8500 Menschen mussten während der Entschärfung ihre Häuser verlassen, darunter 320 männliche und 140 weibliche Gefangene.
Vechta. Für die einen war es ein Hauch von Freiheit, für die anderen das abrupte Ende des Weihnachtswochenendes: Zur Entschärfung einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg haben Tausende Menschen in Vechta gestern ihre Häuser verlassen müssen. Ein Alten- und ein Pflegeheim sowie zwei Gefängnisse wurden komplett, ein Krankenhaus teilweise geräumt. Insgesamt waren 8500 Einwohner von der seit Monaten geplanten Aktion betroffen.
Anders als erhofft, konnte der Blindgänger aber nicht an Ort und Stelle entschärft werden. Der Kampfmittelräumdienst brachte die Zehn-Zentner-Bombe per Tieflader an einen eigens eingerichteten Sprengplatz und zündete sie dort am Nachmittag.
Die Evakuierung hatte am frühen Morgen begonnen. Während viele Vechtaer Bürger die Situation nutzten, um Verwandte zu besuchen oder Ausflüge zu unternehmen, hatten die Insassen der beiden Vechtaer Gefängnisse keine Wahl: Die 140 Frauen und 320 Männer wurden mit insgesamt 18 Bussen in Gefängnisse nach Hannover, Oldenburg und Meppen gebracht.
Dort verbrachten die Gefangenen die Zeit mit Sport, Fernsehen, Gesellschaftsspielen und gemeinsamem Kochen. Die Mitarbeiter der beiden Justizvollzugsanstalten (JVA) mussten ebenfalls die Gebäude verlassen. Der Leiter der Männer-JVA, Rainer Karsten, schloss persönlich die Eingangspforte von außen ab. Ein "merkwürdiges Gefühl" sei das schon, sagte Karsten. Noch nie in der über 100-jährigen Geschichte des Vechtaer Männergefängnisses sei es vorgekommen, dass alle das Gebäude verlassen mussten. Vechta ist eine Haftanstalt für sogenannte Jungtäter - Kriminelle, die beim Antritt ihrer Strafe zwischen 21 und 24 Jahre alt sind. "Wir haben hier sowohl Klein- als auch Schwerkriminelle einsitzen", sagt JVA-Sprecherin Brigitte Fritsch. Der wegen Drogenhandels verurteilte Marcel Perlich (26) ist schon seit knapp zwei Jahren in Haft. Er sagte gestern über den Bomben-Ausflug: "Man kommt mal raus und sieht was anderes."
Mehr als 600 Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, Rotem Kreuz und Technischem Hilfswerk sorgten dafür, den einen Kilometer um den Fundort gezogenen Sicherheitsbereich zu räumen. Die Helfer klingelten an jeder Haustür, um sicherzugehen, dass sich niemand mehr in der Gefahrenzone aufhält. Für die Bürger war in einer Schule eine Notunterkunft eingerichtet worden.
Verantwortlich für die Entschärfung der Bombe war Sprengmeister Thomas Gesk, der seit fast 20 Jahren mit Blindgängern arbeitet und in dieser Zeit 630 Bomben unschädlich machte. Routine habe sich in all den Jahren dennoch nicht eingestellt, sie sei auch gefährlich in diesem Beruf, sagt der 51-Jährige. "Wenn es Routine wird, macht man Fehler, und das ist dann der letzte Fehler, den man macht." Dass auf einem Feld am Rande der Vechtaer Innenstadt in knapp fünf Meter Tiefe eine Fliegerbombe liegen könnte, hatte die Auswertung von Luftbildern ergeben.