Das Weltnaturerbe ist ein wirtschaftlicher Erfolg. Aber Fischer wissen nicht, wo sie fischen dürfen. Naturschützer sind gegen weitere Ölförderung
Kiel. Das Weltnaturerbe Wattenmeer ist wirtschaftlich ein Erfolg. Seit der Verleihung des Unesco-Titels vor einem Jahr wirbt die Tourismusbranche in Holland, Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit dem "Gütesiegel der Weltgemeinschaft" und lockt so mehr Urlauber an die Nordsee. Ökologisch ist die Bilanz durchwachsen, weil neben dem Urlaubsboom auch Erdölförderung, Fischerei und Öko-Pannen die Naturlandschaft belasten.
Solche Sorgen quälen Kiels Umweltministerin Juliane Rumpf (CDU) nicht. Sie stimmte eine Lobeshymne zum morgigen Geburtstag des Welterbes an. "Alle sind sich einig über den tollen Naturschutz." Durch den Öko-Status sei das Wattenmeer weltweit bekannter geworden. "Es sind mehr internationale Besucher zu sehen."
Die Begeisterung über den Urlauberboom wird von Naturschützern nicht geteilt. "Mehr Touristen bedeuten auch mehr Probleme", weiß die BUND-Meeresschutzexpertin Nadja Ziebarth aus Bremen. An der niedersächsischen Küste würden neue Hotels und Appartementblocks entstehen, dazu Einrichtungen zur "Bespaßung" der Urlauber. Wie Ziebarth forderte WWF-Projektleiter Hans-Ulrich Rösner aus Husum einen "sanfteren" Tourismus. Es gehe nicht an, in Dünen Hotels zu errichten und den Flugverkehr auf die nordfriesischen Inseln auszubauen.
Die Mängelliste der Naturschützer ist lang. Ganz oben steht Deutschlands größte Ölförderanlage, die Bohrinsel Mittelplate. Sie liegt im Wattenmeer vor der Küste Dithmarschens, pumpte im vergangenen Jahr etwa 1,6 Millionen Tonnen Öl zur Landstation. "Die Förderkonzession läuft Ende 2011 aus und darf keinesfalls verlängert werden", fordert Ziebarth. Andernfalls könnte die Unesco das Wattenmeer von der Welterbeliste streichen.
Schleswig-Holsteins Umweltministerin verteidigte die Ölförderung. "Ich habe keine Bedenken gegen eine Verlängerung der Konzession, wenn die Sicherheit gewährleistet ist." Eine Katastrophe wie vor Florida sei vor Dithmarschen ohnehin nicht möglich. Mittelplate ist quasi unsinkbar. Sie liegt in der Meldorfer Bucht auf einer Sandbank. Einen Rüffel der Unesco erwartet Rumpf nicht, weil das Wattenmeer bewusst ohne die umstrittene Bohrinsel als Welterbe angemeldet wurde.
Der Energiekonzern RWE/Dea, der Mittelplate betreibt, verweist auf die hohen Sicherheitsstandards und das riesige Ölvorkommen unter dem Watt. Der Antrag für eine Folgekonzession sei bereits gestellt, sagte Konzernsprecher Derek Mösche. Mit einer Genehmigung sei "in Kürze" zu rechnen. Das zuständige Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover hat kaum Spielraum. Es muss nach altem Bergrecht entscheiden und die Konzession verlängern, wenn Öl vorhanden und sicher zu fördern ist. Mit am Ölhahn hängt Schleswig-Holstein. Es kassierte 2009 rund 75 Millionen Euro Förderzins, den Löwenanteil davon für das Watt-Öl.
Streit gibt es nicht nur ums Öl. Der strengste Schutzbereich im Nationalpark, die Nullnutzungszone zwischen Sylt und Föhr, ist immer noch nicht in den Seekarten eingezeichnet. Wer dort fischt, kann sich vor Gericht weiterhin auf einen Verbotsirrtum berufen. Rumpf räumte das Problem ein, schob den Schwarzen Peter aber zum Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie. Das allerdings produziert Karten für die Schifffahrt. Nullnutzungszonen hätten "keine nautische Relevanz".
Auf dem Welt-Gütesiegel liegen weitere Schatten wie etwa die Strandparkplätze in St. Peter-Ording. Daneben drohen neue Gefahren. Für Windparks vor der deutschen Küste müssen Stromkabel durch das Watt verlegt werden, und in der Nordsee machen sich immer mehr fremde Tierarten breit wie die Pazifische Auster. Die Umweltministerin kündigte eine "Strategie gegen invasive Arten" an. Bei den Austern räumte das Ministerium einen Irrtum ein. Vor mehr als 20 Jahren waren Pazifik-Austern mit Segen Kiels vor Sylt ausgebracht worden, im Glauben, dass die Großmuscheln sich in der kühlen Nordsee nicht vermehren.
Lieber sprach Rumpf darüber, dass das Welterbe wachsen soll. Hamburg will sein Watt 2011 anmelden, Dänemark könnte mitziehen. Die Ministerin rührte zugleich die Werbetrommel. Für Touristen wurden gleich drei "Naturerlebnisangebote" entwickelt, darunter ein Faltblatt über fünf Großtiere im Wattenmeer. Vorbild ist die PR-Kampagne afrikanischer Nationalparks mit ihren "Big Five" Elefant, Löwe, Nashorn, Büffel und Leopard. Dagegen setzt Schleswig-Holstein ein Watt-Quintett aus Seehund, Kegelrobbe, Schweinswal, Seeadler und Stör.