Stade . Verdächtiger saß in U-Haft, wurde verurteilt, aber wieder freigelassen. Dann geschah der Mord am HSV-Investor. Verwandter in Verdacht.
Neben dem gesuchten libanesischen Hauptverdächtigen haben die Ermittler im Fall des getöteten Ernst Burmeister auch drei mutmaßliche Komplizen im Visier. Darunter ist offenbar auch ein 27 Jahre altes Familienmitglied des Opfers. Dieses soll Kontakte ins Drogenmilieu haben und so auch den Hauptverdächtigen kennengelernt haben. Das „Stader Tageblatt“ hatte zuerst darüber berichtet. Ob die drei weiteren Verdächtigen inzwischen festgenommen wurden, dazu gab Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas am Donnerstag keine Auskunft.
Ernst und Elke Burmeister waren am 9. September in ihrem Einfamilienhaus in Bützfleth von zwei maskierten Männern überfallen, verprügelt und ausgeraubt worden. Den Unbekannten gelang mit mehreren Tausend Euro Bargeld und Schmuck die Flucht. Wenige Tage später starb Ernst Burmeister im Alter von 79 Jahren an den Folgen seiner Kopfverletzungen. Seine Frau (73) wurde schwer verletzt. Sie hatte den Ermittlern später gesagt, sie habe unmittelbar vor dem Überfall einen nahen Verwandten vor der Tür vermutet und deshalb die Tür geöffnet. Nun gehen die Ermittler offenbar davon aus, dass das 27-jährige Familienmitglied dem Hauptverdächtigen den entscheidenden Tipp gegeben hat.
Staatsanwalt und Gericht geben sich gegenseitig die Schuld
Die Frage, warum der Hauptverdächtige zum Tatzeitpunkt überhaupt auf freiem Fuß war, hat unterdessen zu einem öffentlichen Streit zwischen der Staatsanwaltschaft Stade und dem Gericht geführt. Das Gericht hatte den Mann zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, den Haftbefehl aber aufgehoben, weil es keine Wiederholungsgefahr sah. „Man hätte für den Haftbefehl aber stattdessen Fluchtgefahr als Grund benennen können, um die Untersuchungshaft bis zum Strafantritt aufrechtzuerhalten“, sagt Oberstaatsanwalt Breas. Üblich sei es, so Breas weiter, dass bei einer so hohen Haftstrafe von drei Jahren Fluchtgefahr angenommen werde. „Mit der Aufhebung der Untersuchungshaft wollte man dem Verurteilten die Möglichkeit geben, selbst zum Haftantritt zu erscheinen“, ergänzt der Oberstaatsanwalt. Ein freiwilliger Antritt der Haftstrafe wirke sich begünstigend auf Lockerungen im Strafvollzug aus. Die Staatsanwaltschaft habe damals mit einer Beschwerde gegen die Aufhebung der Untersuchungshaft vorgehen wollen. „Diese hätte die Aufhebung aber nicht aufgeschoben, es hätte schlichtweg nichts gebracht“, sagt Breas.
Kommentar: Das Dilemma der Justiz
Es sei „zynisch“, in diesem Fall keine Wiederholungsgefahr und keine Fluchtgefahr zu sehen, unterstreicht der Oberstaatsanwalt. Genau drei Wochen nach Urteilsverkündung und Aufhebung des Haftbefehls überfiel der verurteilte Straftäter bisherigen Ermittlungen zufolge das Ehepaar Burmeister in Bützfleth. „Wäre er nicht auf freien Fuß gelassen worden, hätte es diesen Raubüberfall vermutlich nicht oder nicht mit diesen Folgen gegeben“, sagt Breas.
Der bekannte Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate sagt indes, bei einem Strafmaß von drei Jahren den Haftbefehl mit der Urteilsverkündung aufzuheben, sei „häufig der Fall, vor allem, wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist. Dann ist es sogar eher üblich.“ Denn die Untersuchungshaft diene lediglich der Sicherung des Verfahrens und nicht etwa dazu, eine Freiheitsstrafe im Vorwege zu vollstrecken. „Dass man offenbar eine tickende Zeitbombe freigelassen hat, hat offenbar keiner vorausgesehen, auch nicht die Staatsanwaltschaft“, so Strate. „Denn die Staatsanwaltschaft hätte ohne Weiteres gegen die Aufhebung des Haftbefehls Beschwerde einlegen und auch beantragen können, dass für die Dauer des Beschwerdeverfahrens die Untersuchungshaft fortdauert.“ Dies sei aber eben nicht getan worden. Man habe am Dienstagmorgen die Wohnung des Hauptverdächtigen durchsucht und Beweismaterial sichergestellt, sagte Oberstaatsanwalt Breas weiter.
Hat Hauptverdächtiger sich in den Libanon abgesetzt?
Der 25-Jährige wird nun per internationalem Haftbefehl gesucht. Inzwischen vermuten die Ermittler der Mordkommission, dass sich der mutmaßliche Täter in den Libanon abgesetzt hat. Der Mann besitze sowohl die deutsche als auch die libanesische Staatsangehörigkeit. Dies mache eine Auslieferung schwierig, zumal es kein Auslieferungsabkommen mit dem Libanon gebe. „Der Libanon liefert seine eigenen Staatsbürger erfahrungsgemäß nicht aus“, sagt Breas. Man tue jedoch alles dafür, um sie dennoch zu ermöglichen.
Ernst Burmeisters Firma, die inzwischen von seinen Söhnen geführt wird, importiert Früchte aus dem Ausland nach Hamburg. Im Februar 2016 erwarben die Burmeisters 1,5 Prozent der HSV AG für 4,03 Millionen Euro.