Der Sommer ist da, die Ferienzeit hat begonnen. Wer an die Küste fährt, hat die Qual der Wahl: Lübecker oder Mecklenburger Bucht?
Das Dünengras wiegt sich sanft im Wind, Sonnensegel spannen sich über die Liegen und Sessel in der Ostseelounge in Scharbeutz. Während man, ein beschlagenes Glas mit einem eiskalten Getränk in Händen, auf die türkis leuchtende Ostsee blickt, fühlt sich das Dasein leicht und unbeschwert an. Waschbeton und asphaltierte Wege waren gestern. In den Seebädern der Lübecker Bucht kämpfen die verantwortlichen Touristiker gegen den alten Mief. Endlich, möchte man sagen. "Gegen diese 70er-Jahre-Architektur kommen wir nicht an", sagt Joachim Nitz, Tourismusdirektor von Scharbeutz und Haffkrug, "aber man hat sich hier auch lange nicht um die Basisinfrastruktur gekümmert." Nitz, der seinen Job vor neun Jahren übernommen hat, hat das geändert und im Strandbereich kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. "Seit acht Jahren verfolgen wir ganz intensiv ein neues Strandkonzept." Inzwischen ist fast alles fertig. 25 Millionen Euro sind in den Küstenschutz und in die neue Promenade geflossen. Statt einer Betonpiste schlängelt sich die neue gepflasterte Promenade nun in warmen Farbtönen an Dünen entlang. Die Dünen gab es vorher nicht, sie wurden künstlich angelegt. "Wir wollten damit eine maritime nordische Atmosphäre schaffen", sagt Nitz. Mit aller Konsequenz: Sogar die Buden der Strandvermieter und die Klohäuschen haben einen weißen Anstrich und Reetdach bekommen.
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Die Zeiten, in denen Familien für drei Wochen zum Sommerurlaub kamen, sich einen Strandkorb mieteten und sonst keine großen Ansprüche stellten, sind definitiv vorbei. Die Gäste buchen kurzfristiger, kommen kürzere Zeit und sind auch noch anspruchsvoller. "Sie wollen Sport machen, feiern, grillen und Fußball spielen", sagt Nitz, "das war vorher alles verboten. Da gab es einen Strand mit Strandkörben, das war's." Inzwischen habe man verschiedene Strandbereiche geschaffen, in denen für alle Generationen vieles möglich ist.
Die Ostseebäder in Schleswig-Holstein haben Aufholbedarf. Knapp 10,7 Millionen Übernachtungen an der schleswig-holsteinischen Ostsee stehen 28,5 Millionen Übernachtungen an der ostdeutschen Küste gegenüber. Das waren 2009 im Westen drei Prozent plus gegenüber 2008, im Osten 3,5 Prozent. "Wir haben den Tourismus seit 1990 vervierfacht. Das ist eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte", sagt Tobias Woitendorf vom Landestourismusverband Mecklenburg-Vorpommern.
Wenn er erzählt, dass Mecklenburg-Vorpommern laut der Sommeranalyse des Europäischen Tourismusinstituts in Trier Deutschlands Reiseziel Nummer eins ist, klingt er dabei sehr stolz. Die Konkurrenz zwischen Ost und West ist dann deutlich zu spüren. Umso mehr freut es den Sprecher des Tourismusverbandes, dass Darßer Ort mit 2158 Sonnenstunden im Jahr deutschlandweit ebenfalls an erster Stelle steht - Fehmarn in Ostholstein belegt mit 2152 Sonnenstunden laut Deutschem Wetterdienst den zweiten Platz. Dank der Ostseeautobahn A 20 ist Mecklenburg-Vorpommern seit fünf Jahren auch sehr gut zu erreichen.
"Bis zur deutschen Wiedervereinigung waren hier paradiesische Zustände", sagt Christian Jaletzke, Geschäftsführer der Tourismus GmbH in Timmendorfer Strand. "Wenn die Sonne in Hamburg scheint, kommt die halbe Stadt hierher", sagt Jaletzke lächelnd. Inzwischen haben die Hamburger und sogar die Schleswig-Holsteiner aber auch den Nordosten für sich entdeckt.
