Gülzow. Das Konzept von “Tante Enso“ verbindet stationären und Online-Handel mit dem Prinzip einer Genossenschaft. Bald auch in Gülzow?
Das Zauberwort heißt 24/7 und kommt aus dem Amerikanischen: twentyfour/seven bezeichnet die ständige Verfügbarkeit einer Dienstleistung. In Deutschland würde man es mit „rund um die Uhr“ übersetzen – und genau das könnte bald im Gülzower Markttreff an der Hauptstraße 21 Wirklichkeit werden: Einkaufen rund um die Uhr – und das an sieben Tagen in der Woche.
Möglich macht dies Tante Enso. „Das ist ein Supermarkt-Konzept, das die Eigenschaften des guten alten Tante-Emma-Ladens mit den Vorzügen eine topmodernen Online-Supermarktes vereint“, schwärmt Bürgermeister Wolfgang Schmahl (SPD) vom Konzept. Und es ist die wohl die letzte Chance, in Gülzow einen Nahversorger zu etablieren.
24-Stunden-Supermarkt: 300 Anteilseigner gesucht, die jeweils 100 Euro investieren
Doch bevor der Laden öffnen kann, müssen die Gülzower Anteile erwerben. Tante Enso ist nämlich eine Genossenschaft: Mindestens 300 der rund 1000 Einwohner, aber auch Bürger aus den umliegenden Dörfer und Städten, müssen jeweils einen Anteilsschein im Wert von 100 Euro erwerben. Die 30.000 Euro, die so zusammenkommen, sind nicht nur eine Anschubfinanzierung: Sie sollen dem kleinen Laden auch das Überleben sichern. Anteilseigner, so die Überlegung, sind auch Kunden, die in ihrem Laden vor Ort einkaufen und nicht in die Discounter und Supermärkte der Umgebung ausweichen.
Das hatte einst dem kleinen Supermarkt im Jahr 2005 eröffneten Markttreff den Garaus gemacht: Trotz vergleichbarer Preise waren die Kunden abgewandert, unter anderem in den nahen Netto-Markt im Geesthachter Ortsteil Grünhof-Tesperhude. Unter dem Kostendruck wurde der Markt am Ende sogar ehrenamtlich geführt, die Öffnungszeiten eingeschränkt – was zu noch weniger Kunden führte.
Tante Enso 24-Stunden-Supermarkt: Das Projekt wurde in Bremen aus der Taufe gehoben
Dennoch musste die Gemeinde den Markt weiterbetreiben und das jährliche Minus ausgleichen. Denn: Bei einer Schließung vor Ende der Bindungsfrist hätten die EU-Gelder, die für den Markttreff geflossen waren, zurückgezahlt werden müssen. 2017 wurde der Laden geschlossen.
Bei Tante Enso soll nun alles anders werden: Möglich machen soll das der genossenschaftlich organisierte Anbieter myenso. 2016 in Bremen aus der Taufe gehoben, geht es den Gründern Norbert Hegmann und Thorsten Peter Bausch um einen Marktplatz, der von den Kunden weitgehend mitgestaltet werden kann. Regionale Hersteller sollen zudem eine faire Chance bekommen, ihre Produkte anbieten zu können. „Dass sich vor allem im ländlichen Raum rund zwei Drittel aller Deutschen in Orten mit weniger als 3000 Einwohnern nicht mehr versorgen können, war Ausgangspunkt für unsere Idee“, sagt Bausch. Gemeinsam mit Kompagnon Hegmann entwickelte er schließlich ein Konzept für kleine stationäre Märkte mit angeschlossenem Online-Handel.
Mit Chipkarte rund um die Uhr im Supermarkt in Gülzow einkaufen können
„Seine Waren nur zu festgelegten Öffnungszeiten anzubieten, reicht heutzutage nicht mehr aus, um im Handel dauerhaft erfolgreich und konkurrenzfähig zu sein“, sagt Bausch. 24/7 lautet deshalb die Devise, um den Kunden größtmögliche Flexibilität beim Einkauf zu ermöglich. Das gilt nicht nur für den Internet-Shop, sondern auch die Tante-Enso-Läden: Voraussetzung dafür ist eine Chipkarte. Über diese können Kunden den Laden jederzeit betreten, egal ob um Mitternacht oder am Sonntag. Und bezahlt wird ebenfalls mit der Karte – entweder über Lastschrift oder ein zuvor auf die Karte geladenes Guthaben.
Die Chipkarte erhalten nicht nur Anteilseigner, sondern jeder, der sich registrieren lässt. Nur für Anteilseigner gibt es aber besondere Angebote und Rabattaktionen. Zudem öffnet der Laden täglich auch für einige Stunden mit regulärem Personal – insgesamt für 30 Stunden pro Woche.
Tante Enso gibt auch regionalen Anbietern eine Chance
Während reguläre Supermärkte mehr als 1000 Quadratmeter Fläche aufweisen und bis zu 40.000 Artikel anbieten, reichen bei Tante Enso 150 bis 200 Quadratmeter und 2500 bis 3000 Artikel des täglichen Bedarfs aus, die von den Großhandelspartnern Edeka und der Bartels-Langness-Gruppe (Famila, Markant) stammen. Wer mehr will, kann sich im 15.000 Produkte umfassenden Online-Markt bedienen und sich die Produkte an seinen Tante Enso liefern lassen.
Unter dem Stichwort „Foodpioniere“ gehören auch Produkte von Start-ups oder regionalen Herstellern zum Sortiment. Wichtig: Bei Tante Enso sind die Anteilseigner nicht nur Geldgeber, sollen können auch über das Sortiment mitentscheiden. Der Firmenname stammt übrigens aus dem Zen-Buddhismus: Enso bezeichnet dort ein Kreissymbol, das die Fokussierung auf die Kraft jedes Einzelnen verkörpert.
Gemeinde erläutert Konzept an zwei Wochenenden im Markttreff
Am 27. Januar hat Tante Enso im fränkischen Wollbach gerade seine sechste Filiale seit 2018 eröffnet. Weitere 20 sind aktuell in Planung. „Wir erhalten momentan täglich zwei bis drei Anfragen, das Interesse hat enorm zugenommen“, berichtet Bausch. Ziel seien 800 Tante-Enso-Läden bundesweit bis 2030.
Parallel zum Projekt in Gülzow sind derzeit auch die Bürger von Grönwohld im Kreis Stormarn aufgerufen, Anteile für einen Tante-Enso-Laden zu zeichnen – dort wurde der Edeka-Markt geschlossen. In Gülzow haben sich Gemeindevertreter bereit erklärt, als Paten das Konzept zu erläutern. Am 5. und 6. Februar sowie am darauffolgenden Wochenende, 12. und 13. Februar, sind der Bürgermeister und die Paten jeweils von 9 bis 12 Uhr im Markttreff und beantworten Fragen. Dort liegen auch die Antragsformulare aus. „Sollte das Projekt dann doch nicht realisiert werden können, werden die bezahlten Anteile selbstverständlich zurückerstattet“, verspricht Bürgermeister Wolfgang Schmahl.