Hans-Jochen Jaschke spricht von “Störung des Religionsfriedens“. Salafisten verteilten Korane in norddeutschen Großstädten.
Hannover/Hamburg. Begleitet von Kritik und wachsender Besorgnis haben radikalislamische Salafisten am Sonnabend auch im Norden Deutschlands kostenlos deutschsprachige Koran-Exemplare verteilt - jedoch in weniger Städten als zuvor angekündigt. Mit Neugier, aber auch viel Skepsis näherten sich Passanten in den Innenstädten den Infoständen, an denen Anhänger des Salafismus - der am schnellsten wachsenden radikalen Strömung des Islam - die Bücher verschenkten. Unter anderem verteilten sie den Koran in den Fußgängerzonen von Lübeck und Hannover.
Die bundesweite Kampagne "Lies!" sorgte bereits im Vorfeld für Diskussionen. Politiker und Verfassungsschützer befürchten, dass Salafisten die Aktion als Propaganda für eine radikale Ideologie nutzen. So warnt der Hamburger Verfassungsschutz vor Aktionen wie der Koranverteilung, bei denen Nichtmuslime missioniert werden sollen. Es sei kein Problem, dass jemand den Koran verteile. Problematisch sei, dass die Aktion von Menschen eines Netzwerks stamme, das die salafistische Auffassung zur Lebensform auserkoren und zum politischen Ziel erklärt habe, sagte Manfred Murck, Chef des Verfassungsschutzes in Hamburg. Es handele sich um Menschen, die Nichtmuslime mit der salafistischen Szene in Kontakt bringen und sie von ihrer Auffassung überzeugen wollten. Ziel der Salafisten sei es, neue Anhänger zu rekrutieren und damit diese Form des religiös motivierten Extremismus in Deutschland weiterzuverbreiten. Salafisten vertreten einen rückwärtsgewandten Ur-Islam und bestehen etwa auf der Vollverschleierung von Frauen. Sie interpretieren den Koran wortwörtlich und betrachten ihn als Richtschnur für alle Lebensbereiche. Das Ideal der Salafisten ist ein Gottesstaat, in dem es keine vom Menschen gemachten Gesetze gibt, sondern in dem das islamische Rechtssystem, die Scharia, gilt.
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An diesem Wochenende nahmen die Salafisten in der Landeshauptstadt Kiel und in Hamburg nicht an der Koranverteilung teil. Es waren weder Stände angemeldet noch Anhänger der Gruppe von der Polizei beobachtet worden. Jedoch haben Salafisten in Hamburg 2012 bereits viermal das heilige Buch der Muslime an Passanten verschenkt und sich damit der Kampagne "Lies!" angeschlossen. Seit Herbst 2011 verteilt das Missionierungsnetzwerk "Die Wahre Religion" des Predigers Ibrahim Abunagie über Islam-Infotische in ganz Deutschland Koranexemplare. In Hamburg werde die Aktion vom Deutschsprachigen Islamkreis im Norden, kurz DIIN, organisiert und durchgeführt, sagte Manfred Murck.
Der Vorsitzende dieses Vereins, Jens Ranft, ist für den Verfassungsschutz kein Unbekannter. Er war der Sprecher der ehemaligen Al-Kuds-Moschee, die zuletzt Taiba-Moschee hieß und im August 2010 von der Innenbehörde geschlossen wurde. Sie war der Treffpunkt der Attentäter um Mohammed Atta, die die Anschläge vom 11. September ausgeführt haben. Das Gebetshaus hatte sich zum zentralen Treffpunkt von Befürwortern des weltweiten Dschihad im Sinne der Al-Qaida-Ideologie entwickelt.
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Auch der Hamburger katholische Weihbischof Hans-Jochen Jaschke hat die massenhafte Koranverteilung am Wochenende scharf verurteilt. "Solche Aktionen stören den Religionsfrieden", sagte er. "Sie wecken Aggressivität und schüren Misstrauen." Aufgrund der Religionsfreiheit könne jeder Mensch seinen Glauben bekennen, solange er andere nicht störe. "Aber wenn die Öffentlichkeit überschüttet wird mit einer Millionenauflage des Korans, weckt das Ängste." Zudem stelle sich die Frage, wer die Millionenbeträge für die Kampagne finanziere. Die radikalislamische Gruppierung der Salafisten sei dafür bekannt, dass sie die Menschen eher religiös anstachele und sogar Gewalt im Namen des Islam ausübe.
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Bundesweit werden rund 3800 Personen der salafistischen Strömung zugerechnet. In Hamburg seien es etwa 200, so Murck. Der Verfassungsschutz behalte einzelne Moscheevereine in der Stadt, so auch den Deutschsprachigen Islamkreis im Norden im Auge, weil deren Auslegung gegen die Grundprinzipien der Verfassung verstoße. Zu beobachten sei, dass der Salafismus stark expandiere, insofern sei der Salafismus als politische Strömung als gefährlich einzustufen. Zudem gehe vom Salafismus eine besondere Gefahr aus, weil zu dieser Bewegung Dschihadisten gehören, die den weltweiten bewaffneten Dschihad im Sinne der Al-Qaida-Ideologie rechtfertigen. In Hamburg leben laut Verfassungsschutz derzeit etwa 40 Dschihadisten.