Die Grünen Politikerin Rebecca Harms über die Suche nach einem Atommüll-Endlager. Gorleben sei willkürlich ausgesucht worden.
Hamburg. Die Debatte um die Atomenergie ist wieder voll entbrannt. Es werden Laufzeitenverlängerungen für Atomkraftwerke diskutiert, die Erkundung des Gorlebener Salzstocks als Atommüll-Endlager soll fortgesetzt werden, der nächste Castor-Transport ins Gorlebener Zwischenlager ist genehmigt. Im Gespräch mit dem Abendblatt fordert Rebecca Harms, 53, Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament und Atomenergie-Expertin, einen Neubeginn bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager. Für den Herbst erwartet sie massive Proteste in Gorleben.
Hamburger Abendblatt:
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat für den Herbst weitere elf Castor-Transporte genehmigt. Atomkraftgegner befürchten Sicherheitsmängel bei dem neuen Behältertyp. Wie ist Ihre Einschätzung?
Rebecca Harms:
Ich fürchte auch bei diesen Behältern, dass sie bei schweren Transportunfällen nicht dicht bleiben. Als Lagerbehälter sollen sie 40 Jahre sicher sein. Zweifel sind berechtigt. Es gab oft genug Behälterpannen.
Parallel wurde bekannt, dass in Gorleben eine neue Verpackungsanlage für Atommüll gebaut werden soll. Was bedeutet das für den Endlager-Standort?
Jede weitere Anlage in Gorleben unterstreicht die Absicht der Atomindustrie, sich am Standort festzusetzen, und präjudiziert, dass das Endlager nicht nur erkundet, sondern auch gebaut wird. Da gibt es einen Zusammenhang. Der wird zwar bestritten. Aber warum sollte sonst in Gorleben künftig schwach- und mittelradioaktiver Müll für das Endlager Schacht Konrad verpackt werden. Mir leuchtet das nicht ein.
Warum halten Sie Gorleben als Endlager für ungeeignet?
Nach den Erfahrungen in der Asse habe ich grundsätzlich Zweifel, dass Salz für die Endlagerung geeignet ist. Und selbst wenn man auf Salz besteht, ist Gorleben schlecht. Vor allem weil das Deckgebirge über dem Salz schwach und durchlässig ist. Drittens war die Entscheidung für Gorleben willkürlich. Untersuchungsergebnisse wurden manipuliert. Die Verantwortungslosigkeit von Politik und Wissenschaft wird der Untersuchungsausschuss Gorleben im Bundestag belegen.
Was fordern Sie von der Bundesregierung?
Was in der Asse passiert ist, ist ein GAU der Endlagerung. Angesichts dessen kann man nicht einfach weitermachen. Wir brauchen einen Neuanfang bei der Konzeption und der Suche eines Endlagers. Systematisch geklärt werden muss auch die Frage der Rückholbarkeit von atomarem Abfall.
Finnland will als erstes Land ein Atommüll-Endlager bauen. Ist das auf Deutschland übertragbar?
Auch in Finnland wird der Standort für ein Endlager für hochaktiven Müll erst untersucht. Nur das ist genehmigt. Die Standortgemeinde hat sich freiwillig gemeldet. Dort laufen schon zwei Atomkraftwerke, ein Drittes ist in Bau. Die deutschen Kommunen laufen Sturm schon gegen Zwischenlager und erst recht gegen Endlagerung auf ihrem Gebiet - selbst wenn sie Atomkraftwerksstandorte sind.
Aber auch Deutschland braucht ein Endlager. Wie kann der geeignete Standort gefunden und bei der Bevölkerung durchgesetzt werden?
Es muss ein systematisch vergleichendes Suchverfahren nach dem bestmöglichen Endlagerstandort geben. Um Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen, muss man beim Verfahren für Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen sorgen und Willkür und Manipulation, wie es sie bei der Auswahl Gorlebens gab, ausschließen. Außerdem müssen wir aufhören, diesen Müll zu produzieren. Ein Abrücken vom Atomausstieg wäre deshalb nicht verantwortbar.
Sie sind seit mehr als 30 Jahren im Widerstand im Wendland aktiv. Jetzt ist Gorleben wieder der wahrscheinlichste Endlagerstandort. Stehen Sie vor einem Scherbenhaufen?
Einerseits ist da der Frust über das erneute Versagen der Politik und die Feigheit von Umweltminister Röttgen. Er hat offenbar mehr Angst vor innerparteilichen Konflikten als davor, die Weichen für ein ungeeignetes Endlager zu stellen. Und doch setze ich Hoffnungen auf den Untersuchungsausschuss. Wenn der so gut arbeitet wie der Asse-Ausschuss in Hannover, kann Gorleben gekippt werden.
Was erwarten Sie für die Castor-Transporte im Herbst?
Nach der erfolgreichen Menschenkette zwischen Krümmel und Brunsbüttel erwarte ich, dass sehr viel mehr Menschen kommen. Ich glaube, dass die Bereitschaft, sich an gewaltfreien Blockadeaktionen zu beteiligen, hoch sein wird.