140 Millionen Jahre alte Dinosaurier-Spuren locken Experten aus aller Welt nach Niedersachsen. Nirgendwo sonst gibt es so viel “Herumgetrampel.“
Obernkirchen. Es ist richtig was los am Strand der niedersächsischen Lagune vor 140 Millionen Jahren. Ganze Rudel von Troodontidae sind auf der Jagd. Diese Sichelklauen-Dinosaurier haben eine ausgeprägte Ähnlichkeit mit überdimensionalen Vögeln und sie hinterlassen glücklicherweise vollständige Fußabdrücke im Sand. Darüber spült die nächste Sturmflut, die Abdrücke werden konserviert von der Kreide- bis in die heutige Zeit.
Die Geowissenschaftlerin Annette Richter vom niedersächsischen Landesmuseum in Hannover ist im Jahr 2007 mal wieder mit Hobby-Archäologen zu Besuch im Obernkirchener Sandsteinbruch, 50 Kilometer westlich der Landeshauptstadt Hannover. Es geht eigentlich darum, eine Exkursion für Laien vorzubereiten, aber dann stößt die Gruppe auf ein Areal, übersät mit Spuren, die die Expertin für versteinerte Fährten elektrisieren.
Wenig später kommt ein zweites Feld mit noch einmal knapp 500 Spuren hinzu. Und weil Steinbruchbesitzer Klaus Köster sich anstecken lässt von der Neugier für die ferne Vergangenheit, bleiben beide Areale erhalten, obwohl das Produktionseinbußen bedeutet, weil dort besonders guter Stein auf den Abbau wartet.
Mitte April nun werden die Fundstellen zum Wallfahrtsort für rund 100 Dino-Experten aus 14 Nationen. Drei Tage lang werden die Paläontologen, die sich mit den Lebewesen vergangener Erdzeitalter beschäftigen, darüber referieren, wie es damals war, wer wen fraß und warum. Es braucht auch Fantasie, um aus Organismusresten und Spuren im Sedimentgestein Hinweise auf Lebewesen herauszulesen, die vor so langer Zeit die Erde bevölkerten.
Es wird das Symposium dann ein großer Tag auch für Annette Richter, Oberkustodin am Landesmuseum, die 2007 das richtige Gespür dafür hatte, dass das nicht nur Kratzer im Sandstein des Steinbruchs waren. Bei der Vorstellung des Projekts gestern in Hannover im Landesmuseum war zu spüren, dass die vier Jahre der systematischen Erfassung der Fundstellen die Begeisterung eher noch vergrößert haben. Sie nimmt die Zuhörer sofort mit auf eine Zeitreise. Damals reichte der Ozean bis Obernkirchen. "Es war tropisch heiß, es gab ein dschungelartiges Hinterland und davor die Inselkette, sozusagen die Paläo-Ostfriesischen Inseln." Und auf die Spuren im versteinerten Sand von vor 140 Millionen Jahren stoßen die Forscher heute, weil die Arbeiter im Steinbruch sich seit einem Jahrtausend immer tiefer hineingraben in die Erdgeschichte, um das Material zu gewinnen für den Bau von Kathedralen ebenso wie etwa für den Unternehmenssitz des Hamburger Traditionsunternehmens Hapag-Lloyd an der Binnenalster im Jahre 1908.
2007 war eine Tiefe erreicht, die 140 Millionen Jahren entspricht und Tausende von sauberen Abdrücken diverser Dinosaurierarten barg. Annette Vogel kann es auch heute noch kaum fassen: "Es gibt nirgendwo sonst auf der Welt so viel Herumgetrampel." Neben den Sichelklauen-Dinosauriern finden sich im Stein Spuren von pflanzenfressenden Iguanodonten und fleischfressenden Theropoden. Angesichts des Gewimmels von Fährten und Spuren hat das Expertenteam schnell einen Namen gefunden für die Fundstelle. Es ist der "Hühnerhof".
Bis der Steinbruch seine Geheimnisse preisgab, waren Troodontidae nur aus China bekannt, aber diese Dinos, so Richters Einschätzung, waren deutlich kleiner, die Spuren vergleichsweise selten und weit weniger aussagekräftig. Im Sandstein in Niedersachsen dagegen lässt sich sogar nachvollziehen, dass die Jäger quasi als Team parallel nebeneinander liefen und vermutlich angriffen: "Die Herden der Pflanzenfresser mussten auf der Suche nach Nahrung ständig weiter wandern, immer verfolgt von den Fleischfressern."
Die Troodontidae waren schlanke Dinosaurier und besonders flink, erreichten Geschwindigkeiten von bis zu 80 Kilometer pro Stunde. Von der Schnauze bis zum Schwanzende maßen sie bis zu vier Meter, die dritte Zehe ragte so weit in die Luft, dass sie keine vollständigen Abdrücke am Boden hinterließ. Mit dieser Sichelklaue packten die Tiere ihre Beute und wegen ihrer Ähnlichkeit mit heutigen Vögeln elektrisieren sie die Wissenschaftler. Ihnen grob nachempfunden, nicht zur Freude der Paläontologen, sind die "Raptoren" im Dinofilmklassiker "Jurassic Park".
Über die anstehende Fachtagung in Obernkirchen sagt Richter stolz: "Das Symposium besitzt internationale Bedeutung, es kommt die Crème de la Crème der Dinoforscher." Tagungssprache ist Englisch. Aber es gibt auch einen Vortrag auf Deutsch, bei dem schon der Titel klarmacht, wie wichtig der heimische Steinbruch geworden ist: "200 Jahre Dinosaurierfährten - von Massachusetts nach Obernkirchen".