Ratzeburg. Kreispräsident Meinhard Füllner (CDU) und seine Gedanken zur 30-jährigen Wiederkehr des Tages der Wiedervereinigung.
Ursprünglich hatte Kreispräsident Meinhard Füllner auf einer Gedenkveranstaltung am Tag der Deutschen Einheit in Ratzeburg sprechen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Corona-Pandemie wurde die Veranstaltung abgesagt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erinnert sich der 78-Jährige an den Fall der Mauer und die 30 Jahre währende Einheit, die er als Kreis- und Landtagsabgeordneter aktiv begleitet hat.
Herr Füllner, wenn Sie zurück denken: Was sind die prägendsten Erinnerungen?
Meinhard Füllner: 30 Jahre nach der vertraglichen Besiegelung der Deutschen Einheit, ein Jahr nach dem Fall der Mauer am 9.Oktober 1989, und dann nach und nach die sich öffnende innerdeutsche Grenze auch hier bei uns im Kreis….Für mich sind das sehr emotionale Ereignisse, da ich mich bis dahin sehr aktiv für die Situation an der Grenze und den Gedanken der Deutschen Einheit engagiert hatte. Der Granitstein mit der Inschrift “Einigkeit und Recht und Freiheit“ den ich am 9. November 1990 am 1. Jahrestag des Mauerfalls im Beisein des ersten Ministerpräsidenten Alfred Gomolka aus Mecklenburg-Vorpommern und unserem CDU- Landesvorsitzenden Ottfried Hennig an der B 208 bei Mustin aufgestellt habe, ist dafür das bleibendes Denkmal. Als Parlamentarischer Geschäftsführer im Kieler Landtag hatte ich auch die Gunst, in Schwerin an der Erarbeitung der Geschäftsordnung des Landtages oder in Greifswald an der Verfassung des neuen Bundeslandes beratend mitzuwirken.
Heute 30 Jahre danach feiern wir das Jubiläum der Deutschen Einheit. Was ist Ihr Fazit?
Füllner: Auf allen Ebenen wird analysiert, was gut und was schlecht gelaufen ist. Zu der allgemeinen Betrachtung ist mein Urteil klar:Die Wiedervereinigung ist der glücklichste Vorgang der europäischen Nachkriegsgeschichte. Insgesamt eine erfreuliche Entwicklung, es gibt die blühenden Landschaften. Aber es bleibt auch unsere Aufgabe, nicht den Blick auf die unverdienten Verlierer zu vergessen. Und es bleibt die politisch-psychologische Befindlichkeit der Benachteiligung, die leider von bestimmten Interessenlagen gepflegt wird und damit Populisten und rechtsextremen Kräften den Boden bereitet. Das sollten wir ernster nehmen und uns auch abgewöhnen immer von Ost- und Westdeutschland zu reden. Wir sind doch nun eins. Es wird weiter der Satz gelten: Es wächst zusammen, was zusammengehört.
Wie fällt Ihre Analyse für unseren Kreis Herzogtum Lauenburg und der Nachbarregion in Mecklenburg aus?
Füllner: Gleich nach der Wende gab es auf beiden Seiten der Grenze eine große Euphorie. Nun würden die alten Strukturen, die kulturellen und wirtschaftlichen Verflechtungen wiederhergestellt, ja sogar von einem regionalen Wirtschaftsaufschwung im ehemaligen Zonenrandgebiet war die Rede. Zunächst schien es ja auch so. Der Einzelhandel, die Gaststätten und Hotels und das Handwerk in unserem Kreis verzeichneten höhere Umsätze und investierten in eine bessere Zukunft. Unsere Wirtschaftsförderungsgesellschaft WfL entwickelte, sozusagen als Wirtschaftshilfe, sehr erfolgreich das Gewerbegebiet in Valluhn an der A 24. Doch darüber hinaus wurde mit jedem Jahr mehr und mehr deutlich: Die jahrzehntelange Teilung hat in den Grenzregionen verkehrliche, naturräumliche und siedlungsbedingte Strukturen verfestigt, die nur schwer oder gar nicht mehr verändert werden konnten. In Mecklenburg-Vorpommern entwickelte sich zudem mehr und mehr eine eigene Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftskraft, die zum Teil auch mit besseren Förderungsbedingungen ausgestattet war, eben eine normale Wettbewerbsstruktur. Die wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen unseres Kreises sind in den Jahren nach der Errichtung des Stacheldrahtzaunes vorrangig mit Hilfe der damaligen Zonenrandförderung entwickelt worden.
Der ehemalige Grenzstreifen ist heute ein grünes Band, das Touristen anlockt. Das ist doch positiv für die Region?
