Wer soll Spitzenkandidat zur Landtagswahl werden? Die Nord-SPD peilt einen Mitgliederentscheid an. Klare Prognosen wagt niemand.

Kiel. Die dreimonatige Bewerber-Kür ist geschafft; nun kommt es auf die 20.000 Mitglieder der Nord-SPD an: Sie bestimmen in einem beispiellosen Verfahren den Spitzenkandidaten zur nächsten Landtagswahl. Soll noch einmal der Wahlverlierer von 2009 ran, Landespartei- und Fraktionschef Ralf Stegner (51)? Oder doch statt des unbequemen Polarisierers der freundliche, aber gleichermaßen selbstbewusste Torsten Albig (47), Kiels Oberbürgermeister? Ihre 16 Vorstellungsrunden, die am späten Montagabend im Landgasthof von Tarp auf halber Strecke zwischen Schleswig und Flensburg zu Ende gingen, brachten keinen klaren Favoriten hervor. Bis zur Entscheidung in gut drei Wochen wird es hinter den Kulissen der Nord-SPD heiß hergehen.

Dabei kommt es nicht nur auf die Stärke des Stegner-Lagers und der Albig-Anhängerschaft an. Letztlich wird eine "schweigende Mehrheit“ den Ausschlag geben. Wie viele von denen, die nicht das Bewerber-Casting verfolgten und Parteiversammlungen auch sonst meiden, werden sich überhaupt an dem Mitgliederentscheid beteiligen? Wem trauen sie einen Sieg gegen die CDU mit dem mutmaßlichen, aber auch noch nicht gekürten Spitzenkandidaten zu, Stegners Amtskollegen Christian von Boetticher (40)? Wie wichtig ist ihnen, dass Stegner auf die "links, dickschädelig und frei“-Karte mit klarem Rot-Grün-Bekenntnis setzt, während Pragmatiker Albig (47) eher in die politische Mitte tendiert? Er schließt ein Bündnis mit der Linken aus, Stegner tut es nicht. Die SPD steht vor einer Richtungsentscheidung von erheblicher Tragweite.

"Jeder konnte sehen, dass da Unterschiede sind, nicht nur in der Frisur“, sagte Stegner in Tarp. Albig sah die meisten Runden als Bestätigung für sich: "Ich gehe zuversichtlich in die Entscheidung.“ Klare Prognosen wagt niemand. Eine These besagt, Albig sei mit gewissem Vorsprung gestartet und Stegner habe im Verlauf Boden wettgemacht. Das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen könnte in eine Stichwahl Ende März münden. Die Konkurrenz von der CDU/FDP-Koalition setzt insgeheim auf einen Erfolg ihres Erzfeindes Stegner, weil Albig - einst Pressesprecher von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück - mehr im bürgerlichen Lager "wildern“ könnte. Vielen ist Albig aber noch unbekannt. Auch fehlt ihm Stegners Verwurzelung in der Landespartei, und als Kieler OB ist er für manche Lübecker oder Westküsten-Bewohner per se kaum wählbar. Außerdem wissen viele noch nicht recht, wofür er inhaltlich steht.

Eine Abstimmung von SPD-Mitgliedern und Gästen gab es in Tarp nicht; fünfmal wurde insgesamt ein "Meinungsbild“ erstellt. In Lübeck verlor Albig erwartungsgemäß klar gegen Stegner, in Rendsburg-Eckernförde, Ostholstein und Pinneberg lagen die Rivalen recht nahe beieinander, in Segeberg hatte überraschend Elmshorns Bürgermeisterin Brigitte Fronzek (58) nach überzeugendem Auftritt die Nase vorn. Traut sich die kleine Frau auch das ganz große Ding zu? Ja. Was sie als erstes täte, wenn sie Ministerpräsidentin wäre?: "Dann stehe ich auf und sage, ,Ja, ich nehme die Wahl an'“. Dem Mitgliederentscheid stellt sich auch der krasse Außenseiter Mathias Stein (40) aus Kiel.

Am 11. Februar wird der SPD-Landesverband die Briefwahl-Unterlagen per Infopost versenden; dann haben die Mitglieder noch zwei Wochen Zeit. Was bis 26. Februar um 9.30 Uhr im SPD-Postfach landet, wird ausgezählt. Stegner und Albig betonen, dass sie im Sieger des SPD-Kandidatenrennens den wahrscheinlichen künftigen Ministerpräsidenten sehen. Auch deshalb ist ihr Kampf mit den Bewerberrunden nicht vorbei. Gut 5000 Menschen haben seit Anfang November live die 16 Veranstaltungen verfolgt. Unbestritten ist der Mobilisierungseffekt des Verfahrens auf eine Landespartei, die nach der Wahlniederlage 2009 in tiefen Frust gefallen war.

Für Albig war es eine „super Erfahrung“ zu sehen, wie viele Menschen zu SPD-Veranstaltungen kamen. Damit habe er nicht gerechnet. "Ich glaube, es sind nur ganz wenige nach Hause gegangen und haben gesagt ,wie langweilig sind die denn?'“ Stegner fand das Interesse - auch als Parteichef und Initiator der Runden - ebenfalls großartig. "Das wird uns enorm mobilisieren für den Wahlkampf.“

Sollte Stegner den Mitgliederentscheid gewinnen, wäre er zumindest bis zur Landtagswahl, die im Frühjahr 2012 stattfinden könnte, wieder die unbestrittene Nr. 1 der Nord-SPD. Was dies für die mit dem Kandidatenrennen „wiederbelebte“ Landespartei bedeuten würde, ist abzuwarten. Albig bliebe der Oberbürgermeister-Posten, den er erst 2009 angetreten hatte. Siegt Albig, würde er in jedem Fall nach der Landtagswahl in die ihm bisher weitgehend fremde Landespolitik wechseln - in der Stegner dann dauerhaft kaum noch Platz hätte. (dpa)