Stade. Staatsanwalt: Tatverdächtiger hätte in Haft sein müssen. Nach Raubmord an HSV-Investor Burmeister auch Verwandter unter Verdacht.
Der Fall des ermordeten HSV-Investors Ernst Burmeister (79) ist aufgeklärt – und bringt erschütternde Details ans Licht: Der Hauptverdächtige, der den Unternehmer und dessen Frau (73) in deren Haus in Bützfleth am 9. September mit einem Komplizen ausgeraubt haben soll, hätte zum Zeitpunkt der Tat in Haft sitzen müssen. Das sagt die Staatsanwaltschaft Stade. Ernst Burmeister erlag zwei Tage nach dem Überfall seinen Verletzungen.
Als Hauptverdächtiger gilt ein 25 Jahre alter Deutsch-Libanese, der erst wenige Wochen vor dem Raubmord wegen eines anderen Deliktes rechtskräftig zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Führte eine Fehleinschätzung des Landgerichts Stade dazu, dass der Mann vor seinem Haftantritt in Freiheit kam und so die Möglichkeit hatte, die Burmeisters zu überfallen? Staatsanwaltschaft und Landgericht sind sich darüber nicht einig. Der Mordverdächtige ist mittlerweile auf der Flucht.
Hintergrund ist ein kompliziertes Gerichtsverfahren. Der Deutsch-Libanese saß seit dem 23. Januar wegen schweren Raubüberfalls und Ladendiebstahls in Untersuchungshaft. Insgesamt ging es dabei um drei Taten im Zeitraum vom September 2014 bis Dezember 2015. Schließlich wurde der Mann am 17. August zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Zuge der Strafverkündung hob das Gericht die Untersuchungshaft aber auf. "Das Gericht sah keine Gründe für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, da bei dem Beschuldigten keine Wiederholungsgefahr bestand, er geständig war, einen festen Wohnsitz hatte und sich therapiewillig zeigte", sagt Petra Baars, Sprecherin des Landgerichts Stade. Die U-Haft wurde bis zum Strafantritt aufgehoben, der Deutsch-Libanese kam also in Freiheit, bis zum Beginn seiner Haftstrafe.
Staatsanwalt spricht von "Fehleinschätzung"
Der Stader Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas wertet dies als Fehleinschätzung des Gerichts: "Es wurden in dem Verfahren drei Taten verhandelt, Grundlage für die Verurteilung des Mannes war aber nur eine, nämlich die schwerste Tat", sagt Breas. Die anderen beiden Taten seien in der Hauptverhandlung nicht weiter verfolgt worden, weil sie keinen Einfluss auf das Strafmaß gehabt hätten. "Weil aber nur eine Tat als Grundlage für die Verurteilung zu drei Jahren Haft gewertet wurde, war der ursprüngliche Grund für die Untersuchungshaft, nämlich die Wiederholungsgefahr, juristisch nicht mehr gegeben."
Die Folge: Das Gericht hob die Untersuchungshaft mit der Urteilsverkündung am 17. August auf. "Man hätte für den Haftbefehl aber stattdessen Fluchtgefahr als Grund benennen können, um die Unterschungshaft bis zum Strafantritt aufrecht zu erhalten", sagt Oberstaatsanwalt Breas.
"Mit der Aufhebung der Untersuchungshaft wollte man dem Verurteilten die Möglichkeit geben, selbst zum Haftantritt zu erscheinen", sagt der Oberstaatsanwalt. Ein freiwilliger Antritt der Haftstrafe wirke sich etwa begünstigend auf Lockerungen im Strafvollzug aus. Dies hielt Oberstaatsanwalt Breas aber für falsch: "Der Mann ist Intensivtäter, schwer drogenabhängig und hat eine doppelte Staatsbürgerschaft – so einen Verurteilten lässt man nicht frei."
Die Staatsanwaltschaft habe damals mit einer Beschwerde gegen die Aufhebung der Untersuchungshaft vorgehen wollen. "Diese hätte die Aufhebung aber nicht aufgeschoben, es hätte schlichtweg nichts gebracht", sagt Breas.
Es sei "zynisch", in diesem Fall keine Wiederholungsgefahr und keine Fluchtgefahr zu sehen, unterstreicht der Oberstaatsanwalt. Genau drei Wochen nach Urteilsverkündung und Aufhebung des Haftbefehls überfiel der verurteilte Straftäter das Ehepaar Burmeister in Bützfleth. "Wäre er nicht auf freien Fuß gelassen worden, hätte es diesen Raubüberfall vermutlich nicht oder nicht mit diesen Folgen gegeben", sagt Breas.
Internationaler Haftbefehl für Tatverdächtigen
Man habe am Dienstagmorgen die Wohnung des Hauptverdächtigen durchsucht und Beweismaterial sichergestellt. Der 25-Jährige wird nun per internationalem Haftbefehl gesucht. Inzwischen vermuten die Ermittler der Mordkommission, dass sich der mutmaßliche Täter in den Libanon abgesetzt hat. Der Mann besitze sowohl die deutsche als auch die libanesische Staatsangehörigkeit. Dies mache eine Auslieferung schwierig, zumal es kein Auslieferungsabkommen mit dem Libanon gebe. "Der Libanon liefert seine eigenen Staatsbürger erfahrungsgemäß nicht aus", sagt Breas. Man tue jedoch alles dafür, um die Auslieferung zu ermöglichen.
Neben dem gesuchten Hauptverdächtigen haben die Ermittler auch drei mutmaßliche Komplizen im Visier. Darunter ist offenbar auch ein 27 Jahre altes Familienmitglied des Opfers. Dieses soll Kontakte ins Drogenmilieu haben und so auch den Hauptverdächtigen kennengelernt haben. Das "Stader Tageblatt" hatte zuerst darüber berichtet. Ob die drei weiteren Verdächtigen inzwischen festgenommen wurden, dazu gab Oberstaatsanwalt Breas keine Auskunft.
Verwandter mitverantwortlich für den Überfall?
Ernst und Elke Burmeister waren am 9. September in ihrem Einfamilienhaus in Bützfleth von zwei maskierten Männern überfallen, verprügelt und ausgeraubt worden. Den Unbekannten gelang mit mehreren Tausend Euro Bargeld und Schmuck die Flucht. Am 11. September später starb Ernst Burmeister im Alter von 79 Jahren an den Folgen seiner Kopfverletzungen. Seine Frau (73) wurde schwer verletzt. Sie hatte den Ermittlern später gesagt, sie habe unmittelbar vor dem Überfall einen Verwandten vor der Tür vermutet und deshalb die Tür geöffnet. Nun gehen die Ermittler offenbar davon aus, dass das 27-jährige Familienmitglied dem Hauptverdächtigen den entscheidenden Tipp gegeben hat.
Burmeisters Firma, die inzwischen von seinen Söhnen geführt wird, importiert Früchte aus dem Ausland nach Hamburg. Im Februar 2016 erwarben die Burmeisters 1,5 Prozent der HSV AG für 4,03 Millionen Euro.