Für den Tourismus in Schleswig-Holstein sei der Mauerfall der "mittlere GAU" gewesen. "In den Osten sind immense Strukturhilfen geflossen, in vielen Orten ist eine schöne, neue Infrastruktur entstanden, und die Anbieter haben eine sehr gute Preis-Leistungs-Politik gemacht. Und gleichzeitig gab es in Schleswig-Holstein vielfach Agonie und mangelnde Professionalität. Viele Vermieter hätten gesagt, "die Urlauber sind doch immer gekommen". Weil dem nicht so ist, denkt Jaletzke sich immer wieder Veranstaltungen aus. Auch die drei in die Jahre gekommenen Seebrücken werden in den kommenden Jahren neu gebaut.
Die Fehler, die an der holsteinischen Ostseeküste in den 70er-Jahren gemacht worden sind, wollten sich die Mecklenburger von Anfang an ersparen. Waschbeton, klobige Appartementburgen gibt es kaum, mal abgesehen von den Plattenbausiedlungen aus DDR-Zeiten und dem gigantischen Gebäudekomplex der Nazis im Ostseebad Prora. Wer zum ersten Mal an die mecklenburgische Ostseeküste fährt, ist überrascht, wie lieblich die Orte sind. Viele Straßen haben Kopfsteinpflaster, die Häuser sind gepflegt. Und dann diese hügelige Landschaft mit dem endlos erscheinenden Grün. Fährt man die Alleen zwischen Groß Schwansee und Ahrenshoop entlang, fallen die vielen Hinweisschilder auf Keramikwerkstätten, auf Hofcafés und Bauernhöfe auf. "Wir erleben gerade einen Boom an Direkterzeugern und Hofläden", sagt Tobias Woitendorf. In einer neuen Übersichtskarte sind 92 Hofläden, Hofcafés und Direktverkäufer aufgelistet - 29 mehr als vor zwei Jahren. "Bio liegt im Trend, und regionaltypische Produkte gehören für immer mehr Gäste zum Urlaub dazu", so Mathias Lötge, Präsident des Landestourismusverbandes.
"Wir haben nach der Wende aufgepasst", sagt Hans Götze. Er ist Bürgermeister von Ahrenshoop. "Wir haben erkannt, wo unser Weg hingehen kann. Unsere Orte haben ein eigenes Profil, sie sind traditionell gewachsen: Wustrow ist ein alter Seefahrerort, Ahrenshoop seit 1892 eine Künstlerkolonie." Planungsrechtlich wurde hier viel gearbeitet, damit der Ort nicht zugebaut werden kann. Auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst zwischen Rostock und Stralsund dominieren Reethäuser. Im Osten heißen sie Rohrdachhäuser.
Und doch hat auch Ahrenshoop nun ein Riesenhotel. "Grand Hotel Moderne" ist ein Fünf-Sterne-Haus am Ortsausgang. Der 25-Millionen-Euro-Komplex mit 140 Betten ist am Standort des ehemaligen Kurhauses Ahrenshoop gebaut und wird im Herbst offiziell eröffnet. Es soll das einzige Hotel dieser Größe im Ort bleiben. Eigentlich passt das Haus, das mit seinen gläsernen Balkonen und den treppenförmig gebauten Etagen an ein Schiff erinnert, nicht so richtig in den beschaulichen 700-Einwohner-Ort.
Jedenfalls nicht auf den ersten Blick, aber die Menschen in Ahrenshoop sind unkonventionellen Bauten gegenüber aufgeschlossen. Beim Rundgang durch den Ort zeigt Bürgermeister Götze auf ein Haus ganz aus Reet. Ein wirklich schöner Architektenscherz. So etwas ist hier erlaubt. Luxushotels mit fünf Sternen wie das Grand Hotel Moderne sind es eben auch. Modern und zeitgemäß soll das Haus sein. "Wir bieten eine hochwertige Ausstattung und die exklusive Serviceleistung eines klassischen Grandhotels", sagt Hoteldirektorin Elke Hallerbach. In der Küche ist die Devise: handgemacht und hausgemacht. "Wir müssen keine Rinderfilets aus Übersee einfliegen lassen, wenn wir hier jemanden vor der Haustür haben, der Rinder züchtet."
Die Touristen wollen - ob in Ost oder West - aktiv sein, die Natur erfahren, wandern, Rad fahren. Und sie wollen etwas erleben - ob Störtebeker-Festspiele auf Rügen, Schlossfestspiele in Schwerin oder Schleswig-Holstein Musik Festival oder Kieler Woche.
