Mölln/Schwarzenbek. Die Schwarzenbekerin Patricia Picker (53) war mit einem Rettungswagen der Tier-Nothilfe in der Türkei. Wie sie die Aktion erlebt hat.
Gegen 2 Uhr morgens war Patricia Picker am Sonnabend, 4. März, wieder zu Hause in Schwarzenbek. 3700 Kilometer hatten die 53-Jährige und ihre Begleiter da auf der Rückfahrt aus dem türkischen Erdbebengebiet zurückgelegt. Binnen 61 Stunden war sie nonstop mit dem Rettungswagen der Tier-Nothilfe quer durch Europa nach Hause gefahren.
„Sie hat den ganzen Sonnabend durchgeschlafen“, sagt Ehemann Maik Picker, Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Schwarzenbeker Stadtverordnetenversammlung. Nur einen Tag später waren beide wieder im Einsatz beim Tag der offenen Tür im Möllner Tierheim (Zeppelinweg 13). Maik Picker ist Schriftführer im Vorstand, seine Frau leitet seit 2016 das Tierheim.
Mit dabei: Der blau-gelbe Mercedes Sprinter, mit dem Picker und Mike Albertsen (44) von der Tier-Nothilfe in der Türkei waren. „Was wir vom Erdbebengebiet im Fernsehen gesehen haben, sind ja nur Sequenzen“, zeigt sich Picker vom Ausmaß der Zerstörung nach ihrer Rückkehr noch immer erschüttert: „Was dort alles in Schutt und Asche liegt, ist einfach überdimensioniert“, so die Helferin.
Tierretter nutzen umgerüsteten Krankentransportwagen
Die Tierretter hatten ihr Camp in der Stadt Antakya, nur knapp 100 Kilometer vom syrischen Aleppo entfernt, in einem Tierheim aufgeschlagen und unterstützten dort die heimischen Tierschützer. „Alles, was wir dort getan haben, war mit der türkischen Regierung und der türkischen Tierärztekammer, die uns den Weg geebnet haben, abgesprochen“, so Picker. Das türkische Generalkonsulat in Mainz hatte sich mit einem Hilfeersuchen an den Deutschen Tierschutzbund gewendet.
Daraufhin hatte sich neben den Tierrettern aus Mölln auch zwei Katastrophenschutz-Fahrzeuge des Tierschutzbundes sowie ein Einsatzleitwagen der Bundesarbeitsgemeinschaft Rettungs- & Hundeführender Vereinigungen (BAR-RHV) auf den Weg gemacht – insgesamt neun Personen, darunter Hundeführer mit Leichenspürhunden, ein Notarzt, ein Tierarzt, ein Dolmetscher sowie Rettungssanitäter und weitere Helfer.
Drei Tage brauchte der Konvoi ins Erdbebengebiet
„Als ich die Bilder vom Erdbeben sah, war mein erster Gedanke, dort zu helfen“, sagt der Hamburger Albertsen, der als Fluggerätemechaniker für Diehl Aviation in Finkenwerder arbeitet. Als er die Möglichkeit erhielt, spielte sein Arbeitgeber ebenso wie bei Picker sofort mit: Über Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien startete Ende Februar die dreitägige Fahrt ins Erdbebengebiet. Mit an Bord im neun Jahre alten Mercedes-Krankentransportwagen, der von der Tier-Nothilfe zum Tierrettungsfahrzeug umgerüstet wurde, war Hilfsmaterial für die Tierärzte vor Ort, Medikamente und Verbandsmaterial.
Das komplette Basiscamp mit einer beheizten Unterkunft, eine Sanitätsstation für Mensch und Tier, Aufenthalts- und Küchenzelt sowie eine Notsanitäranlage und Medikamente im Wert von 5000 Euro übergaben die Helfer am Ende ihres Aufenthalts den türkischen Kollegen. Das habe sowie da bleiben sollen, sagt Picker. Doch als die deutschen Helfer die Not vor Ort und die Bedingungen, unter denen die türkischen Helfer arbeiten, gesehen haben – „Die türkischen Tierärzte haben in den Hundehütten auf dem Tierheimgelände geschlafen“ – , gaben sie auch private Ausrüstungsgegenstände wie Isomatten und Schlafsäcke weiter.
Im Basiscamp errichteten die Helfer eine Sanitätsstation für Menschen und Tiere, die rund um die Uhr mit einem Notarzt und Tierarzt besetzt war. Die deutschen Ärzte erhielten dafür von der türkischen Regierung die notwendigen Befugnisse, um auch in der Türkei als Ärzte eingesetzt werden zu dürfen. Neben den mobilen Einsätzen wurde der Notarzt auch für einen Tag in einem türkischen Feldlazarett eingesetzt.
Der deutsche Tierarzt leitete im Lager mehrere türkische Arztkollegen an, gemeinsam führten sie Operationen unter seiner Leitung durch. Die Leichenspürhunde wurden gezielt von der Polizei eingesetzt.
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Höhenretter holten Katze aus dem fünften Stock
Doch die Helfer spürten in den Trümmern nicht nur tote Menschen auf, sondern retteten auch Haus- und Nutztiere. „Es gibt in der Türkei zwar ganz viele Straßenhunde und -katzen, aber auch sehr viele Tierfreunde, die Haustiere halten“, sagt Patricia Picker. Das Team kümmerte sich in dieser Zeit vor allem um solche Tiere, deren Besitzer beim Beben umgekommen waren und die trotz Verletzungen noch keine Behandlung erfahren hatten.
„Zu uns kamen etwa Nachbarn, die uns darauf hinwiesen, dass in einem zerstörten Haus im fünften Stock noch eine Katze sein müsste“, so die Tierschützerin. Selbst in den Trümmern zu suchen, war jedoch streng verboten: Alle Aktionen waren mit der türkischen Polizei und dem Militär abgestimmt. Gut, dass unter den Helfern der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG-RHV) auch ausgebildete Höhenretter waren, denen der Zutritt erlaubt wurde.
Die Dankbarkeit der Menschen vor Ort ist groß
Einen Monat nach den schweren Beben in Syrien und der Türkei sind weiterhin Hunderttausende obdachlos. Mehr als 50.000 Todesopfer wurden bislang gezählt. „Man denkt bei so einem Einsatz nicht nach, funktioniert nur“, sagt Picker: „Wir haben in den drei Tagen, die wir vor Ort waren, etwa 40 bis 50 Tiere versorgt. Vor allem Hunde und Katzen, aber auch Ziegen und Kühe.“ Ihre Dankbarkeit hätten die Bewohner die Tierschützer täglich spüren lassen, so die 53-Jährige, deren Haltung klar ist: „Menschenleben haben in so einer Katastrophensituation absoluten Vorrang, aber wir dürfen die Tiere nicht vergessen.“
Innerhalb des Tierschutzbundes werde deshalb aktuell eine Task Force aufgestellt, die bei künftigen Katastrophen helfen soll. Das sei im Übrigen nichts Ungewöhnliches, sagt Picker: „Bei den verheerenden Waldbränden in der Türkei, Griechenland oder Australien waren auch schon Tierschützer im Einsatz, um den verletzten Tieren zu helfen.“ Ähnliches gelte, wenn etwa nach Ölunfällen Wasservögel gerettet und gesäubert werden müssen. Als es im Dezember 2022 zu einem Pipeline-Leck kam, bei dem Hunderttausende Liter Rohöl in den Nordostseekanal bei Brunsbüttel flossen, war Picker ebenfalls im Einsatz.