Wenn Kammer 4 zusammenbricht, droht eine radioaktive Verseuchung im gesamten Salzstock. Gibt es noch eine Sicherung? Die Zeit läuft davon.
Hannover. Das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) weiß noch nicht, wie er mit der neuen Gefahrenlage im Atom-Endlager Asse bei Wolfenbüttel umgehen will. Dort ist eine Lagerkammer mit 6000 Atomfässern einsturzgefährdet. Aber erst am 29. Januar werden die Fachleute laut BfS entscheiden, ob die gefährdete Kammer 4 stabilisiert wird und ob neue Barrieren gebaut werden, die bei einem Einsturz verhindern sollen, dass das ganze alte Salzbergwerk radioaktiv verseucht wird.
Stefan Wenzel (Grüne), Vorsitzender des Umweltausschusses im niedersächsischen Landtag, äußerte Zweifel an der Darstellung, in der akut betroffenen Kammer lagerten lediglich schwach radioaktiv belastet Fässer. "Die Kammer 4 ist die erste, die von 1967 bis 1971 befüllt wurde. Da ist der Müll reingekommen, der damals schon in der Bundesrepublik angefallen ist." Aber was in die Asse hineingekommen ist, sei damals nicht kontrolliert worden. Es gebe nur Angaben von Lieferanten. Marode Asse - wie geht es weiter?
Welche Folgen hätte ein Einsturz von Kammer 4?
Der Leiter des Referats Endlagerung im niedersächsischen Umweltministerium, Joachim Bluth, sieht die Gefahr, dass ein Zusammenbruch der Kammer zu stärkeren Laugenzuflüssen im Endlager führen könnte. Solche Zuflüsse aber drohen das komplette Konzept der sicheren Endlagerung von rund 125 000 Fässern in der Asse für einen Zeitraum von mindestens 100 000 Jahren zu durchkreuzen. Denn über die Flüssigkeit kann die Radioaktivität wieder an die Erdoberfläche gelangen.
Wie viel Zeit bleibt?
Auf diese entscheidende Frage gibt es derzeit keine Antwort. Das Bergwerk ist, so hat es Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ausgedrückt, "durchlöchert wie ein Schweizer Käse". Es besteht nicht nur bei der Kammer 4 Einsturzgefahr. Gegenwärtig wird untersucht, ob das alte Bergwerk mit Beton über das Jahr 2014 hinaus stabilisiert werden kann. Nur wenn dies möglich ist, kann Gabriel sein Versprechen halten, auch eine Rückholung des Atommülls ergebnisoffen zu prüfen.
Ist eine Rückholung überhaupt machbar?
Diese Frage wird von den Fachleuten bejaht, aber sie wäre mit einem gigantischen Aufwand verbunden. Erste Schätzungen gehen von mindestens 2,5 Milliarden Euro Kosten aus, und es würde 25 Jahre dauern. Weil damit zu rechnen ist, dass ein Teil der zwischen 1967 und 1978 eingelagerten Fässer bereits verrostet ist, könnten die Bergleute immer nur stundenweise vor Ort arbeiten, damit die Belastung mit radioaktiver Strahlung im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen bleibt. Entweder unter Tage oder oberirdisch müsste zudem ein großes Zwischenlager gebaut werden, um den Atommüll neu zu packen für eine spätere Unterbringung im Endlager Schacht Konrad.
Wer bezahlt das eigentlich?
Die Steuerzahler. Zwar tragen eigentlich die Atomstromkonzerne die überwiegenden Kosten der atomaren Endlagerung, die Asse aber ist als Forschungsbergwerk in der Regie des Bundes betrieben worden. Deswegen steht die Bundesrepublik für die Folgekosten gerade.
Wer führt Regie?
Bis Ende 2008 war das Bundesforschungsministerium und in dessen Auftrag das Helmholtz-Zentrum München für Asse zuständig. Mit dem neuen Jahr hat das Bundesamt für Strahlenschutz die Regie übernommen, nun gilt statt des Bergrechts das ungleich strengere Atomrecht. Das Bundesamt gehört zum Bundesumweltministerium, dessen Chef Sigmar Gabriel sagt, der Betrieb der Asse sei unter dem Helmholtz-Zentrum "teilweise unsachgemäß und unter Vernachlässigung von Schutzforderungen erfolgt".
Was sagt die Justiz dazu?
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat in dieser Woche die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt. Es gebe keine Anhaltspunkte für illegale Einlagerungen, und auch das Vorgehen der Behörden nach Berg- und nicht nach Atomrecht sei "rechtlich vertretbar" gewesen.
Die Asse-Kritik des niedersächsischen Umweltpolitikers Stefan Wenzel unter www.abendblatt.de/nord