Das Feuer ist gelöscht, aber das Schiff glüht noch. Erst am Montagabend können die Bergungsarbeiten der Lisco Gloria weitergehen.

Cuxhaven/Kiel. Nach mehr als 24 Stunden ist das Feuer auf der Ostsee-Fähre "Lisco Gloria" erloschen, das Schiff kann aber frühestens am Montagabend untersucht werden, denn das Metall glüht noch.

Die Temperatur am Schiffsrumpf sei um die Hälfte gesunken, aber immer noch viel zu hoch für die Bergungs- und Löschspezialisten. Am Montagnachmittag soll darüber entschieden werden, ob Menschen auf das Schiff geschickt werden können.

Das Feuer hat ein etwa acht Quadratmeter großes Loch in die Außenwand des Schiffes gefressen. "Das Metall ist in diesem Bereich abgeschmolzen“, sagte Dirk Reichenbach vom Havariekommando. "Die Metallkonstruktion im Außenbereich hat massiv gelitten.“ Größere Schäden seien nicht zu erkennen. "Die Schlagseite ist nicht so gravierend, dass man mit einem Umkippen rechnen muss“, sagte Reichenbach. „Die Situation sieht derzeit stabil aus.“

Sobald Spezialisten an Bord könnten und mögliche Restfeuer gelöscht seien, solle Wasser aus dem Schiff abgepumpt werden, sagte ein Sprecher des dänischen Seenotrettungsdienstes SOK.

Die "Lisco Gloria“, die für eine dänische Reederei fährt, war in der Nacht zu Sonnabend auf dem Weg von Kiel nach Klaipeda in Litauen vor Fehmarn in Brand geraten. Alle 236 Menschen konnten gerettet werden. 28 Menschen wurden verletzt, darunter auch drei Kinder, ein Säugling und ein Jugendlicher. Drei Verletzte wurden mit dem Verdacht auf Rauchvergiftung mit Hubschraubern ausgeflogen, die anderen Passagiere wurden auf der Scandlines-Fähre „Deutschland“ nach Kiel gebracht. Dort wurden sie ärztlich und psychologisch betreut.

An Bord der „Lisco Gloria“ waren nach Angaben des Innenministeriums 20 Deutsche. Die anderen Passagiere stammten aus Dänemark, Litauen, Lettland, Argentinien und Russland. Die Besatzung kam nach Angaben der Reederei aus Litauen.

Rund 30 Minuten trieben die Passagiere der Fähre „Lisco Gloria" bei Windstärke 5 in Rettungsbooten in der Ostsee, bis die Retter kamen. Direkt vor ihnen brennt die Fähre über die gesamte Länge, Flammen schlagen meterhoch in den Himmel, immer wieder gibt es kleine Explosionen.

"So ein brennendes Schiff hab ich noch nie gesehen“, sagte Eugen Kube (49), Kapitän der Scandlines-Fähre "Deutschland". Er habe befürchtet, dass das Schiff jeden Moment auseinanderbreche. Die meisten Geretteten seien nur notdürftig bekleidet gewesen, trugen keine Schuhe. Sie wurden offenbar aus dem Schlaf gerissen.

120 Passagiere wurden zunächst an Bord des Bundespolizei-Schiffs „Neustrelitz“ geholt und von dort zur "Deutschland"-Fähre gebracht. „Über die Lotsenpforte in Hauptdeckshöhe haben wir dann alle an Bord geholt", sagt Kube. Dabei mussten sich die Passagiere die Lotsenleiter hochhangeln. Dass dabei niemand zu Schaden gekommen ist, „dafür haben wir und die Mannschaft uns gegenseitig auf die Schultern geklopft“, sagt Kube.

Panik erlebte die Lehrerin einer Schulklasse aus Lettland nach ihrer Rettung: Einer ihrer Jungs fehlte! Der 14-Jährige war im Vorderschiff in seiner Kabine vom Feuer eingeschlossen. Es gelang ihm aber, das Bullauge einzuschlagen und um Hilfe zu winken. Die Besatzung eines Marinefliegers entdeckte das Kind. „Wir sind dann im Schwebeflug angeflogen und haben ihn mit dem Rettungskorb herausgeholt“, berichtete der Hubschrauberpilot. „Es war kalt, der Junge hatte nur eine Unterhose an und war mehr als aufgewühlt."

Eigentlich war es eine Routinefahrt, als die „Lisco Gloria“ wie jeden Freitag gegen 22 Uhr in Kiel ablegte. „Ankunft Klaipeda Samstag 20 Uhr“ stand auf dem Fahrplan der Reederei DFDS LISCO. Diesmal endete die Reise nach nur zwei Stunden im Unglück: Das Schiff stand plötzlich in Flammen.

