Die große Schulserie im Hamburger Abendblatt. Heute: Private Schulen. Überfüllte Klassen, Unterrichtsausfall, renovierungsbedürftige Gebäude - die Liste der Kritikpunkte an staatlichen Schulen ist lang. Welche Möglichkeiten gibt es neben dem staatlichen Schulsystem?
Lüneburg. Wenn man Eltern fragt, warum sie ih r Kind an einer Privatschule anmelden, schildern sie meistens als Erstes ihre Unzufriedenheit mit staatlichen Schulen. Erst dann folgt, was sie sich von ihrer Entscheidung erhoffen: mehr Qualität, mehr Vielfalt, mehr Mitbestimmung. Bildung wird immer wichtiger, und dafür sind immer mehr Familien bereit auch zu zahlen.
Inzwischen besuchen etwa 900 000 Schüler in Deutschland eine von knapp 3000 Privatschulen. Das sind sieben Prozent, Tendenz steigend. Auch in und um Hamburg gab es in den vergangenen Jahren einen regelrechten Gründungsboom. In der Hansestadt sind knapp zehn Prozent der Schüler nicht mehr an staatlichen Schulen angemeldet. Auch in Schleswig-Holstein und Niedersachsen entstanden in den vergangenen Jahren zahlreiche Privatschulen, weitere sind in Vorbereitung.
Eine, die die Initiative ergriffen hat, ist Inga Clemen. Vieles von dem, was die Bad Bramstedterin sich für ihre beiden Söhne wünschte, gab es an den Schulen in der Nähe nicht. "Ganztagsschule, bilingualer Unterricht, Sportangebote, Lehrer, die auch Ansprechpartner sind", zählt die Mutter von Jannes (10) und Rasmus (7) auf. Fast ein Jahr kämpfte Clemen mit anderen Eltern um ihre Vision. Kurz vor den Sommerferien genehmigte das Kieler Bildungsministerium die neue Schule, eine Zweigstelle der privaten Leibniz-Schule in Elmshorn. Seit gut zwei Monaten besucht Jannes die fünfte, Rasmus die erste Klasse. "Es läuft gut, die Eltern sind erst mal zufrieden", sagt Clemen, die jetzt im Schulbüro den Laden schmeißt.
"Gerade wenn wie in Schleswig-Holstein das Schulgesetz geändert wurde und neue Strukturen entstehen, sind Eltern verunsichert und wollen das Thema Bildung selbst in die Hand nehmen", sagt Christian Schneider, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Privatschulen Nord. Auch drohende Schulschließungen können ein Grund sein. Dazu komme, so der Experte: "Dass Schulen und Schüler heute ganz anders im Wettbewerb stehen."
Es sind in der Regel die bildungsnahen und finanzstarken Familien, die sich aus dem staatlichen Bildungssystem verabschieden. Neben zahlreichen Waldorfschulen entstehen immer mehr Einrichtungen, die sich auf reformpädagogische Ansätze wie die von Marie Montessori stützen. Aber auch die Zahl der konfessionellen Schulgründungen wächst. In Schleswig-Holstein sind drei katholische Schulen geplant, in Kiel, Lübeck und Quickborn. Dort könnte sich ein Ökumene-Projekt entwickeln. Die Johanniter-Unfallhilfe plant "die Gründung einer evangelischen Grundschule".
Trotzdem hat Schleswig-Holstein im Bundesvergleich besonders wenig Privatschüler: Neben den 49 dänischen Schulen gibt es elf Waldorfschulen und 16 andere sogenannte Ersatzschulen mit insgesamt knapp 7000 Schülern. Derzeit laufen mehrere Genehmigungsanträge: In Mölln und Bordelum wollen Eltern Waldorfschulen initiieren. In Kiel hat die Klax-Gruppe, die bereits Schulen, Kindergärten und Krippen in Berlin betreibt, einen Antrag gestellt. In Vorbereitung ist auch eine Privatschulgründung in Rendsburg. Und in Lübeck gibt es Überlegungen des Bildungskonzerns Phorms AG (Berlin) eine weitere Schule aufzubauen. In Hamburg wurde gerade eine Phorms-Grundschule genehmigt.
So groß die Nachfrage bei den Eltern nach den Angeboten zumeist ist, offene Türen laufen die Schulgründer bei den zuständigen Ministerien nicht ein. "Die Genehmigungsverfahren sind sehr langwierig", sagt Barbara Manke-Boesten, die vor zwei Jahren in Elmshorn die Leibniz Privatschule gegründet hat. Dabei ist das Recht auf Gründung von privaten Schulen sogar in der Verfassung verankert. Geprüft werden müssen aber nicht nur die pädagogischen, sondern auch die wirtschaftlichen Konzepte. Denn: Die Ersatzschulen müssen eine Bewährungszeit von zwei beziehungsweise drei Jahren überstehen, bevor sie staatliche Zuschüsse bekommen.
Niedersachsen liegt mit 153 Privatschulen und mehr als 50 000 Schülern bundesweit im Mittelfeld. "Für das laufende Schuljahr wurden ein evangelisches Gymnasium in Nordhorn genehmigt, eine Förderschule und drei Grundschulen", sagt Corinna Fischer, stellvertretende Sprecherin des Kultusministeriums. Darunter die Freie Morgenrot Grundschule in Alt Garge (Landkreis Lüneburg), die nach einem ähnlichen Konzept wie die "Neue Schule Hamburg" von Sängerin Nena arbeitet: kein Stundenplan, keine Klassen, keine Noten. Wie bei allen anderen Schulen in freier Trägerschaft zahlen die Eltern jeden Monat Schulgeld. In Alt Garge liegt es bei 150 bis 250 Euro.
Auch in Hamburg hat sich die Schullandschaft verändert: Neben der katholischen Kirche als Schulträger mit 20 Schulen gibt es mehrere evangelische Grundschulen. Nach den Schulferien gingen die Grundschule Monadrei (Montessori-Pädagogik) in Eimsbüttel und die Zukunftsschule Alsterpalais (Gesamtschule) in Ohlsdorf an den Start.
Dass Eltern auch Schwierigkeiten akzeptieren, um ihr Kind an einer Privatschule unterrichten zu lassen, zeigt sich am Beispiel der Leibniz-Privatschule. In Elmshorn musste der lange fällige Neubau für die inzwischen 424 Schüler noch einmal verschoben werden. In der Bad Bramstedter Zweigstelle werden die 112 Kinder in einem schmucklosen Bürokomplex unterrichtet. Trotzdem gibt es bis 2013 schon etwa 185 Anmeldungen.
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