Leiterin des Sprengels Hamburg und Lübeck kritisiert den Umgang der Kirche mit dem Missbrauchsfall in der Gemeinde Ahrensburg.

Hamburg. Ein Ahrensburger Pastor soll in den 1970er- und 1980er-Jahren Kinder missbraucht haben. Mittlerweile ist der Mann im Ruhestand. Das Abendblatt sprach darüber mit Maria Jepsen, seit 1992 Bischöfin des Sprengels Hamburg und Lübeck.

Hamburger Abendblatt: Wann haben Sie von den Vorwürfen gegen den ehemaligen Ahrensburger Pastor erfahren?

Bischöfin Maria Jepsen: Durch den Brief eines Opfers, der Mitte März bei uns eingegangen ist.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe den Brief zwei- oder dreimal lesen müssen. Das war schon hart. Ich kann sagen, ich war sehr aufgewühlt. Ich habe gleich im Kirchenamt in Kiel angerufen und gesagt, dass sie der Sache nachgehen sollen. Außerdem haben wir die Staatsanwaltschaft informiert.

Haben Sie schon mit dem Beschuldigten gesprochen?

Nein. Das ist jetzt Sache des Kirchenamts.

Wie viele Opfer haben sich bis jetzt gemeldet?

Das weiß ich nicht. Es gibt die gute Regelung, dass ich als Bischöfin nicht eingreife, wenn das Kirchenamt ermittelt.

Hat der Pastor die Taten zugegeben?

Er hat dazu noch nichts gesagt.

Nun hat sich die Briefeschreiberin ja schon im Jahr 1999 an die Kirche gewendet und gesagt, dass sie missbraucht worden ist. Warum ist damals nur eine Versetzung erfolgt und nicht das, was jedermann erwartet: dass dieser Fall zur Anzeige gebracht wird?

Das weiß ich nicht. Aber das Kirchenamt geht dem sehr klar nach. Ich weiß, was Missbrauch bedeutet. Da wird ein Leben vielleicht nicht zerstört, aber zumindest sehr stark beschädigt. Das muss zügig aufgeklärt werden.

Was verstehen Sie unter zügig?

So schnell wie es geht mit den Personen, die nun ermitteln.

Dauert das ein Jahr, zwei Jahre?

So lange darf es nicht dauern. Ich weiß, dass Missbrauchsopfer auch ein kleines Stück weiterkommen wollen. Es muss spürbar sein, dass es Konsequenzen für den Täter gibt.

In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dass die Kirche die Täter schützt. Ist dieser Eindruck richtig?

Ich kann's nicht sagen. Ich teile ihn nicht. Wir schützen nicht die Täter.

Aber als die Vorwürfe gegen den Pastor laut geworden sind, ist ja erst mal nichts weiter passiert als eine Versetzung.

Das ist für mich ein Rätsel. Meines Erachtens hätten damals Konsequenzen gezogen werden müssen. Es hätte geklärt werden müssen - um der Menschen willen, aber auch um der Person willen. Der muss ja auch vor sich selbst geschützt werden. Ich habe, nachdem ich nun von dem Ahrensburger Fall gehört habe, manche Nacht nicht schlafen können. Ich erwarte bei so einer Sache, die so schlimm ist, dass diejenigen in der Kirche, die davon erfahren, das nicht als Bagatelle sehen, sondern das sehr deutlich an mich melden. Ich bin erstaunt, dass das abgekapselt wurde. Dass Opfer das abkapseln, kann ich verstehen, aber dass andere das tun, das erstaunt mich.

Ist der Fall vertuscht worden?

Er ist in jedem Fall nicht angemessen verfolgt worden. Als ich den Brief der Frau gelesen habe, habe ich gedacht: Das kann's nicht sein, das kann's nicht sein.

Was kann dem Beschuldigten jetzt schlimmstenfalls noch passieren? Kann er seine Pension verlieren?

Das ist eine mögliche Konsequenz.

Hat es in Nordelbien noch mehr solcher Fälle wie den des Ahrensburger Pastors gegeben?

Wir haben einen Altfall gehabt von einem Pastor, der strafrechtlich schon abgeschlossen ist. Der Pastor arbeitet nicht mehr bei uns. Da wurde schnell gehandelt - so, wie es sein soll. Aber die Dunkelziffer ist sicher da. Man weiß nicht, was es noch gibt. Dass das jetzt an die Öffentlichkeit kommt, trägt vielleicht dazu bei, dass sich andere Opfer melden. Manche Taten liegen ja schon sehr lange zurück. Ich würde mir wünschen, dass die Opfer die Kraft finden, sich schneller zu melden.

Was macht Sie sicher, dass die Kirche heute mit weiteren Fällen anders umgehen wird als 1999?

Wir haben 2003 eine Schrift von Beratungsstellen verfassen lassen, aus der ganz klar hervorgeht, dass da, wo was ist, es auch gemeldet werden muss. Und nach dem Ahrensburger Fall habe ich dafür gesorgt, dass eine Arbeitsgruppe mit hochrangiger Beteiligung ins Leben gerufen wird. Und ich möchte, dass weitere Fälle, wenn welche da sind, sehr schnell aufgegriffen und an die Staatsanwaltschaft gegeben werden. Solche Fälle müssen mir jetzt auch gemeldet werden. Ich habe ja von der Ahrensburger Sache nichts gewusst. Ich wusste nur: Da gab es Schwierigkeiten, der ist versetzt worden. Es hat da eine Vertraulichkeit zwischen den Vorgesetzten des Pastors und dem Kirchenamt gegeben.

So ein Fall rüttelt ja auch an den Grundfesten der Kirche. Die Kirche will Menschen schützen, und der Pastor macht genau das Gegenteil. Entsteht dadurch nicht ein unglaublicher Imageschaden?

Natürlich ist das ein Imageschaden. Jeder Fall ist furchtbar.

Haben Sie mit der Verfasserin des Briefes schon gesprochen?

Ich habe versucht, sie telefonisch zu erreichen. Das ist nicht gelungen. Ich habe ihr dann geschrieben. Verbunden mit dem Angebot, dass ich zur Verfügung stünde, falls sie mit mir sprechen wolle.

Hat sie sich schon gemeldet?

Nein.