Basthorst. Mit 24 Jahren ist die geistig behinderte Frau im Rahmen des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten in Wien ermordet worden.
Anna Böttcher, von ihren Freunden und der Familie liebevoll Anni genannt, wurde gerade einmal 24 Jahre alt. Die Tochter des Gutsarbeiters Johann Heinrich Friedrich Böttcher und seiner Ehefrau Anna Paula Frieda Böttcher, geb. Eggers, wurde am 14. März 1920 auf dem Gut Basthorst geboren. Ein Stolperstein aus Messing erinnert seit Kurzem an die Basthorsterin, die ein Opfer des menschenverachtenden Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten wurde und 1944 in Wien in einer speziellen „Pflegeeinrichtung“ ermordet worden war. Offiziell starb die junge Frau am 23. Oktober 1944 an einer Bronchopneumonie (Lungenentzündung).
Künstler Gunter Demnig verlegt den Stolperstein in Basthorst
Der Berliner Künstler Gunter Demnig hat jetzt gemeinsam mit Basthorsts Bürgermeister Christian Zernig und den Gutsbesitzern Milana und Enno Freiherr von Ruffin einen sogenannten Stolperstein vor dem
ehemaligen Wohnsitz der Familie Böttcher im Gehweg verlegt.
„Das Haus gibt es nicht mehr. Heute steht dort eine Reetdachkate. Aber das Andenken an die junge Frau bewegt uns sehr“, sagte Milana von Ruffin gegenüber unserer Zeitung. Anna Böttcher lebte mit ihrer Familie direkt gegenüber der historischen aus Feldsteinen errichteten St. Marien-Kirche, an der Einmündung zur Straße Am Vogelberg.
Mit acht Jahren kam sie in die Alsterdorfer Anstalten
Das Mädchen hat mit eineinhalb Jahren gehen und mit zwei Jahren sprechen gelernt – bis dahin eine normale Entwicklung. Als sie drei Jahre alt war, sei dann ihre Beeinträchtigung erkannt worden. Eine geistige Behinderung, die in den Alsterdorfer Anstalten in Hamburg attestiert wurde.
Nachdem Anni nach 1925 und 1927 zweimal Patientin der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in Hamburg Eilbek war, wurde sie am 5. Januar 1928 in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Dabei wurde eine geistige Behinderung diagnostiziert. Damals war das Mädchen acht Jahre alt.
Ihren Urlaub verbrachte sie in Basthorst
Bei der Aufnahme in Alsterdorf konnte Anni Böttcher ihren Namen nicht nennen. Sie war nicht fähig, sich selbst anzukleiden. Die junge Basthorsterin besuchte zwar die Volksschule in der Anstalt, konnte dem Unterricht aber nicht folgen. Ihre Familie nahm sie öfter auf Urlaub mit nach Hause. Das habe laut Patientenakte zur Folge gehabt, dass auch die wenigen erlernten Fertigkeiten, wie Strümpfe und Stiefel anziehen, wieder verloren gegangen seien.
Anni half im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei Hausarbeiten in dem Haus am Rande des Gutsgeländes. Ihre Eltern und Großeltern beantragten immer wieder Urlaub für das Mädchen, den es regelmäßig in Basthorst verbrachte.
Nach dem Feuersturm in Hamburg erfolgt Verlegung nach Wien
Gegen Ende 1942 wurde in der Krankenakte notiert, Anni brauche Hilfe. Sie gehe mit geschlossenen Augen umher, verhalte sich ruhig, man bemerke sie kaum. In der letzten Notiz vom 16. August 1943 steht: „Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Wien. Gez. Dr. Kreyenberg.“
Durch die Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 (Operation Gomorrha) hatten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Am 16. August 1943 gab es einen Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien (auch bekannt als Anstalt Am Steinhof), unter ihnen befand sich die 23-jährige Anna Böttcher.
Stolperstein soll an ihr Schicksal erinnern
Der Transport nach Wien erfolgte durch die Gemeinnützige Krankentransport GmbH, eine Tarnbezeichnung für die Unterabteilung der Euthanasie-Zentraldienststelle T4, die im nationalsozialistischen Deutschen Reich für den Transport von kranken und behinderten Menschen verantwortlich war, die im Rahmen der Krankenmorde getötet wurden. Dieses Schicksal erlitt auch Anna Böttcher. Daran soll der deutlich sichtbare Stolperstein auf dem Weg zum Gutsgelände gegenüber der Kirche als Mahnung erinnern.
Basthorsts Bürgermeister Christian Zernig schilderte in Anwesenheit der Gutseigentümer Milana und Enno von Ruffin, Gemeindevertretern sowie der Pastorin Carolin Boysen, wie es zu dieser Aktion gekommen ist. „Das Amt für Denkmalschutz hatte uns bereits vor zwei Jahren gefragt, ob die Gemeinde Interesse an einem Stolperstein habe. Wir haben sofort zugesagt, aber dann kam Corona“, sagte Zernig.