Winzige Spuren führen zum Täter. Erst moderne Untersuchungsmethoden helfen bei der Lösung alter Fälle.

Cuxhaven/Hannover/Kiel. 21 Jahre war Swantje alt, als sie im August 1981 in Neuenkirchen im Kreis Cuxhaven an rund 60 Messerstichen verblutete. 27 Jahre danach hat die Polizei jetzt auf der Basis neuer DNA-Untersuchungen alter Fundstücke vom Tatort einen 48-jährigen Tatverdächtigen verhaftet. Jetzt werden alle damaligen Zeugen erneut vernommen, um die genauen Tatumstände zu klären. Darauf kommt es, wie der zuständige Staatsanwalt Frank Reh gestern erläuterte, entscheidend an: "Wir müssen ihm einen Mord nachweisen, Totschlag verjährt nach 20 Jahren." Mord hat kein Verfallsdatum.

Mindestens laut Anklage ist in einem noch älteren Fall das Mordmerkmal gegeben. Weil sie im Mai 1977 aus Geldnot einen jungen Postbeamten in Hilter bei Osnabrück getötet haben sollen, als der 42 500 Mark zum Hauptpostamt bringen wollte, wird gerade drei heute 58, 60 und 65 Jahre alten Angeklagten vor dem Landgericht Osnabrück der Prozess gemacht. Beamte der zuständigen Mordkommission hatten sich den Fall 30 Jahre danach noch einmal vorgenommen und waren auf Ähnlichkeiten mit einem Überfall gestoßen, für den zwei der drei vor Gericht stehenden Männer wegen Raubmordes bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren.

Die Fälle von Cuxhaven und Osnabrück belegen, dass die alte Polizeiweisheit seltener stimmt, derzufolge mit jedem Tag die Wahrscheinlichkeit sinkt, einen mutmaßlichen Mörder zu überführen. Die immer besseren Analysemethoden der Landeskriminalämter etwa bei Genmaterial einerseits und der Spürsinn unzähliger Beamter beim regelmäßigen Aufarbeiten alter Mordakten führen immer häufiger zu späten Triumphen der Ermittler auch in spektakulären Fällen. Vor wenigen Wochen wurde ein Tatverdächtiger im Fall Yasmin Stieler aus Uelzen verhaftet, weil zwei Beamte des Polizeikommissariats Peine den Fall noch einmal aus dem Aktenschrank hervorgeholt hatten. Winzige Lacksplitter vom Tatort konnten dann einem Spaten aus dem Unternehmen zugeordnet werden, in dem der Verdächtige zur Tatzeit gearbeitet hatte. Er soll die 18-Jährige im Jahr 1996 bei Peine getötet und zerstückelt haben.

Die Wiedervorlage alter Mordfälle in unregelmäßigen Abständen gehört für die Mordkommissionen, Inspektionen und Kommissariate in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zur Routine. Die Aufklärungsquoten für Mord und Totschlag liegen regelmäßig deutlich über 90 Prozent, eben durch Aufklärung von Altfällen erreichte Niedersachsen im Jahre 2007 sogar eine Quote von über 102 Prozent bei Mord.

Bei 50 bis 70 Fällen von Mord und Totschlag in Schleswig-Holstein im Jahresmittel und etwa 270 bis 300 Fällen in Niedersachsen heißt das aber eben auch, dass in der Vergangenheit die Berge offener Akten immer höher wurden. So liegen etwa bei der Staatsanwaltschaft Lübeck noch 29 "Altfälle" seit 1980.

Aber die Chancen, hier doch noch Tatverdächtige überführen zu können, steigen dank moderner Technik und der Einsicht der Politik, dass diese Technik auf breiter Front zur Verfügung stehen muss. Das LKA Niedersachsen etwa hat ein eigenes Kriminologisches Institut mit 185 Mitarbeitern, die pro Jahr 45 000 Untersuchungsanträge mit rund 250 000 Spuren und Vergleichsmaterial abarbeiten. Die Fachleute des Instituts erfahren dabei nichts über den konkreten Fall, sie arbeiten nur mit Nummern.

Staatsanwaltschaften, Polizeidienststellen und Gerichte schicken Jahr für Jahr mehr Material zur Prüfung, weil auch die Erfolge spürbar werden. Ein Grund dafür: Auch die Datenbankbestände mit DNA-Material von Verdächtigen und Straffälligen wachsen und damit die Trefferwahrscheinlichkeit. Bundesweit sind aktuell rund 570 000 Personen erfasst, darunter mehr als 11 000 aus Schleswig-Holstein und 30 000 aus Niedersachsen.

Auch der bislang spektakulärste DNA-Test mit 15 000 Teilnehmern hat 1998 in Norddeutschland stattgefunden. Wegen der Größenordnung gab es erst Kritik, aber Probe 3889 entlarvte dann den 30-jährigen Ronny R. als Mörder von Christina "Nelly" Nytsch aus Strücklingen in Niedersachsen, er gestand dann auch noch die Tötung der zwei Jahre zuvor spurlos verschwundenen 13-jährigen Ulrike Everts aus der Nähe von Oldenburg. Ebenfalls mithilfe der DNA-Analyse wurde im Herbst 2000 ein 37-jähriger Tontechniker wegen Dreifach-Mordes verurteilt. Er hatte 1986 die Eltern und den Bruder seiner damaligen Bekannten im Kreis Pinneberg getötet, die entscheidende DNA-Spur an einer Staubmaske identifizierte die schleswig-holsteinische Polizei im Juli 1997.