Die Unesco sammelt das immaterielle Weltkulturerbe. Aus Deutschland gibt es dazu 83 Vorschläge wie Bier, Brot und Beethoven. Aus dem Norden soll die Reetdachdeckerei als altes Handwerk auf die Liste.

Perlin. Blondes Schilf leuchtet vor blauem Himmel in der Morgensonne. In dem 800 Jahre alten mecklenburgischen Gutsdorf Perlin klettern Handwerker auf einem Hausdach herum.

Einer schlingt Drähte um frische Bündel. Ein zweiter holt immer wieder kräftig aus und klopft mit einem Eisen das Röhricht zurecht. Auf diese Weise legen sich schon seit Jahrtausenden Menschen an den Küsten schützendes Ried auf Unterkünfte, Ställe und Scheunen.

Unter den Vorschlägen ist auch das Biikebrennen

Das uralte Handwerk der Reetdachdeckerei soll nun auf der Liste des immateriellen Weltkulturerbes eingetragen werden. Unter den 83 deutschen Vorschlägen sind auch Bier, Brot und Beethoven. Aus dem Norden gelten die Köhlerei und das Rohrdachdecken als besonders erhaltenswert, wie Karl-Reinhard Titzck, Welterbe-Beauftrager von Mecklenburg-Vorpommern, verrät. Unter den Vorschlägen ist auch das Biikebrennen – „Nationalfest der Nordfriesen“ am 21. Februar – zu finden. Es soll nach Wunsch des Friesenrates ebenfalls der Titel „Immaterielles Kulturerbe“ erhalten. Als länderübergreifende Traditionen sind für den Norden das Niederdeutsche Theater und das Grünkohlessen als Vorschläge eingereicht worden.

Die Kultusminister der Länder entscheiden am Jahresende, welche typisch deutschen Lebensweisen zur Nominierung an die Unesco-Kommission Paris gehen sollen. Eine Auswahl wird frühestens 2015 erwartet, wie Titzck sagt.

In Perlin zieht sich Meister Thorsten Ring den Strohhut tief in die Stirn. „Schilfdächer prägen die norddeutsche Landschaft, der Naturbaustoff passt in die Region“, sagt er. Die alten Binde-Techniken ließen sich nicht mechanisieren. „Das Reetdach wird nie ein Massenprodukt, keins gleicht dem anderen, jedes hat seinen ganz individuellen Charme.“

Um langlebige stabile „Weichdächer“ zu bauen, die 60 bis 80 Jahre halten können, lassen Mecklenburg-Vorpommerns Handwerker den Rohstoff aus aller Welt jetzt im Labor auf seine Qualität und Resistenz gegen Pilze hin überprüfen. Greifswalder Wissenschaftler entwickelten dazu einen Schilf-Schnelltest. „Solch ein Zertifikat bringt zusätzlich Sicherheit“, meint Ring.

Packten sich früher vor allem arme Leute in Nordeuropa das Röhricht aufs Dach, was sie winters an heimischen Gewässern geschnitten hatten, so werden die goldgelben Halme heute vor allem importiert, wie Marlies Händschke, Geschäftsführerin der Reetdachdeckerinnung, sagt. Neun von zehn verlegten Bunden kämen aus Polen, Rumänien, Ungarn, der Ukraine, der Türkei und China. „Der Naturschutz verbietet uns meist die Reeternte vor der Haustür“, bedauert Dachdecker Ring.

Die Kunst des Reetdachdeckens wurde mündlich überliefert

Dabei erlebt das Reet derzeit eine Renaissance in Norddeutschland. Der Perliner Bauherr Manfred Zerbe schwört aus ökologischen Gründen auf den nachwachsenden Baustoff Schilf, wie er sagt. „Wohnklima und Ästhetik eines Reet gedeckten Hauses sind unvergleichlich“, meint der Mecklenburger. Selbst Wände oder Rundungen ließen sich aus Schilfrohr formen, betont Meister Ring. „Mit Ried kann man zaubern!“

Von jeher wurde die Kunst des Reetdachdeckens nur mündlich beim Arbeiten auf dem Dach überliefert, erklärt Joachim Schröter, Meister aus Vielank bei Ludwigslust und Mitinitiator des Welterbe-Antrags seiner Innung. Erst im 20. Jahrhundert seien fachliche Regeln aufgestellt worden, um eine gewisse Standardisierung zu erreichen. Eine spezialisierte Berufsausbildung gar gebe es erst seit der Jahrtausendwende.

„Dieses traditionsreiche Handwerk hat kaum Veränderungen oder gar eine Technisierung erfahren“, sagt Schröter. Reetdächer würden heute noch fast genauso aufgeschichtet wie vor Jahrhunderten – mit ein paar einfachen Werkzeugen, Muskelkraft und geschickten Händen.