Pädagogen protestieren am 3. Juni gegen die geplante Erhöhung der Arbeitszeit. Das Maß ist voll, sagt die GEW.
Kreis Segeberg. Die Lehrer in Schleswig-Holstein werden erstmals streiken. Am 3. Juni wollen die Pädagogen landesweit die Arbeit niederlegen, ein Schwerpunkt der Protestaktionen wird Norderstedt sein. Das kündigt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an. Mit der Arbeitsniederlegung wollen die Pädagogen gegen die Pläne von Schleswig-Holsteins Bildungsminister Ekkehard Klug (FDP) protestieren. Klug will die Wochenarbeitszeit der Lehrer erhöhen. Die Gymnasiallehrer sollen künftig 25,5 statt 24,5 Stunden pro Woche unterrichten.
Der Minister will damit die Ausweitung des Unterrichtsangebotes finanzieren. Künftig sollen Schüler an den Gymnasien in acht oder neun Jahren Abitur machen können. Zurzeit gibt es nur das "Turbo-Abitur", die neunjährige Schulzeit bis zum gymnasialen Abschluss blieb den Gemeinschaftsschulen vorbehalten. Klug, der die Neuerungen bei einer Tour durchs Land vorgestellt hat, verweist auf den desolaten Landeshaushalt: Der lasse keine andere Lösung zu als die Erhöhung der Pflichtstundenzahl. Er wisse, dass er den Pädagogen einiges abverlange, dennoch liege Schleswig-Holstein mit der neuen Unterrichtsverpflichtung im bundesweiten Mittel.
An den Schulen herrschen Unruhe, Unsicherheit, Frust und Wut
"Das Maß ist voll. Das lassen wir uns nicht gefallen", sagt Inge Dutko, stellvertretende Vorsitzende der GEW im Kreis Segeberg. Nur gesunde und motivierte Pädagogen könnten guten Unterricht machen und den Kindern und Jugendlichen die viel geforderte gute Bildung vermitteln. Dutko verweist auf den Koalitionsvertrag der CDU/FDP-Landesregierung. Nach den massiven Umstrukturierungen der letzten Zeit brauchten die Schulen Zeit und Ruhe, um vernünftig arbeiten zu können, stehe da. "Stattdessen tritt genau das Gegenteil ein. Wieder wird die Schullandschaft verändert, nimmt die Arbeitsbelastung zu, wird es den Schulen unmöglich gemacht, neue Konzepte zu erarbeiten", beklagt die GEW-Vizechefin. Die Zahl erkrankter Lehrer und die Dienstunfähigkeit nähmen ständig zu. Viel habe die Landesregierung im ersten halben Jahr ihrer Amtszeit nicht geschafft. "Eines ist aber gründlich gelungen: An den Schulen im Norden herrschen Unruhe, Unsicherheit, Frust und Wut bei allen Beteiligten, Eltern, Lehrern und Schülern", sagt Dutko.
Widerstand kommt nicht nur von der Lehrergewerkschaft. In einem offenen Brief an den Bildungsminister macht das Kollegium des Lessing-Gymnasiums seinem Unmut Luft: "Mit Empörung und Unverständnis haben wir die von der Landesregierung geplante Erhöhung der Pflichtstundenzahl zur Kenntnis genommen", schreiben die Lehrer. Erst vor wenigen Wochen habe der Minister angekündigt, dass es keine Veränderung der Pflichtstundenzahl für Gymnasiallehrkräfte geben werde. Nun diese Kehrtwende, die eine massive Verschlechterung des Bildungsangebotes an Gymnasien bedeute.
Schon in den vergangenen Jahren hätten die Lehrer immer neue Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen: Die Klassenfrequenzen seien erhöht, die Lerngruppen durch die Profiloberstufe und der damit verbundenen Einführung des Klassenverbandes erhöht worden. "Entlastungsstunden sind weggefallen, wir wurden durch die Planung für das Abitur nach acht Jahren zusätzlich belastet. Dabei wäre es eigentlich Aufgabe des Ministeriums gewesen, Methoden und Lehrpläne anzupassen", heißt es in dem Brief weiter. Aufstiegsmöglichkeiten seien eingeschränkt, Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Beihilfeleistungen gekürzt worden.
"Wir haben also der schwierigen Haushaltssituation bereits in einem über das Erträgliche hinausgehenden Maße Rechnung getragen. Offensichtlich sollen wir jetzt auch das kontraproduktive Parallelangebot von Abitur nach acht und neun Jahren durch Arbeitszeiterhöhungen mitfinanzieren", schreibt das Kollegium und fragt: "Wie sollen wir aber Schülerinnen und Schüler individuell optimal fördern, wenn gleichzeitig unsere Arbeitsbedingungen stetig verschlechtert werden?"
Norderstedter Lehrer schreiben Protestbrief an Minister Klug
Wenn Rettungsschirme für Banken möglich sind wie für die HSH-Nordbank, müsse es doch auch Rettungsschirme für die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen geben. Wenn ein FDP-Minister mit leeren Kassen argumentiere, sei das besonders zynisch. Denn es ist ja die FDP, die sich bisher immer für Steuerentlastungen ausgesprochen hat. "Wir sind der Meinung, dass wir eine sehr engagierte Arbeit an unserer Schule leisten, häufig durch zusätzliches freiwilliges Engagement. Dies wird durch immer neue Belastungen erschwert, was zu einer Verschlechterung des schulischen Angebots führt", schreiben die Pädagogen. Sie fordern Minister Klug auf, die geplante Erhöhung der Pflichtstundenzahl zurückzunehmen.
Anstatt die sinkenden Schülerzahlen zu nutzen, um die Zahl der Schüler auf 24 zu begrenzen und die vorhandenen Lehrer für eine verbesserte Förderung einzusetzen, würden Planstellen abgebaut, beklagt Gewerkschafterin Dutko, die dem ersten Streik verbeamteter Lehrer im Norden zuversichtlich entgegensieht. "Die Urabstimmung hat gezeigt, dass bei vielen Lehrern die Schmerzgrenze erreicht ist", sagt die Pädagogin. Ihre Kollegen würden dafür auch eventuelle Sanktionen in Kauf nehmen: Für die wegen des Streiks nicht erteilten Stunden könne das Land das Gehalt einbehalten. Außerdem drohe ein Eintrag in die Personalakte.