Über die Rechtmäßigkeit der Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern will das Verfassungsgericht erst kurz vor Inkrafttreten entscheiden.

Greifswald. Das Landesverfassungsgericht in Greifswald wird voraussichtlich erst wenige Wochen vor Inkrafttreten der umstrittenen Kreisgebietsreform über deren Rechtmäßigkeit entscheiden. Das Gericht stellte zum Abschluss der dreitägigen Verhandlung am Freitag einen Verkündungstermin für Anfang bis Mitte August in Aussicht. „Das ist keine Entscheidung, die in wenigen Tagen zu Papier gebracht werden kann“, sagte Gerichtspräsidentin Hannelore Kohl zur Begründung. Einen genauen Termin wolle das Gericht bekanntgeben, wenn es sich dazu inhaltlich in der Lage sehe. Die Reform soll am 4. September 2011 in Kraft treten. Die klagenden Kreise und Städte sowie der Landtag und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hatten am Freitag ihre Abschlussplädoyers gehalten. (dpa)

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Verfassungsgericht verhandelt über Kreisreform

Geprägt von kritischen Fragen an Landtag, Regierung und Kläger hat das Landesverfassungsgericht am Donnerstag erstmals über die umstrittene Kreisgebietsreform verhandelt. Die gegen die Reform klagenden Städte und Kreise forderten zum Auftakt der mehrtägigen Anhörung in einem flammenden Plädoyer den Verzicht auf das Reformwerk. Sie sehen im Gesetz einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung der Kommunen und begründeten dies mit deutlichen Auswirkungen auf das bürgerschaftliche Engagement. Zugleich kritisierten sie den aus ihrer Sicht mangelhaften Abwägungsprozess im Gesetzgebungsverfahren. Der Verlust der Kreisfreiheit bedeute einen „enormen Demokratieverlust“, sagte Rügens Landrätin Kerstin Kassner (Linke). Ein Nachlassen des bürgerschaftlichen Engagements sei vorprogrammiert.

Das Gesetz, mit dem die Anzahl der Kreise von zwölf auf sechs und der kreisfreien Städte von sechs auf zwei reduziert wird, soll bereits in dreieinhalb Monaten, am 4. September 2011, in Kraft treten. Das Verfassungsgericht kündigte am ersten Verhandlungstag eine zügige Entscheidungsfindung an, wollte sich aber wegen des nicht abschätzbaren Prüfaufwandes auf keinen Verkündungstermin festlegen. „Dieses Gesetz spaltet das Land und vereint es nicht“, sagte Wismars Bürgermeister, Thomas Beyer (SPD). Das Land verstößt nach Auffassung der klagenden Städte Greifswald und Wismar gegen sein eigenes Leitbild, das eine Stärkung der Städte als Ober- und Wirtschaftszentren vorsehe. Zudem bezweifeln die Kommunen die in einem Gutachten für die Landesregierung errechneten Einspareffekte.

Innenminister Lorenz Caffier (CDU) verteidigte im vollbesetzten Gerichtssaal das Reformwerk als alternativlos. „Die Landkreisneuordnung ist für das Land existenziell“, sagte er und verwies auf den prognostizierten Bevölkerungsrückgang und die sinkenden Einnahmen in den kommenden Jahren. Die Zukunft des Landes lasse sich nur sichern, wenn auf allen Ebenen – vom Land bis zu den Kommunen – Anstrengungen unternommen würden. Die Gegner halten die Argumentation für inkonsequent, weil angesichts des unbestrittenen Sparzwangs die am höchsten verschuldeten Städte wie Schwerin und Rostock nicht in die Reform einbezogen wurden.

Für verfassungsrechtlich bedenklich halten die Kläger auch die Neugliederung der Kreise nur 17 Jahre nach der letzten Kreisreform. Das Gericht machte jedoch in einer ersten Einschätzung deutlich, dass in dieser Hinsicht kein besonderer Bestands- und Vertrauensschutz vorliege. Die Kreisgebietsreform von 1993/1994 sei noch von vielen Unsicherheiten geprägt gewesen, sagte Richter Sven Nickels. Eine unzulässige Mehrfachneugliederung habe das Landesverfassungsgericht bereits 2007 verneint.

Kritische Fragen richteten die Richter auch an Landtag und Regierung. Verfassungsrichter Wolfgang Joecks warf die grundsätzliche Frage auf, ob der Gesetzgeber sich über Festlegungen aus dem zuvor für die Reform geschaffenen Leitbild hinwegsetzen darf. Im Leitbild hatte das Land unter anderem bestimmt, dass die künftigen Kreise die Größe von 4000 Quadratkilometern nicht überschreiten dürften. Der künftige Landkreis Mecklenburgische Seenplatte überschreitet diese Größe jedoch um 36 Prozent.

Kritisch wurde auch der Abwägungsprozess verschiedener Reformmodelle hinterfragt. Der Anwalt der klagenden Kreise, Wolfgang Ewer, sagte, dass die Anhörung der Kommunen „nicht im Geringsten“ den Anforderungen der Verfassungskonformität entsprochen habe. Land und Landtagsausschüsse hätten Briefe von den Betroffenen schreiben lassen, um diese dann lediglich in Aktenordnern abheften zu lassen. Schwerin habe sich aber nicht mit den Argumenten der Betroffenen auseinandergesetzt.

Der Anwalt der Landesregierung wies die Vorwürfe zurück. Das Gesetz sei kein Planungsvorgang. „Der Abgeordnete ist kein Handwerker“, sagte Anwalt Joachim Wieland. Er sei nur seinem Gewissen verpflichtet.

Nach Auffassung der Kläger sind die vom Land angegebenen Einsparpotenziale nicht zu erreichen. Vielmehr kämen Mehrkosten auf die Kommunen zu. Die klagende Hansestadt Greifswald, die seit Jahren einen ausgeglichenen Haushalt hat, rechnet mit jährlichen Defiziten von drei bis vier Millionen Euro.

Die Warener Landrätin Bettina Paetsch (CDU) verdeutlichte die Auswirkungen der Kreisneuordnung auf das Ehrenamt. „Der neue Landkreis Mecklenburger Seenplatte sprengt alle in Deutschland bekannten Dimensionen.“ Er werde mit 5470 Quadratkilometern fast doppelt so groß sein wie der bisher größte deutsche Landkreis, die Uckermark, sagte sie. Landkreise in dieser Dimension seien im verfassungsrechtlichen Sinne nicht mehr überschaubar. Sie bezweifle, dass bei bis zu drei Stunden Fahrzeit eine ehrenamtliche Arbeit im Kreistag überhaupt noch möglich sei. Bereits jetzt seien Freiberufler und Selbstständige im Kreistag, der eigentlich einen Querschnitt aller gesellschaftlichen Schichten repräsentieren solle, unterrepräsentiert.

Das Gericht wird die Anhörung am Freitag fortsetzen. Angesichts der heftigen Diskussionen hält das Gericht weitere Verhandlungstage in der kommenden Woche für möglich. (dpa)