Schwarzenbek. Tanzfest Schwarzenbek mit mehr als 100 Teilnehmern aus Norddeutschland: Was die historische Kleidung über ihren Träger aussagt.
Die Schürze ist bei den Frauen obligatorisch, bei den Männern Kniebundhose und Weste: Mehr als 100 Trachtenträger aus ganz Norddeutschland waren zum Tanzfest in Schwarzenbek gekommen. Zu Geestländer Quadrille, Föhringer Kontra, Tampet oder Holsteiner Dreitour tanzten die Teilnehmer auf Einladung der Swattenbeker Danzlüüd.
„Was für uns heute das Internet mit Online-Angeboten wie Tinder ist, war früher für die Menschen die Tracht“, sagt Thorsten Johannsen, Vorsitzender des Landestrachten- und Volkstanzverbandes. So zeigten bei Männer wie Frauen die Anzahl des Schmucks, die silbernen oder goldenen Knöpfe und Ketten den Wohlstand seines Trägers an. Bei Frauen half die Tracht auch, ihren Beziehungsstatus zu ergründen – und prägte zugleich unsere Sprache. Anbandeln konnte man mit Frauen, die Bänder im Haar trugen, also noch ledig waren. Wer eine Haube trug, war auch unter selbiger.
Tanzfest Schwarzenbek: Es gibt auch weiße Flecken in der Brauchtumslandschaft
55 Trachtengruppen gibt es laut Johannsen noch im Landesverband, weitere 20 Gruppen außerhalb des Verbands haben noch Trachten im Fundus – mit abnehmender Tendenz. „Die Corona-Pandemie war für einige Vereine der Grund aufzuhören“, bedauert Johannsen und appelliert an die Gruppen, sich dann mit benachbarten Vereinen zusammenzuschließen: „So kann die Tradition noch etwas bewahrt werden. Löst sich ein Verein auf, stirbt mit ihm auch das Brauchtum.“
Doch weiße Flecken in der Brauchtumslandschaft gibt es schon jetzt. Ein Beispiel ist der Kreis Ostholstein: „Dort ist nie eine Tracht entstanden, weil es keine reiche Bauerschicht gab, stattdessen eine Leibeigenschaft“, so der Landesvorsitzende.
Auch für Schwarzenbek lässt sich in den Archiven kein Nachweis für eine eigene Tracht finden. Die Europastadt gehört zur Region zwischen Schwerin, Ratzeburg und Lauenburg, in der die mecklenburgische Dienstmädchentracht getragen wurde. Auf die haben nicht nur die Swattenbeker Danzlüüd zurückgegriffen, als die Formation 2015 zum 60. Bestehen der Städtepartnerschaften der Europastadt gegründet wurde. Auch die Kohlplanters aus Lauenburg oder die Volkstanzgruppe aus Alt Meteln in Mecklenburg tragen die Tracht mit einem selbstgewebten schwarzen Rock mit Streifen, weißer Schürze und Bluse sowie einer Weste.
Schweriner Lehrerin entwickelte eine Tanztracht
„Das ist die Marie-Peters-Tracht“, erklärt die Mecklenburgerin Inge Franz. Peters (1878-1947) war Lehrerin in Schwerin und Sammlerin von mecklenburgischen Volkstänzen. Für ihrer Schweriner Mädchentanzgruppe entwickelte sie um das Jahr 1910 aus der Dienstmädchenbekleidung eine zum Tanzen geeignete Tracht, die zwischen Ratzeburg und Schwerin weite Verbreitung fand. Eine ganz ähnliche, aber viel aufwendigere Tracht tragen die Volkstänzer aus Rehna in Mecklenburg.
„Bei uns gibt es noch heute Bauernfamilien, die seit 500 Jahren ihre Höfe bewirtschaften“, sagt Oliver Dischereit vom Plattdüütschen Verein. Der wurde 1972 von Bürgern gegründet, zum 750-jährigen Bestehen des Ortes kam 1982 noch die Volkstanzgruppe hinzu. „Die Knöpfe an meiner braun gestreiften Weste sind nachgefertigt, aber wie beim Original aus Silber“, sagt Dischereit. Charakteristisch für die Tracht sind zudem mit floralen Mustern bestickte Hals- und Schultertücher. Bestickt sind auch die Samtwesten der Frauen sowie der Tabaksbeutel, den Dischereit am Gürtel trägt: „Früher waren darin Tabak und Pfeife, ich habe mein Handy darin.“
Warum es die Witwentracht nur auf Fotos gibt
Nicht nur an Bändern und Haube habe man den Status erkennen können, sagt Dischereit: „Es gab unterschiedliche Trachten für Alltag und Festtage sowie für Mädchen, Frauen und Witwen.“ Im Jahr 1921 sei die letzte Frau, die in Rehna täglich eine Tracht trug, gestorben – und wurde in ihrer Witwentracht beigesetzt. „Die Mädchentrachten wurden irgendwann abgelegt, von denen sind ganz viele erhalten geblieben. Von den Witwentrachten hingegen keine“, so der Trachtenexperte.
Die große Brosche fällt hingegen bei Annca Albers als Erstes ins Auge: Die Frau aus Kirchwerder trägt eine Vierländer Tracht. „Früher waren die Frauen kleiner und schmaler“, sagt Albers. Rock, Schürze, Bluse und Weste sind deshalb neu, nicht jedoch der Schmuck: „Das ist ein Erbstück aus der Familie.“ Und noch eine Besonderheit fällt auf: „Ich gehe heute zum Tanzen, deshalb trage ich die gestreifte Tanzschürze.“ Anbandeln ist dennoch nicht erlaubt: „Zum Outfit gehört normalerweise noch die Haube und für den Sommer ein Strohhut.“
Schrittfolgen sind nicht so wichtig: Musik gibt die Figuren vor
Für den Tanz im Saal von Schröders Hotel hatten die gastgebenden Danzlüüd extra das Trio Seitenbalg mit Wolf Rüdiger Geschke, Lorenz Stellmacher und Uwe Thomsen engagiert, die im Bereich der Folkmusik eine Institution im Kreis sind. Für das Volkstanzfest hatten sie extra alte Tänze wie Sauerländer, Tampet, Lange Reihe, Maike oder Holsteiner Dreitour einstudiert. „Die Musik sagt dir irgendwann, was du tun musst“, erläutert Danzlüüd-Leiterin Beate Hase.
Anders als bei Standard- oder Lateintänzen, bei denen die Tänzer die Schrittkombinationen einüben und dann frei anwenden, sind beim Volkstanz nicht die Schrittfolgen, sondern die Tanzfiguren wichtig. Man dreht sich, kommt in der Mitte zusammen, wechselt den Partner – ähnlich dem amerikanischen Line-Dance. Wer Lust hat, mal mitzumachen: Die Swattenbeker Danzlüüd treffen sich immer dienstags ab 17.30 Uhr im kleinen Saal von Schröders Hotel (Compestraße 1), die Vierländer Speeldeel ebenfalls dienstags ab 17.30 Uhr (Kinder), 19 Uhr (Jugendliche) und 20.30 Uhr (Erwachsene) im Schützenhof Neuengamme (Neuengammer Hausdeich 167).