Austern vermiesen den Muscheln die Existenz. Und was tut der Thunfisch hier? Experten warnen vor Störungen des Ökosystems.
Husum/Lübeck. Pazifische Auster und Sardine in der Nordsee, Thunfisch und Rippenqualle in der Ostsee - exotische Arten tauchen immer häufiger vor norddeutschen Küsten auf - Folgen des Klimawandels, sagen Experten und warnen vor massiven Störungen des komplexen Ökosystems.
Thunfisch in der Lübecker Bucht! Zwar zappelte in diesem Sommer nur ein Exemplar im Netz eines Niendorfer Fischers. Experten sehen in dem Exoten aus Atlantik, Schwarzem oder Mittelmeer ein weiteres Indiz für den rapiden Klimawandel. Schon gar nicht mehr so selten ist die Rippenqualle, die im Schwarzen Meer heimisch ist. Erst kürzlich tauchte ein Exemplar am Timmendorfer Strand auf. In Nord- und Ostsee verbreiten sich fremde Arten explosionsartig - und konkurrieren mit heimischen Arten um Nahrung und Lebensraum.
Das schleswig-holsteinische Wattenmeer erobern sich exotische Arten wie die Australische Seepocke, die Amerikanische Kartoffelschnecke oder der Japanische Beerentang und vor allem die Pazifische Auster. Leidtragende ist hier insbesondere die einheimische Miesmuschel, die von der größeren Pazifischen Auster verdrängt werden könnte.
"Wir haben im gesamten Wattenmeer mittlerweile 52 eingeführte Arten entdeckt", sagt Kiels Umweltminister Christian von Boetticher (CDU). Die Mehrzahl kam einst zufällig etwa im Ballastwasser von Schiffen in die Nordsee, andere wurden gezielt im Watt angesiedelt. Doch ob unbemerkt eingeschleppt, gezielt angesiedelt oder aus eigener Kraft zugewandert: der Effekt für Nord- und Ostsee ist immer gleich bedrohlich.
Die Pazifische Auster etwa lebte einst nur vor Japan und Korea. Die scharfkantige Großmuschel wurde Mitte der 80er-Jahre vor Sylt zu Zuchtzwecken ausgesetzt, mit Genehmigung des Landes und im Glauben, dass sich die Exoten aufgrund der harten Winter in der Nordsee kaum vermehren. Seit 1996 macht sich aber der Klimawandel bemerkbar. Die Sommer werden wärmer, die Winter milder. Was früher im Norden den Kältetod starb, erschließt sich hier nun neue Lebensräume.
Anzeichen für den Klimawandel mehren sich dramatisch. "Die Wurfsaison der Seehunde verschiebt sich jährlich um etwa 0,8 Tage nach vorn", rechnet von Boetticher vor. Mitte der 80er-Jahre kamen die ersten Heuler Ende Juni zur Welt, heute bereits Anfang Juni. Betroffen ist auch die Fischerei. Der Kabeljau sei auf dem Rückzug, so der Minister. Auf dem Vormarsch sind dafür "südliche Arten" wie die Streifenbarbe und der Rote Knurrhahn.
Greenpeace-Experten sehen auch den Buckelwal, der unlängst vier Wochen lang vor Rügen und der Lübecker Bucht umherirrte, als Zeichen eines gestörten Ökosystems.
Langfristig ist sogar das gesamte Wattenmeer bedroht, weil der Meeresspiegel steigt und damit selbst bei Ebbe viele Schlickflächen unter Wasser stehen könnten. Experten gehen davon aus, dass das Ökosystem einen Meeresanstieg von 25 Zentimetern in 50 Jahren verkraftet und damit nach den heutigen Prognosen bis zum Ende des Jahrhunderts gesichert ist. Klar ist aber auch, dass bei einem Anstieg von 50 Zentimetern in 50 Jahren rund 15 Prozent der Wattflächen und damit wichtige Futterplätze für Vögel verloren wären.
"Wie es im Wattenmeer in 100 Jahren aussieht, hängt auch davon ab, wie viel wir heute für den Klimaschutz tun", mahnt der Minister. So oder so dürften die Exoten im Watt prächtig gedeihen und weitere ungebetene Gäste dazukommen. Austernschalen liegen heute an fast jedem Strand der Nordsee, und aus vielen Miesmuschelbänken sind Austernriffe geworden. Diese Riffe bieten zwar wiederum jungen Miesmuscheln Schutz, sodass Biologen darüber streiten, ob und wann die Auster sich endgültig durchsetzt. "Das Wattenmeer ist ein so komplexes System, dass Prognosen kaum möglich sind", sagt von Boetticher. Auch was die Rippenqualle in der Ostsee für die ohnehin dezimierten Dorschbestände bedeutet, kann keiner sagen.
Wie fundamental sich der Lebensraum Meer ändern kann, zeigt das Beispiel der ursprünglich nordpazifischen Kamtschatkakrabbe. Die wurde Ende der 1960er-Jahre in der Barentssee angesiedelt und hat sich inzwischen 1000 Kilometer weit bis Norwegen durchgefressen.