Sitzungsraum 1 der Stadtwerke an der Heidbergstraße 101–11 öffentlich diskutiert.