Mölln. Am 23. November 1992 brennen zwei von Türken bewohnte Häuser in der Möllner Innenstadt. Was ein Hobby-Historiker jetzt aufschrieb.
Als am 23. November 1992 um 0.34 Uhr die erste Meldung von einem Feuer bei der Polizeistation Mölln von einer Telefonzelle aus eingeht, kann noch niemand ahnen, dass die Eulenspiegelstadt wenige Stunden später weltweit in den Fokus für rechtsradikalen Terror rücken wird. Zwei Männer aus der Skinheadszene, damals 19 und 25 Jahre alt, haben zunächst das Wohnhaus Ratzeburger Straße 13 mit sogenannten Molotowcocktails in Brand gesetzt, eine halbe Stunde später zünden sie ein weiteres Mehrfamilienhaus an, die Adresse Mühlenstraße 9.
Drei Menschen – Bahide Arslan und ihre Tochter Yeliz sowie deren Cousine Ayşe Yılmaz – sterben bei dem Brandanschlag an der Mühlenstraße, neun weitere Bewohner werden bei den beiden Feuern schwer verletzt.
Brandanschlag von Mölln: erste detaillierte Dokumentation
30 Jahre nach der Katastrophe liegt erstmals eine detaillierte schriftliche Dokumentation über die Möllner Brandanschläge vom 23. November 1992 vor. Sie trägt den Titel „39 Tage – Mölln im Herbst 1992“ und ist in der Schriftenreihe der Lauenburgischen Akademie für Wissenschaft und Kultur der Stiftung Herzogtum Lauenburg erschienen.
Verfasst hat die 120-Seiten-Schrift der Möllner Lothar Obst, der 1992 beruflich als Verwaltungsleiter des damaligen Städtischen Krankenhauses und ehrenamtlich als Geschäftsführer des Heimatbundes und Geschichtsvereins tätig war.
Lothar Obst versorgt Opfer und lernt deren Familien kennen
Obst hilft noch in der Nacht bei der Versorgung der Opfer und kommt in der Folgezeit in engen Kontakt mit den Familien. Außerdem sammelt er als Hobby-Historiker sofort alle Informationen, die verfügbar sind, und kauft Zeitungen aus aller Welt. Sogar die New York Post berichtet über die rechtsradikalen Taten.
„Diese Verbrechen sind bis heute unfassbar. Die Täter waren sehr junge Menschen, Bahide Aslan lebte bereits mehr als zwanzig Jahre in Deutschland und war voll integriert. Sie kam 1967 zu uns. Für mich ist klar, dass die Bekämpfung von ausländerfeindlichen Tendenzen sehr früh, und zwar bereits über die Schulsozialarbeit, ansetzen muss“, so Lothar Obsts Fazit.
Brandanschlag von Mölln kein Einzelfall
Allerdings ist der Brandanschlag in Mölln nach der Grenzöffnung kein Einzelfall – auch wenn er weltweite Aufmerksamkeit erregt. „Es gab in den Jahren von 1990 bis 1992 fast täglich fremdenfeindliche Anschläge in Deutschland. Unter anderem in Rostock-Lichtenhagen, wo Anwohner Beifall klatschten. 39 Menschen sind dabei gestorben“, erinnert Lothar Obst.
„Die vorliegende Dokumentation über die Möllner Brandanschläge vom 23. November 1992 ist aus Sicht der Lauenburgischen Akademie für Wissenschaft und Kultur ein wichtiger Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser rechtsextremistisch motivierten Tat“, erklärt der Präsident der Stiftung, Klaus Schlie. „Der Tutor unserer Akademie Lothar Obst trägt mit dieser ausschließlich faktenbasierten Darstellung dazu bei, die tatsächlichen Abläufe der Tat, des Rettungseinsatzes und der Reaktion der Bevölkerung in Mölln zu dokumentieren. Ein absolut notwendiger Beitrag frei von Spekulationen und Legendenbildungen“, so Schlie.
Bis heute in der Forschung nur spärlich thematisiert
Die von zwei jungen Neonazis verübten Anschläge, die drei Todesopfer, neun Schwerverletzte und eine Reihe Leichtverletzter unter den 42 Bewohnern der Häuser Mühlenstraße 9 und Ratzeburger Straße 13 forderten, sind bis heute von der deutschen Geschichtsforschung nur spärlich thematisiert worden. So sind bisher kaum wissenschaftliche Arbeiten publiziert worden – lediglich eine Dissertation an der Universität Bremen und eine Masterarbeit an der Universität Wien, allerdings mit anderen Forschungsfeldern. Die Dokumentation geht vor allem der Frage nach: Wie hat damals die Möllner Bevölkerung auf die Anschläge reagiert?
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„Ich möchte damit eine auch nach drei Jahrzehnten immer noch vorhandene Lücke im Schrifttum schließen, denn einen umfassenden Bericht zu dieser Frage gibt es bisher nicht“, begründet Lothar Obst seine Grundlagenforschung.
39 Tage – vom 23. November bis Silvester
Der Titel stellt auf den 39 Tage umfassenden Berichtszeitraum vom 23. November bis 31. Dezember 1992 ab, sodass mit einer großen Detailschärfe nur die zeitlich unmittelbaren und damit authentischen Reaktionen mit ihrer hohen Glaubwürdigkeit dargestellt werden. Die Dokumentation beginnt mit einem literarischen Prolog von Carl Zuckmayer und schließt mit einem künstlerischen Epilog von Horst Grünwald.
Der Verfasser stützt seine Arbeit auf eine eigene 30-jährige Materialsammlung, die Auswertung der Archivbestände, offizielle Einsatzberichten, Privat- und Zeitungsarchiven. Das Heft gibt es für 9,80 Euro bei der Stiftung im Stadthauptmannshof 150 in Mölln.