Gegen Mitternacht bemerkte Vitali Jus in seiner Kabine an Bord der „Lisco Gloria“ den Geruch von Rauch. Bereits zum vierten oder fünften Mal war der 24-jährige Litauer mit einem Fährschiff zwischen Kiel und Klaipeda in seinem Heimatland unterwegs. „Ich sah nur Rauch und Feuer“, sagte er. Mehrmals seien kleinere Explosionen zu hören gewesen.

Ein Besatzungsmitglied habe bei einem Rundgang Rauch an einem Lastwagen festgestellt und zunächst einen eigenen Löschversuch unternommen, berichtete der Leiter des Lagezentrums im schleswig-holsteinischen Innenministerium, Joachim Gutt, am Sonnabend im NDR-Fernsehen. Als der Versuch fehlschlug, habe der Mann den Kapitän informiert, der die Rettungsmaßnahmen eingeleitet habe. Die Nähe des Brandherdes zum Tank der Zugmaschine erkläre auch die Explosion.

„Die Leute sind sehr erschöpft, einige sind körperlich in einem sehr schlechten Zustand“, sagte Revierleiter Uwe Marxen von der Kieler Wasserschutzpolizei.

Am späten Abend starteten die ersten Passagiere der Unglücksfähre aber schon wieder Richtung Litauen mit der „Lisco Maxima“.

Der Litauer Jus dagegen wollte seine Reise per Bus oder Flugzeug fortsetzen. Er wolle nicht mit dem Schiff nach Litauen fahren, sagt er. Auf seiner Hand haben Einsatzkräfte mit Filzstift seine Kabinennummer festgehalten. „All mein Geld, mein Mobiltelefon liegen in meinem Fahrzeug an Bord der Lisco Gloria“, sagte Jus. Nur seinen Pass hatte der 24-Jährige bei der Evakuierung von Bord des Havaristen in der Nacht zum Samstag mitnehmen können.

Die schwersten Fährunglücke auf Nord- und Ostsee

Nicht immer gehen Unglücke mit Fährschiffen so glimpflich für Passagiere und Besatzung aus wie im Fall der "Lisco Gloria". Die größte Katastrophe der Nachkriegsgeschichte war der Untergang der „Estonia“ mit 852 Todesopfern. Hier eine Chronologie:

7. April 1990: Die auf den Bahamas registrierte dänische Fähre „Scandinavian Star“ fängt auf dem Weg von Oslo nach Frederikshavn im Skagerrak vermutlich durch Brandstiftung Feuer und muss evakuiert werden. Von den rund 500 Menschen an Bord kommen 161 (nach anderen Angaben 159) ums Leben.

14. Januar 1993: 15 Seemeilen östlich von Rügen kentert in schwerem Sturm die polnische Ro-Ro-Fähre „Jan Heweliusz“ auf der Ostsee. Neun Crewmitglieder werden gerettet, vermutlich 55 Menschen ertrinken.

28. September 1994: Die estnische Ostseefähre „Estonia“ (15.556 BRT, 144 Meter lang) sinkt bei Sturm mit fast 1000 Menschen an Bord vor der südwestlichen Küste Finnlands. 852 Menschen ertrinken, 137 überleben. Zur Unglücksursache gibt es mehrere Gutachten und bis heute viele Spekulationen.

8. Juli 1999: Brand auf der Norwegenfähre kurz vor Göteborg – ein Opfer. Im Maschinenraum der Norwegenfähre „Prinsesse Ragnhild“ der norwegischen Reederei Color Line bricht auf der Fahrt von Kiel nach Oslo vermutlich durch eine defekte Brennstoffleitung ein Feuer aus. Alle 1167 Passagiere werden von Bord geholt. Eine 70-jährige Norwegerin erleidet eine Herzattacke und stirbt.

26. November 1999: Die norwegische Katamaran-Fähre „Sleipner“ läuft im Bomla-Fjord bei stürmischer See auf ein Riff und sinkt in der Nordsee. An Bord waren 88 Menschen. Es gibt 16 Tote.

23. Juli 2009: Zwei Passagierfähren stoßen bei dichtem Nebel vor der schwedischen Küste zusammen. Mehr als 20 Menschen wurden verletzt. Der Unfall passierte bei Nynashamn, rund 60 Kilometer südwestlich von Stockholm. Eine der Fähren war die MS "Gotland" mit etwa 1500 Menschen an Bord. Die andere Fähre war halb so groß.

9. Oktober 2010: Die Ostsee-Fähre „Lisco Gloria“ mit 249 Menschen an Bord gerät nach einer Explosion auf der Ostsee vor Fehmarn in Brand. Alle Passagiere und die Crew können gerettet werden. Mehrere Menschen wurden verletzt. Das Fährschiff war auf der Fahrt von Kiel ins litauische Klaipeda.