Die Schulen, Wasserversorgung und Gebühren: Darüber sollen die Gemeinden in Schleswig-Holstein wieder eigenverantwortlich entscheiden.

Kiel. In Schleswig-Holstein soll die politische Musik wieder in den Dörfern spielen. Nach den gestern vom Kieler Kabinett verabschiedeten Eckpunkten für eine neue Kommunalverfassung müssen die mächtigen Ämter mit ihren überörtlichen Verwaltungen viele Aufgaben an die mehr als 1000 Gemeinden zurückgeben. Die sollen künftig selbst über Schulen, Abwasser oder Bauleitplanung entscheiden, sehen das aber mit gemischten Gefühlen.

"Es geht um mehr Demokratie und Eigenverantwortung", warb Innenminister Klaus Schlie (CDU). Die schwarz-gelbe Regierung wolle die kommunale Selbstverwaltung stärken, dazu die Macht der Amtsverwaltungen begrenzen. "Das Amt wird wieder eine reine Verwaltungszentrale, die die Beschlüsse der Gemeindevertretungen vorbereitet und umsetzt."

Mit dem Demokratievorstoß reagierte Schlie auf ein Urteil des Schleswiger Verfassungsgerichts. Die Richter hatten festgestellt, dass die zunehmende Übertragung von gemeindlichen Aufgaben auf die Ämter mit der Verfassung nicht zu vereinbaren ist und der Politik zwei Auswege aufgezeigt. Die Idee, den Ämtern gewählte Parlamente an die Seite zu stellen, war mit der CDU allerdings nicht umzusetzen. Grund: Die Union, die in vielen Dörfern regiert, sorgt sich um ihren Einfluss und befürchtet, dass am Ende die Ämter als kleinste politische Einheit die Gemeinden ersetzen. Diese Variante wäre der "Einstieg in eine Gemeindegebietsreform" gewesen, bekräftigte Schlie.

Der nun beschrittene zweite Weg, die Schwächung der Ämter, birgt ein anderes Risiko. Viele Dörfer dürften kaum in der Lage sein, die neuen Aufgaben zu übernehmen. Sie haben in den vergangenen Jahren gezielt komplizierte Verfahren wie etwa die Abwasserbeseitigung an ihre Ämter abgegeben, sich so den Beschluss von Satzungen und Gebührenordnungen erspart.

Schlie hat das Problem erkannt und will es mit einem Trick lösen. Überforderte Gemeinden sollen die Möglichkeit erhalten, in ihrem Amtsbereich für heikle Aufgaben Zweckverbände zu gründen. Vorbild sind Schulverbände, in denen mehrere Dörfer gemeinsam eine Grundschule unterhalten.

Der Gemeindetag, der Verband der Dörfer, warnte Schlie vor den Folgen der Reform. "Die Gemeinden in Schleswig-Holstein könnten gezwungen sein, mehr als 100 Zweckverbände zu gründen", sagte Gemeindetags-Geschäftsführer Jörg Bülow. Jeder Zweckverband brauche eine eigene Satzung, eine Verbandsversammlung und einen Vorsteher, der Anspruch auf eine Entschädigung habe. "Das ist absurd." Bülow warb stattdessen dafür, den Ämtern bestimmte Aufgaben aufbürden zu dürfen. Alles andere wäre nicht zukunftsfähig. "Die Gemeinden wollen die erfolgreiche interkommunale Zusammenarbeit in den Ämtern fortsetzen und stärken", so Bülow. "Wir wollen mehr Zusammenarbeit statt weniger."

In den mehr als 80 Ämtern wird das ähnlich gesehen. "Die Reform führt zu mehr Bürokratie und nicht zu weniger", sagte der Leiter des Amtes Bargteheide-Land, Bernd Gundlach. Das Amt, zuständig für acht Gemeinden von Bargfeld-Stegen bis Tremsbüttel mit zusammen 14.000 Bürgern, regelt für sechs Orte die Wasserversorgung, für fünf die Abwasserbeseitigung. Im Fall der Reform müsste das Leitungsnetz auf die Orte aufgeteilt werden. Sie könnten eigene Gebührensatzungen erlassen oder sich in einen Zweckverband retten. "Das macht relativ wenig Sinn", sagte Gundlach.

Zündstoff steckt auch in anderen Teilen der Reform. So ließ Schlie offen, ob Schwarz-Gelb Abstriche bei den Gleichstellungsbeauftragten machen will. Bisher müssen Kommunen mit mehr als 15 000 Einwohnern eine hauptamtliche Beauftragte einstellen.

Andere Änderungen sind so gut wie abgemacht. Das Land will die Aufsicht über größere Städte (ab 20.000 Einwohner) an die Landkreise abgeben, bei der Direktwahl von Bürgermeistern den Parteien ein Vorschlagsrecht einräumen. Die Reform soll im Frühsommer im Landtag behandelt werden. In Kraft treten könnte sie im Frühjahr 2012, gut ein Jahr vor der Kommunalwahl.