Der Vater war lange arbeitslos und hatte wieder einen Job. “Ganz liebe, nette Leute“, sagt der Vermieter.

Bad Bramstedt. Eine Kleinstadt steht unter Schock. Eine ganze Familie ist hinter den Mauern des 100 Jahre alten Mehrfamilienhauses am viel befahrenen Landweg gestorben, doch niemand hat es bemerkt. Die Nachricht über den Tod von Rüdiger (38) und Jennifer W. (33) sowie der beiden Kinder Angelina (12) und Justin (11) verbreitet sich unter den 13 000 Einwohnern des Kurorts rasend schnell. Eine Erklärung für die Gewalttat hat hier niemand.

Freitagvormittag: In dem gelb gestrichenen Haus sichern Experten der Kriminalpolizei Spuren. Die Jalousinen sind heruntergelassen. Zwei Polizistinnen tragen aus einem Streifenwagen kleine Käfige und holen Tiere aus der Fünfzimmer-Wohnung. Ein Tierheim wird sich jetzt um die Kaninchen und die jämmerlich miauenden Katzen kümmern.

"Was ist nur los mit den Menschen?", fragt sich völlig entsetzt Bürgervorsteherin Annegret Mißfeldt, als sie die Nachricht von dem Familiendrama erhält. Erst Harrislee, dann Bad Bramstedt - der Grundschulleiterin fehlen die Worte. "Entsetzlich, dass so etwas in der unmittelbaren Nachbarschaft passiert", sagt Bürgermeister Hans-Jürgen Kütbach. In Harrislee an der dänischen Grenze hatte Anfang der Woche ein Mann seine Frau und seine Tochter umgebracht.

Dörthe Jakubzik (64) und ihr Mann Günther (72) hatten am Donnerstagabend Rettungswagen, Notarzt und Polizei im Nachbarhaus gesehen und sich gewundert, warum stundenlang die Fahrzeuge vor der Tür standen.

Die Polizei hatte sich kurz zuvor entschlossen, die Tür von einem Schlüsseldienst öffnen zu lassen, nach dem eine Vermisstenmeldung in der kleinen Bad Bramstedter Wache eingegangen war. Rüdiger W., der als zuverlässig galt, war seit Dienstag nicht mehr zur Arbeit gekommen. Die Kollegen waren in Sorge. Die Polizei wurde alarmiert.

Dass in dem Haus ein Verbrechen passiert sein könnte, ahnten Dörthe und Günther Jakubzik, als die Kripo-Spezialisten mit den weißen Overalls auftauchten. Unbemerkt von den Nachbarn holten nachts Bestatter die Leichen ab und fuhren sie zur Rechtsmedizin in die Landeshauptstadt Kiel. Dort soll geklärt werden, wie die Familie starb.

Erst im Herbst sei die Familie W. nach Bad Bramstedt gezogen, erzählt Dörthe Jakubzik. Früher habe der Stadtarchivar in dem Haus gelebt. Kontakte habe die Familie mit den Nachbarn nicht gesucht. Nur der elf Jahre alte Justin sei aufgefallen, weil er so freundlich gewesen sei. "So ein Drama hier in Bad Bramstedt - ich kann es gar nicht glauben", sagt die 64-Jährige.

"Ganz liebe, nette Leute", sagt der Stralsunder Rechtsanwalt Stefan Blume über die Familie. Ihm gehört die Wohnung in dem gelben Haus, in dem sich außerdem eine Praxis für Naturheilkunde und zwei weitere Wohnungen befinden. Blume: "Ich bin sehr betroffen." Zweimal habe er die Familie W. getroffen und dabei nicht geahnt, dass es Probleme bei ihr geben könnte. Alle hätten einen sehr glücklichen Eindruck gemacht.

Im vergangenen Herbst war die Familie in die frisch renovierte Wohnung eingezogen. Lange hatten das Paar und die Kinder in Bottrop (Nordrhein-Westfalen) gelebt. Justin und Angelina stammen aus der ersten Ehe von Jennifer W. Der gelernte Elektriker Rüdiger W. war bei der Bundeswehr beschäftigt. Als seine Einheit aufgelöst wurde, begann die Arbeitslosigkeit. Viele Versuche, einen neuen Job zu finden, scheiterten. Im Norden wurde er fündig: W. fand eine Anstellung bei Proderm in Schenefeld (Kreis Pinneberg). Die Firma beschäftigt sich mit dermatologischer Forschung. Dort wollte man sich zum Tod des Mitarbeiters nicht äußern. Dass finanzielle Sorgen die Familie plagten, kann Vermieter Blume sich nicht vorstellen: "Die Miete wurde immer pünktlich gezahlt."

Kurz bevor sich am Freitag die Nachricht vom Tod der Familie in Bad Bramstedt verbreitete, hatten Polizei und Feuerwehr einen weiteren schrecklichen Einsatz hinter sich. Im Kurgebiet war eine 66 Jahre alte Frau aus Brandenburg unter einen Zug der AKN geraten. Sie war sofort tot. Feuerwehrleute und Fahrgäste wurden von einem Notfallseelsorger betreut.

Zunächst wurde vermutet, dass es einen Zusammenhang mit dem Familiendrama am Landweg geben könnte. Polizeisprecherin Silke Tobies schloss dies jedoch "mit hoher Wahrscheinlichkeit" aus.