Die ehemalige niedersächsische AOK-Chefin Christine Lüer ist wegen Untreue in einem besonders schweren Fall zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Hildesheim. Ins Gefängnis muss die 52-Jährige jedoch nicht, da die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem muss Lüer eine Geldbuße in Höhe von 20 000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Die Angeklagte habe unrechtmäßig eine Bonuszahlung von 45 000 Euro verlangt und kassiert, sagte der Vorsitzende Richter der Wirtschaftskammer am Landgericht Hildesheim, Bernhard Krause. Die beiden mitangeklagten damaligen Verwaltungsratsvorsitzenden, die die Sonderzahlungen abgesegnet hatten, wurden freigesprochen.

"Für die Zahlung des Bonus gab es keine schriftliche und unterschriebene Zusage der zuständigen Gremien der AOK Niedersachsen", begründete Krause die Entscheidung des Gerichts. Die damalige Vorstandsvorsitzende Lüer habe Kraft ihrer Autorität einen untergebenen Mitarbeiter dazu gebracht, den Betrag auszuzahlen. Eine rechtliche Grundlage habe es nicht gegeben. Erst bei einer Prüfung Monate später war die Auszahlung aufgefallen. Bei den folgenden wochenlangen Schlagzeilen wurde das Image der größten Krankenkasse in Niedersachsen mit etwa 6000 Mitarbeitern und 2,2 Millionen Versicherten beschädigt. "Ich akzeptiere das Urteil nicht", sagte die ganz in Schwarz gekleidete Angeklagte nach der Verkündung. Ihr Verteidiger, Johann Schwenn, kündigte umgehend Revision gegen die Entscheidung der Wirtschaftsstrafkammer an. "Meine Mandantin hat sich nichts vorzuwerfen. Zudem fehlte ihr die Vermögensbetreuungspflicht." Außerdem zweifelte er die Glaubwürdigkeit eines mitangeklagten Verwaltungsratsvorsitzenden an. Dieser hatte in dem Verfahren angegeben, den Bonus von 45 000 nicht genehmigt zu haben. Das Gericht glaubte dieser Aussage jedoch.

Lüer hatte im Jahr 2002 neben ihrem Jahresgehalt von 150 000 Euro und einer variablen Vergütung in Höhe von 30 000 Euro einen Bonus von 45 000 Euro kassiert. Begründet wurde dies mit einem von Lüer eingeführten erfolgreichen Sparprogramm sowie erheblicher Mehrarbeit. Im Jahr darauf floss eine weitere Sonderzahlung von 15 000 Euro auf ihr Konto. Von diesem Anklagepunkt war die 52-Jährige jedoch freigesprochen worden. Inzwischen hat sie die Hälfte der unberechtigt erhaltenen Sonderzahlungen an die AOK zurückgezahlt. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft, Lüer solle auch den restlichen Betrag von 30 000 Euro an die Krankenkasse überweisen, schloss sich das Gericht nicht an.

Das Urteil in dem Strafverfahren könnte auch Einfluss auf die Zivilklage von Lüer gegen ihre fristlose Entlassung bei der AOK nehmen. Diese Verhandlung wird am kommenden Freitag (16.) vor dem Landgericht Hannover fortgesetzt. Einen Vergleichsvorschlag des Gerichts zur Zahlung von mindestens 350 000 Euro an Lüer hatte die AOK abgelehnt. Die AOK Niedersachsen sieht sich durch das Strafgerichtsurteil im Hinblick auf die fristlose Entlassung ihrer damaligen Vorstandsvorsitzenden voll bestätigt. Zudem sei der noch anstehenden Zivilklage von Christine Lüer nun jegliche Grundlage entzogen, sagte ein Sprecher der Krankenkasse.