Schwarzenberk. Die Villa an der Pröschstraße wird zu einer Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie umgebaut.
Neues Leben im alten Rathaus Schwarzenbeks: In die Villa an der Pröschstraße 6, die von 1924 bis 1970 das Rathaus Schwarzenbeks und zeitweise auch der Jugendtreff war, dreht sich nun alles um die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Die Ärztinnen Dr. Daniela Manner und Nathalie Bourgeon eröffnen im Januar dort ihre Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.
Schwarzenbek: Das ehemalige Rathaus wird zu einer Arztpraxis umgebaut
Dafür haben sie die gesamte Villa, die sich in Privatbesitz befindet, angemietet. „Es soll ein guter und sicherer Ort für kleine und große Menschen werden. Ihnen mit Respekt und Offenheit zu begegnen, ist uns eine Herzensangelegenheit“, sagte Nathalie Bourgeon. Dazu gehöre auch ein Ort, der dies uneingeschränkt zum Ausdruck bringe. Das Haus mit seinen knapp ein Dutzend hell und freundlich ausgestatteten Räumen und dem barrierefreien Zugang über die Terrasse werde diesem Anspruch gerecht.
Die Meier-Firmengruppe hat das Gebäude aufwendig saniert. Gegenwärtig geben sich die Techniker und Möbellieferanten noch die Klinke in die Hand, aber Anfang Januar geht es los. „Wie gut, dass wir starten können. Die Not ist groß“, sagte Nathalie Bourgeon. Mitten in der vierten Corona-Welle falle es vielen Familien schwer, den Kopf über Wasser zu halten. Die seit fast zwei Jahren anhaltende Pandemie habe gravierende Auswirkungen auf die Jüngsten.
Seit der Pandemie hat sich das psychische Wohlbefinden erheblich verschlechtert
Das wurde schon im vergangenen Jahr deutlich, als die Uniklinik Eppendorf (UKE) im Mai und Juni in einer Studie die Folgen für die Kinder und Jugendlichen untersuchte. Befragt wurden bundesweit 1040 Kinder- und Jugendliche im Alter von elf bis 17 Jahren und 1586 Eltern per Online-Fragebogen vom UKE und Infratest dimap. Fazit: Das psychische Wohlbefinden hatte sich schon damals erheblich verschlechtert. Zwei Drittel geben eine verminderte Lebensqualität und geringeres psychisches Wohlbefinden an. Vor der Pandemie war es ein Drittel. Psychische Auffälligkeiten stiegen von 18 Prozent vor Corona auf 31 Prozent während der Corona-Krise im Frühjahr 2020.
Viele Kinder haben emotionale Probleme und Verhaltensschwierigkeiten, können schlecht einschlafen, sind gereizt, haben psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen. Ihnen fällt das Lernen schwer, viele können den Alltag in der Schule nicht wie früher bewältigen und empfinden ihn äußerst belastend. Hinzu kommt, dass der Tag oft nicht strukturiert ist und sie sich nicht zurückziehen können. Das wiederum führt oft zu Konflikten und Streit in den Familien. Der Bedarf an professioneller Hilfe für die Kinder und Jugendlichen wächst also.
Sprung in die Selbstständigkeit aus fester Anstellung
Doch im Kreis Herzogtum Lauenburg haben in diesem Jahr zwei Arztpraxen für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Mölln und Geesthacht geschlossen. „Die traurige Gewissheit, dass beide Kassensitze für den Kreis verloren gegangen
wären und die Versorgungssituation sich massiv verschlechtert hätte, ließ uns ins Nachdenken kommen“, sagte Nathalie Bourgeon. Eigentlich hatten sie nämlich gar nicht vor, sich niederzulassen. Beide Fachärztinnen arbeiteten viele Jahre lang in der Vorwerker Diakonie in Lübeck und Büchen. Diese Erfahrung und ein gut etabliertes Netzwerk hilft jetzt bei der Neugründung der Praxis.
Eine gute Versorgung von psychisch kranken Kindern und deren Familien funktioniert nur, wenn Kliniken, niedergelassene Kollegen und Kooperationspartner Hand in Hand arbeiten, sagt Nathalie Bourgeon. Das Team der beiden Ärztinnen wird durch vier Therapeuten und zwei Verwaltungsmitarbeiter ergänzt. Die Praxis bietet Diagnostik, Therapie, Beratung und Weiterbildung an. Termine können jetzt schon werktags zwischen 10 und 12 Uhr unter der Telefonnummer 04151/832 91 30 vereinbart werden und allgemeine Infos gibt es auf der Webseite: www.kjp-schwarzen bek.de
Von der ehemaligen Amtskoppel zum schicken Villenviertel
Der Mauermeister und Gemeindevertreter Johann Prösch hatte sich auf der damaligen Amtskoppel, die
zwischen der jetzigen Compe-, Lauenburger- und Seestern-Pauly-Straße bis zur Bahnlinie lag und bis 1870 nicht erschlossen war, im Jahre 1892 Grundstücke gekauft. Dort baute er an der Nr. 8 der nach ihm benannten Straße seine Villa, die zu den prächtigsten Bauten der Gründerzeit gehört. An der Hausnummer 6 errichtete er eine Villa für seine Söhne. 1924 kaufte Schwarzenbek dieses Gebäude für 22.000 Mark und nutzte es als Rathaus.
Das Gebäude nebenan, die Nr. 4, diente von 1955 an als Wohnhaus des Bürgermeisters. Zuletzt wohnte dort eine Zeit lang Gerd Krämer, der von 1992 bis 2002 Verwaltungschef der Europastadt war, bevor er zum Landrat des Kreises Herzogtum Lauenburg gewählt wurde.
Als das alte Rathaus für die wachsende Stadt zu klein wurde, zog ein Teil der Verwaltung in die Kaiserliche Post am Alten Markt um. Die Post wurde zum Stadthaus. Das war 1970. Die unteren Räume in der Prösch-Villa nahm dann der Jugendtreff in Beschlag. 1983 wurde der Neubau des Rathauses am Ritter-Wulf-Platz im Rahmen eines Stadtfestes eingeweiht. Als letzte Behörde verließ vor elf Jahren der Soziale Dienst des Fachbereiches Jugend, Familie, Schulen und Soziales des Kreises die Villa an der Pröschstraße 6.