Nach der Trennung soll Stephan M. Ehefrau und Hund mit Schüssen getötet haben. Manche haben das Verbrechen kommen sehen.
Es ist ein kleiner Ort in Niedersachsen, der für viele wie eine Idylle anmutet: Wischhafen, eine 3000-Einwohner-Gemeinde mit viel Grün, die an die Elbe grenzt. Aber in einem Rotklinkerbau des Ortes herrscht alles andere als Frieden. Hinter der unscheinbar wirkenden Fassade hat ein blutiges Massaker stattgefunden. Ein Verbrechen, von dem jeder gehofft hatte, dass es niemals geschehen würde. Manche haben es kommen sehen. Doch Sabine M. war überzeugt, dass sie sicher ist und speziell von ihrem Mann kein Unheil droht. Die 31-Jährige meinte: „Er liebt mich. Der tut mir nichts.“
„Der tut mich nichts? Ein verhängnisvoller Irrtum. Sogar ein tödlicher Irrtum“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher.
Brutaler Femizid: Mann tötet Ex-Partnerin und Hund
Das Paar aus Wischhafen hatte nach einigen Querelen einen Neuanfang gesucht. Dazu waren Sabine M. und ihr 21 Jahre älterer Mann Stephan M., dem Kontakte zur Drogenszene nachgesagt wurden, an die Elbe gezogen. Hier ging es wohl zunächst harmonisch zwischen den beiden zu. Doch dann folgt die Trennung – obwohl beide weiter in einem Haus leben. Schließlich kommt es zur Katastrophe: Nachdem besorgte Kollegen der Bäckereifachverkäuferin am 18. Mai 2019 die Polizei alarmieren, machen die Polizisten und Rettungskräfte eine grausige Entdeckung. „Die 31-Jährige liegt in einer Blutlache. Und sie ist vermutlich schon seit etlichen Stunden tot“, erzählt Mittelacher. „Im Schlafzimmer auf dem Bett liegt ihr Schäferhund. Auch er lebt nicht mehr.“
„Als wir Rechtsmediziner am Tatort eintreffen“, berichtet Püschel, „haben die Spurensicherer ihre Arbeit bereits weitgehend beendet. Also können wir sofort den Leichnam am eigentlichen Fundort untersuchen. Das Szenarium, das sich uns darbietet, ist folgendes: Die junge Frau, also Sabine M., ist in einer halbliegenden Position mit Handschellen bäuchlings an einem Heizkörper gefesselt. Wir nehmen als erstes Feststellungen vor, wann sich der Mord wahrscheinlich ereignet hat.“ Auch der Schäferhund wird untersucht. Er hat zwei Schusswunden erlitten.
Todesursache der Frau ist ein Kopf-Durchschuss
Im Institut für Rechtsmedizin in Hamburg erfolgt dann erst eine Computertomografie jeweils an der Frau und dem Hund, dann werden die Obduktionen vorgenommen. „Todesursache der Frau ist ein Kopf-Durchschuss von der Nackenregion zur Stirn. Ein Schuss mit Hinrichtungscharakter“, erklärt der Rechtsmediziner. „Die Rekonstruktion der Schussentfernung ergibt, dass der Täter die Kugel aus nächster Nähe abgefeuert hat.“
Schnell fällt der Verdacht auf den Ehemann der 31-Jährigen, auf Stephan M., von dem Sabine M. ja über lange Zeit gesagt hatte: „Der tut mir nichts.“ Am Tatort findet sich keine Spur von dem Mann. „Es wurde, nachdem das grausame Verbrechen an Sabine M. entdeckt ist, schnell deutlich, dass der Ehemann auf der Flucht war“, berichtet Mittelacher. „Es schien offensichtlich, dass er mit seinem schwarzen Wagen, einem Dodge Journey, abgehauen ist.
Stephan M. hat nach der Tat offensichtlich Suizid begangen
Zwei Tage später findet ein Spaziergänger an der Ulzburger Straße in Norderstedt eine leblose Person. Sie liegt in einem Gebüsch neben der Straße. Der Rettungsdienst kann nur noch den Tod des Mannes feststellen.“ Der Tote wird dann relativ schnell als der flüchtige Verdächtige Stephan M. identifiziert. Der Mann hat offensichtlich Suizid begangen. Die Tatwaffe, eine Pistole, liegt noch in seiner rechten Hand. Außerdem können an dieser Hand Schmauchspuren festgestellt werden — ein Hinweis, dass er die Waffe wirklich abgefeuert hat. Identifiziert wird der Mann anhand seiner auffälligen Tattoos, die teilweise gewaltverherrlichende Motive zeigen.
„Das Projektil ist bereits am Leichenfundort in dem Cappy gefunden worden, das der Mann auch im Tod noch auf dem Kopf trug“, schildert Püschel. „Bei der Obduktion wird dann der erste Eindruck des Toten vom Tatort bestätigt. Todesursache bei dem 52-Jährigen ist ein Kopfdurchschuss von Schläfe zu Schläfe.“
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Femizid: Erschütternde Zahlen für Deutschland
Die Tat, dieses brutale Verbrechen eines Mannes an seiner Frau, ist ein Szenarium, das viel zu häufig vorkommt. „So häufig, dass die Wissenschaft vor einigen Jahren einen Namen dafür gefunden hat: nämlich Femizid“, berichtet Mittelacher. „Dieser Begriff bezeichnet die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Weltweit wurden im Jahr 2017 zwar fünfmal so viele Männer ermordet wie Frauen, jedoch waren bei den Morden durch einen Intimpartner oder die Familie fast zwei Drittel der Opfer Frauen. Im betrachteten Jahr fielen weltweit 1,3 von 100.000 Frauen in der Bevölkerung einem Femizid zum Opfer.“
Es gibt noch weitere, erschütternde Zahlen“, ergänzt Püschel: „Statistisch gesehen versucht in Deutschland jeden Tag ein Mann, seine aktuelle oder eine frühere Partnerin umzubringen. Jeden dritten Tag ,gelingt’ es. 2020 waren 119.164 Frauen von Partnerschaftsgewalt betroffen. 139 haben das nicht überlebt.“
Und die Dunkelziffer vermisster und schwer verletzter Frauen? Sie kennt niemand. Das Leid bleibt im Verborgenen.