Bundesweit gibt es etwa 230 000 Obdachlose - davon im Westen mehr als im Osten. Dort stehen mehr Wohnungen leer, die Kommunen günstig vermieten.

Schwerin/Rostock/Bielefeld. In der Schweriner Wohnungslosenunterkunft ist in diesen kalten Wintertagen noch reichlich Platz. „Wir könnten noch viele aufnehmen“, sagt Leiterin Barbara Bays. Auch für Essen ist gesorgt. Aber: „Es gibt keine echten Obdachlosen.“ Bays kennt in der Landeshauptstadt einen einzigen Mann, „so einen Waldmenschen“, der auch jetzt draußen schlafe und nicht einmal verfroren aussehe. Allerdings habe sie die Polizei gebeten, ein Auge auf ihn zu haben. Immerhin sind in diesem Winter in Deutschland schon mindestens neun Obdachlose erfroren.

Sie gehörten zu den etwa 230 000 Obdachlosen bundesweit, wie die stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Bielefeld, Werena Rosenke, sagt.

Eine Statistik gebe es nicht. Rund 20 000 lebten ganz und gar auf der Straße, zumeist in den großen Städten. In Ostdeutschland seien etwa 27 000 Menschen und damit im Verhältnis zur Einwohnerzahl deutlich weniger ohne Wohnung als im Westen. „Der Grund dafür ist der höhere Wohnungsleerstand im Osten“, meint Rosenke. Daher würden die Kommunen Menschen, denen der Verlust ihrer Wohnung drohe, eher billigen Wohnraum überlassen. Von den neun Obdachlosen, die in diesem Winter bislang erfroren sind, hatten zwei in den neuen Bundesländern gelebt, in Thüringen und Brandenburg.

Schwerin gehört einer Studie zufolge zu den deutschen Städten mit dem höchsten Wohnungsleerstand – 15,4 Prozent waren es 2008. Dennoch heißt es in der Landeshauptstadt wie auch in Rostock, der einzigen Großstadt Mecklenburg-Vorpommerns, ganz so einfach sei das mit den Obdachlosen nicht. „Wenn jemand Mietschulden hat, nimmt einer unserer vier Sozialberater sofort Kontakt zu ihm auf“, berichtet Britt Serwatka, Sprecherin des größten Wohnungsunternehmens des Landes, der Rostocker Wiro. Gemeinsam mit Ämtern und Jobcentern werde nach Lösungen gesucht. Es könnten Ratenzahlungen vereinbart oder die Miete vom Amt direkt überwiesen werden. „Viele Probleme sind lösbar, sie müssen nicht zu Obdachlosigkeit führen“, meint Serwatka. Natürlich sei ein Mieterwechsel aufgrund von Klage und Räumungsverfahren auch für das Unternehmen teuer und soll möglichst vermieden werden.

Dennoch verlieren Menschen auch in Rostock ihre Wohnung, oft durch Trennung vom Lebenspartner, wie die sozialpädagogische Mitarbeiterin Irene Koczor vom Rostocker Obdachlosenhilfe-Verein berichtet. Laut Rosenke sind die Gründe für Wohnungslosigkeit zuerst Schulden, dann soziale Fakten wie Trennung oder Gewalt in der Familie. Koczor beobachtet, dass immer mehr junge Männer und Frauen kommen, die von zu Hause weg wollen, keine Ausbildung, aber oft Drogenprobleme haben. Viele hätten keinerlei finanzielle Bezüge, keine Papiere, keine Krankenversicherung. Der Verein erledige Ämtergänge, helfe beim Antrag auf Sozialgeld. Die Obdachlosen erhielten einen Mietvertrag und hätten damit auch wieder eine Adresse. Eigentlich seien sie dann keine Obdachlosen mehr, aber Wohnungslose, erläutert Koczor den Unterschied. Manche lebten jahrelang in der Einrichtung, etwa in einem Zweibettzimmer in einer WG für acht Personen. „Aber der Wunsch nach einer eigenen Wohnung steht bei allen.“

Auch Rosenke möchte mit dem Mythos vom „Berber“ Schluss machen, der komplett auf der Straße lebt, von Ort zu Ort zieht und es gar nicht anders will. „Die das machen, sind eine sehr kleine Minderheit“, sagt sie. Die meisten auf der Straße seien eher Leute, „die nirgendwo mehr reinpassen“, mit Alkohol- und Drogenproblemen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wie sich das Problem der Obdachlosigkeit in Ost und West weiterentwickle, sei nicht abzusehen. Nach Erfahrungen der Bundesarbeitsgemeinschaft hängt viel vom Wohnungsmarkt ab. Gebe es dort eine Entspannung, dürften Mieter mit Problemen eher in den Wohnungen bleiben als bei einem angespannten Markt.