Der Wehrbeauftragte des Deutsches Bundestages bestätigte, dass ermittelt werde. Mitglieder der Besatzung hatten Angaben gemacht, aus denen hervorgehe, dass auf der Gorch Fock „etwas im Argen“ liege.
Flensburg/Hamburg. Nach dem Tod einer Offiziersanwärterin auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ im vergangenen November geht die Marine einem Verdacht der „Meuterei“ nach. Es seien von Amts wegen Ermittlungen aufgenommen worden, bestätigte ein Sprecher des Wehrbeauftragten des Bundestages in Berlin. Es seien Eingaben von Besatzungsmitgliedern gemacht worden, aus denen hervorgehe, dass „etwas im Argen“ liege, sagte Sprecher Sebastian Hille. Vergangene Woche sei eine Delegation des Wehrbeauftragten zu ersten Gesprächen bei der Besatzung gewesen. Verteidigungsminister und -ausschuss seien informiert. Nach dpa-Informationen hat die Marine die Aufklärung der Vorgänge zugesagt und will ein eigenes Team an Bord schicken. Das legendäre Schiff hatte jüngst das Kap Hoorn umrundet. Von der angeblichen „Meuterei“ berichten die „Mitteldeutsche Zeitung“, die „Stuttgarter Zeitung“ (Donnerstag) und „Spiegel Online“ unter Berufung auf den Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus. Demnach soll es an Bord ein Führungsversagen leitender Offiziere sowie einen Vertrauensverlust zwischen Stammmannschaft und Offiziersanwärtern nach dem Tod der Frau gegeben haben, die von einem Mast gefallen war. Den Berichten zufolge wollten trauernde Offiziersanwärter nicht mehr in die Takelage des Schiffes klettern. Sie sollen trotzdem zum sogenannten Aufentern gedrängt worden sein, „was dem Freiwilligkeitsgebot zuwider läuft“, schreibt die „Stuttgarter Zeitung“ .Daraufhin sollen Vorgesetzte ihnen angedroht haben, nicht mehr Offizier werden zu können. Vier Soldaten sollten „wegen Meuterei und Aufhetzen“ abgelöst und nach Deutschland geflogen werden. Den Berichten zufolge soll es auch Fälle sexueller Belästigung an Bord gegeben haben. Laut „Spiegel Online“ wurde die Ausbildung auf der „Gorch Fock“ beendet, das Schiff setze seine Route nur mit der Stammbesetzung fort.
Lesen Sie dazu auch den Abendblatt-Bericht vom 9. November 2010:
Junge Soldatin stürzt auf "Gorch Fock" zu Tode
Sie war erst 25 Jahre alt und seit dreieinhalb Jahren bei der Bundeswehr. Jetzt verlor die Offiziersanwärterin der Marineschule Mürwik in Brasilien während einer Kletterübung auf dem berühmten Segelschulschiff "Gorch Fock" offenbar den Halt und stürzte angeblich aus knapp 30 Meter Höhe aus der Takelage auf das hölzerne Deck.
Die junge Frau aus dem Landkreis Holzminden in Niedersachsen erlag am Sonntag trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen ihren schweren Verletzungen im Krankenhaus in Salvador de Bahia, der Stadt, in der der Dreimaster derzeit im Hafen liegt. Die Marine hat ihre Familie informiert: "Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und den Kameraden auf dem Segelschulschiff ,Gorch Fock'", hieß es gestern in der Mitteilung.
Die Niedersächsin soll erst in Brasilien - bei einem Wechsel der Crew - zur Mannschaft gestoßen sein. Wohl aus diesem Grund machte sie erst jetzt ihre Segelausbildung.
Wie es zu dem Unfall kam, ist unklar. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Normalerweise tragen die Männer und Frauen an Bord ähnlich wie Bergsteiger eine Sicherungsausrüstung am Körper, wenn sie in der Takelage auf- oder absteigen. Sollte es dabei zum Stocken kommen, müssen sie sich mit einer Art Karabinerhaken zusätzlich sichern.
Es ist bereits der sechste tödliche Unfall an Bord des 52 Jahre alten Schiffes. So starb unter anderem im Jahr 2002 ein 19 Jahre alter Marinesoldat nach einem Sturz aus der Takelage. 1998 fiel ein ebenfalls 19-Jähriger aus dem Großmast aus zwölf Meter Höhe auf die Planken.
Tragisch ist das jüngste Unglück auch für den Kommandanten. Kapitän zur See Norbert Schatz muss nun schon den zweiten Todesfall verarbeiten, seit er 2006 die Führung des Schiffes übernahm. In der Nacht zum 4. September 2008 war die Offiziersanwärterin Jenny B. aus Geilenkirchen (Nordrhein-Westfalen) kurz vor ihrem 19. Geburtstag unter mysteriösen Umständen während ihrer Deckswache vor Norderney über die 1,60 Meter hohe Reling in die Nordsee gestürzt. Sie trieb 150 Kilometer durchs Meer, bis 13 Tage später Fischer die Leiche der Kadettin fanden.
Obwohl die Marine Sicherheitsmängel damals sofort ausschloss, glaubten ihre Eltern nicht an einen Unfall. Erst am 24. Januar 2009 beendete die Staatsanwaltschaft Kiel ihre Ermittlungen mit dem Ergebnis, dass es sich um ein tragisches Unglück handelte.
Zu ihrer Reise nach Südamerika, der 156. Ausbildungsfahrt, war die "Gorch Fock" am 20. August in Kiel gestartet. Mit 229 Besatzungsmitgliedern, davon 33 Frauen, befindet sie sich mit 23 000 Seemeilen (42 500 Kilometer) auf einer ihrer längsten Reisen. Erstmalig wird der Dreimaster Kap Hoorn, die Südspitze Südamerikas, umfahren. Diese Passage gilt als eine der anspruchsvollsten der Seefahrt.
Auf dem berühmten Dreimaster wurden seit seiner Indienststellung 1958 mehr als 14 500 Offizier- und Unteroffizieranwärter ausgebildet. Das Schiff läuft als nächstes Ziel Argentinien an. Im Juni 2011 wird es in Kiel zurückerwartet.