Lauenburg. Seitdem die Grenze zwischen West und Ost geöffnet ist, treffen sich Schützen aus Lauenburg und Boizenburg. Eine Tradition, die hält.

Jens Siemon und Rico Timm teilen das selbe Hobby, kennen sich seit vielen Jahren: Siemon ist Vorsteher der Lauenburger Schützengilde von 1666, Timm zweiter Vorsteher der Boizenburger Schützenzunft. Bereits 1990 hatten Lauenburger Schützen in der Partnerstadt Boizenburg geholfen, die dortige Schützenzunft wiederzubeleben. Die ist sogar acht Jahre älter als die Lauenburger Gilde, war jedoch in der DDR verboten. Die Fahne der Zunft war in den 1950er-Jahren in den Westen geschmuggelt worden. „Wir haben sie aufbewahrt und bei unseren Schützenumzügen mitgeführt“, sagt Siemon. Nach der Neugründung der Schützenzunft ging sie zurück an die Boizenburger. Seither treffen sich die Mitglieder beider Vereine jedes Jahr zum Wiedervereinigungsschießen auf dem Schießstand der Gilde im Lauenburger Fürstengarten – und teilen dabei auch Erinnerungen.

Lauenburg und Boizenburg verbindet eine gemeinsame Grenzgeschichte

Vor 33 Jahren waren Siemon und Timm junge Männer, die in den zwei deutschen Staaten lebten – geteilt durch eine streng bewachte Grenze. „Wenn wir sonntags auf dem Balkon im Stadtteil Bahnhof gefrühstückt haben, konnten wir über die Elbe bis Barförde schauen. Aber nie im Leben hätte ich gedacht, dass wir zu dieser wahnsinnig glücklichen Generation zählen würden,“, erinnert sich Timm an die Zeit vor dem Mauerfall 1989.

Natürlich seien die Züge, mit denen die Flüchtlinge aus der Prager Botschaft gen Westen fuhren, ein Aha-Signal gewesen – mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 hatten weder Timm noch Siemon jedoch gerechnet.

Jens Siemon hat den Mauerfall verschlafen

Siemon gibt zu: Er hat den Mauerfall 1989 verschlafen. „Als wir am nächsten Morgen unser Geschäft öffneten, standen zwei junge Männer davor und fragten, ob man die Sachen im Schaufenster auch kaufen könne. Da wussten wir, das irgendetwas geschehen sein muss“, erinnert sich der Uhrmachermeister.

Timm, der damals im Boizenburger Kulturhaus kellnerte, erfuhr bereits in der Nacht von der Grenzöffnung: „Wir saßen noch vor dem Haus, als ein paar Leute kamen und sagten, sie wären drüben gewesen. Wir glaubten ihnen nicht, bis sie uns ihre Pässe mit dem Stempel zeigten.“

Viele glaubten nicht an eine dauerhafte Öffnung der Grenze

Am nächsten Morgen holte sich auch Timm ein Visum. „Wir sind gegen 11 Uhr losgefahren und kamen erst gegen 15 Uhr in Lauenburg an – obwohl die Strecke nicht weit ist“, erinnert sich der Boizenburger an die Staus in Richtung Westen. Dort wurden alle DDR-Bürger freudig empfangen, Timm gleich zu Kaffee und Kuchen eingeladen.

Dass er an diesem Tag zu spät zur Arbeit im Kulturhaus erschien, war ihm egal: „Ich wollte nicht zu denen gehören, die zu lange gewartet haben“, sagt Timm, der damals wie viele andere nicht sicher war, ob die Öffnung dauerhaft sein werde, von einer Wiedervereinigung ganz zu schweigen. Mit Mitte 20 trat Timm dann der Boizenburger Schützenzunft bei: „Ein Antrieb war sicherlich etwas zu tun, was 40 Jahre lang verboten war.“

Trotz nach wie vor vorhandener Unterschiede sei die Einheit ein Geschenk für die Menschen und das Land. Für Lauenburg habe es einen Ruck bedeutet, sagt Siemon: „Wir sind von einer Randlage ins Zentrum gerückt.“ Und Timm sieht nach 32 Jahren Wiedervereinigung auch kein Demokratiedefizit in den neuen Bundesländern: „Vielleicht haben wir sogar ein größeres Verständnis für Menschen, die in Systemen ohne Demokratie leben.“