Mehr als einen Tag lang brannte die Fähre Lisco Gloria auf der Ostsee. Jetzt ist das Feuer gelöscht - und die Kapitäne der zu Hilfe gekommenen Ostseefähre „Deutschland“, stehen bereist wieder auf ihrer Kommandobrücke.
Cuxhaven/Kiel. Rund 18 Stunden nach der dramatischen Rettungsaktion für Passagiere und Besatzung der brennenden „Lisco Gloria“ stehen die Kapitäne Eugen Kube (49) und Hannes Wasmuth (58) wieder auf der Kommandobrücke der Ostseefähre „Deutschland“. Die beiden Männer hatten nach dem Notruf um 24 Uhr in der Nacht zu Sonnabend Kurs auf den Havaristen genommen. Um 2 Uhr waren fast alle Schiffbrüchigen an Bord. Darunter auch eine Schulklasse aus Lettland und eine Mutter mit Kleinkind. Um 5.54 Uhr legten die Retter dann im Kieler Hafen an.
Beiden Männern steht nach einigen Stunden Schlaf die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, dass niemand bei dem Unglück umkam. „So ein brennendes Schiff hab ich noch nie gesehen“, schildert Kube. Er habe befürchtet, dass Schiff könnte jeden Moment auseinanderbrechen. Denn als sie auf die „Lisco Gloria“ zusteuern, brennt die Fähre über die gesamte Länge, Flammen schlagen meterhoch in den Himmel, immer wieder angefacht von kleinen Explosionen. „Das waren vermutlich die Tanks der geladenen Fahrzeuge“, mutmaßen die Kapitäne. An der Unglücksstelle treiben Passagiere und Besatzung bereits etwa 30 Minuten in Rettungsbooten und kleineren Rettungsinseln, bei Windstärke fünf.
Sie auf ihre Fähre zu übernehmen, wird zum Meisterstück der zur Hilfe geeilten Schiffe, sagen beide. Die „Neustrelitz“ der Bundesmarine nimmt die Schiffbrüchigen zunächst an Bord. Danach legt sie längsseits der riesigen „Deutschland“ an. „Über die Lotsenpforte in Hauptdeckshöhe haben wir dann alle an Bord geholt“. Alle müssen sich die Lotsenleiter hochhangeln, um auf's Schiff zu gelangen. Dass dabei niemand zu Schaden kommt, „dafür haben wir und die Mannschaft uns gegenseitig auf die Schultern geklopft“, schildern Kube und Wasmuth das hochdramatische Geschehen.
Die meisten Geretteten sind nur notdürftig bekleidet, tragen keine Schuhe. Sie wurden offenbar aus dem Schlaf gerissen. An Bord der Fähre werden sie dann von der Besatzung sofort versorgt und beruhigt. Viele der Betroffenen wirken zwar apathisch, schildert Kube. Aber sie sind froh und glücklich, dass sie heil davon kamen. Panik erlebt die Lehrerin der Schulklasse für einen weiteren Moment: Einer ihrer Jungs fehlt. Doch wenig später stellt sich dann glücklicherweise heraus, dass er als einer der Verletzten mit dem Hubschrauber gerettet und ins Krankenhaus gebracht wurde.
Kube, Wasmuth und ihre Mannschaft werden bis Mittwoch auf der Vogelfluglinie unterwegs sein, bevor sie wieder nach Hause kommen. Ein mulmiges Gefühl haben sie nicht. Vielmehr Dankbarkeit für alle Helfer der Rettungsaktion und dafür, dass es keine Toten gab. „Wenn man sich vorgestellt hätte, dass jemand umgekommen wäre, dann wären wir jetzt nicht hier, sondern hätten die Hilfe eines Krisenteams gebraucht“, sagt Kube leise, bevor er das Signal zum Ablegen gibt.
Die schwersten Fährunglücke auf Nord- und Ostsee
Nicht immer gehen Unglücke mit Fährschiffen so glimpflich für Passagiere und Besatzung aus wie im Fall der "Lisco Gloria". Die größte Katastrophe der Nachkriegsgeschichte war der Untergang der „Estonia“ mit 852 Todesopfern. Hier eine Chronologie:
7. April 1990: Die auf den Bahamas registrierte dänische Fähre „Scandinavian Star“ fängt auf dem Weg von Oslo nach Frederikshavn im Skagerrak vermutlich durch Brandstiftung Feuer und muss evakuiert werden. Von den rund 500 Menschen an Bord kommen 161 (nach anderen Angaben 159) ums Leben.
14. Januar 1993: 15 Seemeilen östlich von Rügen kentert in schwerem Sturm die polnische Ro-Ro-Fähre „Jan Heweliusz“ auf der Ostsee. Neun Crewmitglieder werden gerettet, vermutlich 55 Menschen ertrinken.
28. September 1994: Die estnische Ostseefähre „Estonia“ (15.556 BRT, 144 Meter lang) sinkt bei Sturm mit fast 1000 Menschen an Bord vor der südwestlichen Küste Finnlands. 852 Menschen ertrinken, 137 überleben. Zur Unglücksursache gibt es mehrere Gutachten und bis heute viele Spekulationen.
8. Juli 1999: Brand auf der Norwegenfähre kurz vor Göteborg – ein Opfer. Im Maschinenraum der Norwegenfähre „Prinsesse Ragnhild“ der norwegischen Reederei Color Line bricht auf der Fahrt von Kiel nach Oslo vermutlich durch eine defekte Brennstoffleitung ein Feuer aus. Alle 1167 Passagiere werden von Bord geholt. Eine 70-jährige Norwegerin erleidet eine Herzattacke und stirbt.
26. November 1999: Die norwegische Katamaran-Fähre „Sleipner“ läuft im Bomla-Fjord bei stürmischer See auf ein Riff und sinkt in der Nordsee. An Bord waren 88 Menschen. Es gibt 16 Tote.
23. Juli 2009: Zwei Passagierfähren stoßen bei dichtem Nebel vor der schwedischen Küste zusammen. Mehr als 20 Menschen wurden verletzt. Der Unfall passierte bei Nynashamn, rund 60 Kilometer südwestlich von Stockholm. Eine der Fähren war die MS "Gotland" mit etwa 1500 Menschen an Bord. Die andere Fähre war halb so groß.
9. Oktober 2010: Die Ostsee-Fähre „Lisco Gloria“ mit 249 Menschen an Bord gerät nach einer Explosion auf der Ostsee vor Fehmarn in Brand. Alle Passagiere und die Crew können gerettet werden. Mehrere Menschen wurden verletzt. Das Fährschiff war auf der Fahrt von Kiel ins litauische Klaipeda.