Das traditionelle Klein-Klein der örtlichen Tourismusbetriebe zu überwinden, hat der Nordosten besser geschafft. In der Lübecker Bucht bemüht man sich darum inzwischen auch vehement. Für mehr Professionalität sollen die geplanten lokalen Tourismusorganisationen sorgen, zu denen sich jeweils mehrere Orte zusammenschließen wollen, um ihre Angebote miteinander abzustimmen und gemeinsam zu vermarkten. "Die Orte merken, dass sie nicht mehr die Mittel haben, für sich allein zu werben", sagt Sabine Natebus, Sprecherin der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein GmbH.
Und die Konkurrenz liegt nicht nur im benachbarten Bundesland, sondern in Italien, Spanien, auf den Kanaren: "Die Menschen haben viel mehr Vergleiche als früher", sagt Katja Lauritzen, Geschäftsführerin des Ostsee-Holstein-Tourismus e. V.: "Wir haben hier kein Usedom und kein Rügen, auch nicht diese Wellnesshotellerie wie im Nordosten. Aber wir haben Gebiete wie die Schleiregion, die auch gerade entdeckt werden." Neue Ferienhausdörfer entstehen im Osten wie im Westen. Sie entsprechen dem Feriengefühl vor allem jüngerer Leute.
Ein Plus der Lübecker Bucht: "Wir haben hier die kürzesten Entfernungen", sagt Nitz. Enorm wichtig ist deshalb auch der Tagestourismus an der Ostsee. Dessen Bedeutung ist nach Angaben von Lauritzen fast gleichauf mit dem Übernachtungstourismus. Weil die Aufenthaltsdauer vieler Gäste immer kürzer wird, sind auch hier Hotelbetten immer stärker gefragt. "Wir haben 12 000 Gästebetten, davon sind 1000 Hotelbetten. Unsere Partnergemeinde Kühlungsborn hat 14 000 Gästebetten, davon 8000 Hotelbetten, und die Hotels sind alle nicht älter als 15 Jahre", weiß Olaf Dose-Miekley, der Tourismuschef von Grömitz. "Und die Investoren werden dort immer noch gepampert." Für die Lübecker Bucht sei es eine der größten Aufgaben der nächsten Jahre, neue Hotels anzusiedeln. Es gibt dafür ein paar Filetgrundstücke, die das Interesse potenzieller Investoren wecken dürften. In Scharbeutz soll das Hallenbad direkt an der Promenade abgerissen werden und ein Hotelneubau entstehen. Und auch in Grömitz ist direkt am Strand ein großes Gelände frei.
Ähnlich wie Scharbeutz hat auch Grömitz seine Promenade und den Strand den modernen Anforderungen angepasst. Auch hier wurden Dünen angelegt und eine Hafenpromenade. Am Strand ließ der Tourismuschef fünf Strandkorb-Abschnitte umwidmen, unter anderem für Beachvolleyball und Beachsoccer. Gegen mächtigen Widerstand. "Aber auch bei den politischen Entscheidungsträgern hat ein großes Umdenken stattgefunden", sagt Dose-Miekley. Wie mühsam das war und wie lange es gedauert hat, kann man seiner Mimik entnehmen. Auch Grömitz gibt sich viel jünger, auch hier gibt es eine Ostseelounge und Kinderbetreuung.
Wie Schleswig-Holstein rüstet sich Mecklenburg-Vorpommern weiter für die Zukunft. Vor zwei Jahren wurde der neue Ferienpark Weiße Wiek auf der ehemals militärisch genutzten Halbinsel Tarnewitz eröffnet. Kosten: 100 Millionen Euro. Zu dem neuen Urlaubsrevier gehören eine Marina mit 290 Liegeplätzen und zwei Hotels mit 950 Betten. Auf Usedom wird gerade die längste Promenade Europas geplant. Sie soll von Heringsdorf auf einer Länge von zwölf Kilometern bis ins polnische Swinemünde verlaufen. Die längste Promenade beanspruchen auch die Touristiker der Lübecker Bucht: "Von Timmendorfer Strand bis Neustadt werden wir 25 Kilometer haben", sagt Nitz.