Drei norddeutsche Bühnenbunde haben Antrag auf Aufnahme in die Liste gestellt. Der Titel würde dem niederdeutschen Spiel eigenen Stellenwert sichern. Flagschiff ist das Ohnsorg-Theater.
Hamburg. Das niederdeutsche Theater mit seinem Flaggschiff, dem Ohnsorg-Theater, könnte schon bald zum immateriellen Unesco-Weltkulturerbe gehören. Die drei norddeutschen Bühnenbunde haben jetzt den Antrag gestellt, in diese Liste aufgenommen zu werden. „Der Titel Weltkulturerbe würde dem Theater neue Türen öffnen, die Plattsprache stärken und dem niederdeutschen Bühnenspiel einen eigenen Stellenwert sichern“, sagt Wolfgang Börnsen, der Vorsitzende des Niederdeutschen Bühnenbunds Schleswig-Holstein.
Zugleich gibt es Bestrebungen, die drei Bünde nach Jahrzehnten der Trennung wieder zu vereinigen. „Die Bewerbung fürs immaterielle Kulturerbe ist eine erste gemeinsame Aktion“, sagt Arnold Preuß, der Präsident des Niederdeutschen Bühnenbunds Niedersachsen und Bremen. Der dritte und kleinste Partner ist der Bühnenbund Mecklenburg-Vorpommern.
Gelänge die Aufnahme in die internationale Liste, hätte das niederdeutsche Theater denselben Rang wie der Kölner Dom, die Lübecker Altstadt oder die Museumsinsel in Berlin. Sie alle stehen auf der (materiellen) Welterbeliste der Unesco.
Beim immateriellen Kulturerbe geht es nicht um bedeutende Gebäude oder Gebäudeensemble, sondern um darstellende Künste, mündliche Überlieferungen, Bräuche, Rituale und Feste, um Handwerkskünste und um „das Wissen im Umgang mit der Natur und dem Universum“. Zwei Beispiele: Der argentinische Tango steht bereits auf dieser Unesco-Liste, ebenso die tibetische Oper.
Das niederdeutsche Theater würde dort ganz gut hineinpassen. Bis es so weit ist, sind allerdings noch einige Hürden zu überwinden. Zwar gibt es die Auszeichnung „Immaterielles Unesco-Kulturerbe“ außerhalb Deutschlands schon seit vielen Jahren, die nationale Liste wird nun aber zum ersten Mal aufgestellt. Das Bewerbungsverfahren hat gerade erst begonnen. Bis Ende November mussten Interessenten ihre Unterlagen bei den Kultusministerien der Länder abgeben. Insgesamt sind 128 Vorschläge eingegangen.
Nun wird ausgesiebt. Jedes Bundesland darf zwei Vorschläge an die deutsche Unesco-Kommission melden, hinzu kommen länderübergreifende Bewerbungen. Die Kommission bewertet diese Vorschläge und entscheidet bis Dezember 2014, welche in die deutsche Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird. Von dort aus könnten im Jahr 2015 zwei deutsche Bewerber den Sprung in die Weltkulturerbe-Liste schaffen.
Wolfgang Börnsen findet, dass das gelingen sollte. „Das Platt-Theater hat eine jahrhundertealte Tradition“, sagt der Vorsitzende des Bühnenbunds Schleswig-Holstein.
Bereits zur Hansezeit, als Niederdeutsch als die beherrschende Kaufmanns- und Gerichtssprache in weiten Teilen Nordeuropas gegolten habe, habe in den Städten eine lebendige, oft kirchlich ausgerichtete Volkstheater-Szene existiert. „De dütsche Slömer“, der Vorläufer des späteren „Jedermann“, gehöre ebenso dazu wie der Lübecker Totentanz und andere geistliche Spiele.
Und diese Tradition werde heute noch gepflegt. „Es gibt bundesweit etwa 4500 Spielgruppen“, sagt Börnsen. Bundesweit? „Ja, das ist nicht auf die fünf norddeutschen Länder beschränkt. Es gibt auch plattdeutsche Enklaven in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Wir sind fast eine nationale Bewegung. Und wir entwickeln uns weiter, unsere Stücke sind modern und sozialkritisch.“
Das Ohnsorg-Theater ist an der Unesco-Bewerbung nicht direkt beteiligt. Die Bühnenverbände haben zwar in Schleswig-Holstein und Niedersachsen ihre Anträge abgegeben, nicht aber in Hamburg. Christian Seeler, der Intendant des Ohnsorg-Theaters, freut sich trotzdem über das Engagement seiner Kollegen aus der Amateursparte. „Ich bin dafür, dass wir Unesco-Kulturerbe werden“, sagt er. Eines dürfe allerdings nicht passieren. „Es ist zwar richtig, Theater zu bewahren, aber es muss sich auch verändern können“, sagt Intendant Seeler. „Es darf nicht museal werden.“
Der Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission, Christoph Wulf, kann in diesem Punkt beruhigen. „Die Erstellung des bundesweiten Verzeichnisses ist kein Wettbewerb um die schönste Tradition“, sagt er. „Es geht auch nicht darum, Bräuche museal zu konservieren. Es geht um Wertschätzung, Wissen und Können.“ Die Aufmerksamkeit solle dazu führen, dass gelebte Traditionen von Generation zu Generation weiterentwickelt werden. „Veränderungen sind gerade das Interessante an diesen Kulturformen“, so Christoph Wulf.
Wertschätzung, Wissen und Können sind sicherlich auch nötig, um die Spaltung der drei Bühnenverbände zu überwinden. 1971 zerfiel der norddeutsche Verband in seine regionalen Bestandteile.
Am 1. Februar 2014 trifft man sich nun in Hamburg. Dort, wo 1919 die erste niederdeutsche Bühne gegründet wurde. Dort, wo es heute, 94 Jahre danach, keinen eigenen Bühnenbund mehr gibt. „Gemeinsam könnten wir unsere Bemühungen verstärken, das niederdeutsche Theater zu fördern“, sagt der niedersächsische Bühnenchef Arnold Preuß. „Vielleicht kommen wir so auch leichter an Fördergelder ran.“