Sinkende Schülerzahlen zwingen Kultusminister Althusmann zu einer Strukturreform. Keine sechsjährige Grundschule für Niedersachsen.

Hannover. Die niedersächsische CDU-FDP-Landesregierung geht in der Schulpolitik vorsichtig auf Reformkurs und stellt dabei erstmals auch das dreigliedrige Schulsystem aus Haupt- und Realschule sowie Gymnasium infrage. Kultusminister Bernd Althusmann will noch in diesem Herbst in Abstimmung mit Ministerpräsident David McAllister (beide CDU) und den kommunalen Spitzenverbänden einen Vorschlag vorlegen, um auf die dramatisch rückläufigen Schülerzahlen an Hauptschulen zu reagieren. Der Minister schließt dabei auch eine Zweigliedrigkeit, also die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen, nicht mehr aus. Auf der Pressekonferenz zum heute beginnenden neuen Schuljahr sage Althusmann gestern: "Das ist sicherlich eine Option."

Das in Hamburg gescheiterte Modell der sechsjährigen Grundschule schließt Althusmann für Niedersachsen aber kategorisch aus: "Das Gymnasium ist unsere wichtigste Schulform und darf nicht geschwächt werden." In der auf Anregung des neuen Ministerpräsidenten McAllister eingesetzten Arbeitsgruppe zur Schulstrukturreform ist laut Althusmann am Vortag auch über die von Elterninitiativen und vielen Kommunen geforderte Erleichterung von Gesamtschulgründungen gesprochen worden. Selbst CDU-Politiker setzen sich auf lokaler Ebene dafür ein, vier- und dreizügige neue integrierte Gesamtschulen zuzulassen: "Die Gesamtschulen sind für viele Eltern attraktiv, das müssen wir akzeptieren." Trotz der gegenwärtig hohen Hürde der Fünfzügigkeit gehen im heute beginnenden Schuljahr allein 18 neue Gesamtschulen an den Start. Die Schülerzahl an den rund 480 niedersächsischen Hauptschulen ist dagegen erneut um rund 5000 auf jetzt nur noch 81 650 gesunken. Zum Vergleich: 188 700 Schüler gehen auf Realschulen, 275 350 auf Gymnasien. Ein Drittel der bestehenden Hauptschulen ist nur noch einzügig und es gibt dort Klassen mit teilweise nur noch sechs bis acht Schülern, die trotzdem die vollen Lehrerstellen binden. Der Kultusminister: "Das ist zum Teil dramatisch."

Seit ihrem Amtsantritt 2003 hat die CDU-FDP-Landesregierung das dreigliedrige System verteidigt. Aber auch eine bessere Lehrerausstattung und stärkere berufliche Orientierung konnten nicht verhindern, dass die Anmeldezahlen für diese Schulform kontinuierlich zurückgingen: auf inzwischen weniger als zwölf Prozent der Schuler eines Jahrgangs. Rund 200 Hauptschulen können nur noch überleben, weil sie mit dem Standort einer Realschule zusammengelegt worden sind.

Faktisch nimmt das Kultusministerium mit dem neuen Schuljahr auch die inhaltliche Zusammenlegung solcher Schulen bereits vor: Bislang wurde an zusammengefassten Standorten immer noch mindestens in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und erster Fremdsprache kein gemeinsamer Unterricht in den Klassen 5 bis 8 erteilt. Jetzt genehmigt das Ministerium auf Antrag gemeinsamen Unterricht für Haupt- und Realschüler aller Klassen von fünf bis zehn, wenn die einzige Alternative wäre, jahrgangsübergreifenden Unterricht zu erteilen.

Auf schnelle Ergebnisse drängt Althusmann erklärtermaßen, damit die von ihm gewollte "sachliche Debatte" beendet ist, ehe der Kommunalwahlkampf beginnt. Im Herbst 2013 steht das an. Dabei will Althusmann auch auf die Oppositionsparteien zugehen: "Ich hoffe, dass die erkennen, dass wir vor einem großen Wandel stehen mit einem Schülerrückgang um bis zu 40 Prozent." Einbinden will er auch Lehrer-, Eltern- und Schülerverbände: "Wir wollen offen und transparent sprechen."

Althusmann hat als Kultusminister erst vor wenigen Monaten seine Parteifreundin Elisabeth Heister-Neumann abgelöst, die mit ihrer zuweilen harschen Art Lehrer-, Eltern- und Schülerorganisationen gegen sich aufgebracht hatte. Althusmann bleibt jetzt trotz harter Einschnitte in anderen Ressorts von Stellenstreichungen bei den Lehrern verschont, muss aber etwa 40 Millionen Euro in seinem Etat einsparen. Dass er deshalb die Einstellung junger Lehrer im kommenden Jahr hinauszögert - mit Folgen für die Unterrichtsversorgung -, ist für den Minister noch nicht ausgemacht: "Das steht noch nicht fest, das will ich vermeiden." Wegen des Rückgangs der Schülerzahlen um 1,3 Prozent sieht Althusmann erneut eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung an den allgemeinbildenden Schulen gewährleistet. Für das Schuljahr 2011/2012 versprach Althusmann, eine langjährige Forderung der Lehrerorganisationen zu erfüllen und den Klassenteiler an den Gymnasien von jetzt 32 auf 30 zu senken. Damit würden die durchschnittlichen Klassengrößen entsprechend sinken. Auch für Schulleiter soll es dann wegen ihrer Verwaltungsarbeit zusätzliche Entlastungsstunden geben.