Dirk Roßmann stellte vor 40 Jahren das Konzept in seiner Drogerie um und ist bis heute erfolgreich: Selbstbedienung statt Ladentheke.

Burgwedel/Karlsruhe/Ehingen. Wer auf die Schnelle eine Tube Zahnpasta, eine Dose Make-up oder eine Packung Windeln braucht, muss heute nicht lange überlegen: Ein kurzer Gang in den Drogeriemarkt um die Ecke, schon ist der Haushalt mit dem Nötigsten eingedeckt. Fast nostalgisch muten da die Zeiten an, in denen man für Pflege- und Hygieneartikel noch kleine Fachgeschäfte ansteuerte, wo sich der Chef oder die Chefin persönlich um die Kunden kümmerte. Die Drogerie als Mischung aus Apotheke und Tante-Emma-Laden – das ist Geschichte.

Dirk Roßmann kennt beide Welten. Der 65-Jährige gilt als Erfinder der Selbstbedienungs-Drogerie, die erste Filiale mit dem damals neuen Konzept eröffnete er vor genau 40 Jahren. Inzwischen ist die Rossmann-Kette – wie sich während der Schlecker-Insolvenz herausstellte – der zweitgrößte deutsche Drogeriekonzern hinter dem Karlsruher Konkurrenten dm. Der Gründer hatte zunächst jede Menge Basis- und Aufbauarbeit zu leisten.

„Es gab auch schwere Jahre“, sagt der Pionier aus Burgwedel bei Hannover. Roßmann ging im Betrieb der Eltern und Großeltern in die Lehre und startete 1972 seinen ersten „Markt für Drogeriewaren“ in der niedersächsischen Landeshauptstadt. „Das Haus gibt es noch, doch der Laden wurde mittlerweile geschlossen. Deshalb kam es zu einem riesigen Aufschrei“, erzählt sein Sprecher Stephan-Thomas Klose. Viele Kunden und Mitarbeiter hätten sich gewünscht, aus der Keimzelle des Unternehmens mit 30 000 Beschäftigen, 2500 Filialen in sechs Ländern und einem Umsatz von mehr als fünf Milliarden Euro ein Museum zu machen.

+++ Rossmann will Schlecker-Mitarbeiter einstellen +++

Fotos der ersten Tage in der Hannoverschen Jakobistraße gibt es kaum. Alle Beteiligten – und ganz besonders der Chef – waren damals eben enorm angespannt, erklärt Klose: „Es hätte ja auch völlig schiefgehen können.“ Das spätere Wachstum sei nicht abzusehen gewesen. Etliche Besucher des 250 Quadratmeter großen Ladens waren zunächst skeptisch: „Sie fragten: Was ist das denn? Muss man sich hier alles selbst zusammensuchen?“ Die elterliche Drogerie der Roßmänner maß gerade rund 50 Quadratmeter.

Der Wegfall der Preisbindung im Lebensmittel-Einzelhandel Mitte der 1970er Jahre trieb die Umsätze an: „Bis dahin durfte man Seife, Haarspray & Co. nicht unter einem bestimmten Mindestpreis verkaufen. Das wurde nun extrem billig.“ Die eher scheue Kundschaft dankte Roßmann seine Idee. „Man konnte jetzt auch scheinbar peinliche Artikel selber aus den Regalen holen“, meint Klose mit Blick auf den zuweilen reißenden Absatz von Körpercremes, Kondomen oder seltsamen Düften. Es dauerte nicht lange, bis die späteren Rivalen Götz Werner (dm) und Anton Schlecker in Hannover vorbeischauten. Zwischen dm und Rossmann gab es bis in die 1990er Jahre eine Einkaufskooperation.

Für den Handelsverband Deutschland (HDE) hatte das Ladenkonzept weitreichende Folgen: „Vorher gab es apothekenähnliche Läden, nun großflächige Geschäfte mit viel mehr Auswahl. Es war durchaus eine kleine Revolution“, sagt HDE-Mann Stefan Hertel. Dass heute auch viele Lebensmittelmärkte versuchen, den Drogeriemärkten mit entsprechenden Sortimenten Kunden abzujagen, sei nicht unbedingt kritisch: „Umgekehrt bieten Drogerien ja auch Lebensmittel und vor allem Süßigkeiten an. Da sollte sich ein Gleichgewicht einstellen.“

+++ Rossmann-Chef bietet Bettina Wulff "Comeback" an +++

Als zweiter der drei deutschen Drogerieriesen kam 1973 dm (für Drogeriemarkt) hinzu. Götz Werner, der einer Heidelberger Drogistenfamilie entstammt, hatte die Chance ebenfalls ergriffen und eröffnete ein Geschäft in Karlsruhe. Werner setzte eigene Akzente - „ganzheitlich“ sollte sein Unternehmen sein – samt eigener Terminologie wie „Lernling“ statt Auszubildendem oder der Einführung einer eigenen Biomarke Mitte der 1980er.

Dm expandierte zudem mit größeren Geschäften als die Mitbewerber - heute sind es in Deutschland rund 1300. Und das Unternehmen kämpfte sich beharrlich an die Spitze – mit insgesamt 6,17 Milliarden Euro Umsatz europaweit. Über den Gewinn schweigen sich die Badener aus. Aber profitabel waren sie nach eigenen Angaben immer.

150 Kilometer südlich begann Anton Schlecker seine Karriere im Fleischwarenbetrieb seines Vaters. Doch auch er erkannte die Chancen des Drogeriemarkts ohne Preisbindung und machte 1975 sein erstes Geschäft in Kirchheim/Teck nahe Stuttgart auf – wo heute zwei Filialen vor dem Aus stehen. Ähnlich wie Roßmann expandierte er in rasendem Tempo und überflügelte seine Wettbewerber – zumindest, was die Filialzahl anging. In den Hochzeiten waren es mehr als 10 000 allein in Deutschland.

Doch vor rund sechs Jahren rutschte die Kette in die roten Zahlen. Anders als die Wettbewerber setzte der Ehinger Kaufmann auf die kleinen Läden an jeder Straßenecke, deren Attraktivität zu wünschen übrig ließ. Hinzu kamen Dauerquerelen um Arbeitnehmerrechte. Schlecker versuchte es zu spät mit einer Modernisierung. Im Januar folgte der Tiefpunkt, der Insolvenzantrag. Von heute noch 5400 Filialen (plus rund 600 bei der Tochter IhrPlatz) sollen mehr als 2000 schließen. Der Umsatz lag 2011 noch bei rund fünf Milliarden Euro, doch die Verluste betrugen rund 200 Millionen Euro.

Mit Material von dpa