Füllner: Wenn man heute auf die letzten 30 Jahre zurückblickt hat sich eigentlich nur wenig geändert. Die Jahrzehnte ungestörte naturräumliche Entwicklung des Naturparkes und vieler Naturschutzgebiete und die abgelegene Verkehrsinfrastruktur haben Grenzen gesetzt. Die Gemeinden sind, wenn auch offen in alle Welt, irgendwie Grenzregion geblieben, aber dabei gar nicht unglücklich. Es war ein richtiger Schritt, dass unser Kreis gemeinsam mit den Kreisen Nordwestmecklenburg, , Ludwigslust-Parchim und dem WWF Deutschland den Zweckverband- Schaalsee-Landschaft gegründet hat. Auf immerhin 335 Quadratkilometern wird hier grenzübergreifend dieser einmalige Naturraum nachhaltig entwickelt und gemanagt. Auch über diese Flächen hinaus wäre ein grenzübergreifendes Naturraummanagement, das die ökologischen und ökonomischen miteinander in Einklang bringt, sinnvoll. Denn neben einer vorsichtigen gewerblichen Stärkung liegen unsere Chancen besonders in der touristischen Entwicklung, die die vielfältigen Potenziale unseres Naturraumes und der Kultur nutzt.
Nicht nur Mecklenburg hat sich verändert, auch unser Kreis, der früher vor allem von den sogenannten Zonenrandförderung profitierte, hat sich verändert?
Füllner: Nach der Wende wurden Standorte der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes aufgegeben und im Wege der Konversion in eine zivile Nutzung überführt. Das öffnete Raum für eine weitere Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung. Durch die Umwandlung der beiden Kasernen in Wentorf in vorrangig Wohngebiete hat die Gemeinde mit heute über 13.500 Einwohnern sich verdoppeln können. In Schwarzenbek konnte die Aufgabe der Bundesgrenzschutz-Unterkunft Gewerbe- und Wohnraum schaffen. Die ehemalige Kaserne in Lanken ist heute ein wichtiges Gewerbegebiet. Der Robert-Koch-Park in Mölln war einmal eine große Bundeswehrschule. Einzig die heutige Unterkunft der Bundespolizei in Ratzeburg hat nach langer Diskussion einen nachhaltigen Bestand.
Aber große gemeinsame Aktionen oder Partnerschaften über die Landesgrenze hinweg sind selten geblieben, oder?
Füllner: Die nunmehr Landesgrenze ist aber ein trennendes Moment geblieben, nicht zuletzt auch wegen des ehemaligen “Todesstreifens“ der nun als grünes Band zur naturbezogenen Entwicklung gehört. Neben den überregional bedeutsamen Verbindungsstraßen A 20, B 208, A 24 und B 5 gibt es auf Nebenstrecken und ortsverbindenden Straßen für die über 60 km Grenze nur noch 7 weitere Wege in unsere Nachbarkreise. Als ich kürzlich Gast einer Veranstaltung in der Gadebuscher Kirche war, bestätigten die Teilnehmer meine Wahrnehmung, dass die meisten der vielen anfangs sehr herzlichen Kontakte in den Jahren erlahmt sind. Da gäbe es noch viele Möglichkeiten, wie es zum Beispiel Projekte wie Dörfer zeigen Kunst des Amtes Lauenburgische Seen vormachen. Eine kulturelle Klammer war über Jahrzehnte die Stiftung Mecklenburg. Es war ein Fehler, dass sie Ihren Sitz von Ratzeburg nach Schwerin verlegt hat. Ebenso wäre es klug gewesen, wenn die Nordkirche Ihren Sitz in Ratzeburg auf der Domhalbinsel erhalten hätte. Nämlich dort wo die Wurzeln des Bistums Ratzeburg waren. Andererseits ist es positiv, dass sich unser Kreis, die Nordkirche und das Land darauf verständigt haben dem Kreis das Herrenhaus auf dem Domhof endgültig zu überlassen. Denn nun können wir es seiner Bedeutung entsprechend zeitgemäß als Museum und Veranstaltungsort weiterentwickeln.
Welche Rolle spielt der Tag der Deutschen Einheit noch in der Politik hier vor Ort?
Füllner: Alles in allem hat sich unser Kreis in den letzten 30 Jahren wirtschaftlich, sozial, ökologisch und auch kulturell sehr positiv entwickelt. Dabei hat allerdings nach meiner Einschätzung die Grenzöffnung, wie ich ursprünglich einmal vermutet hatte, nicht die entscheidende Rolle gespielt. Motor war hauptsächlich unsere Lage in der Metropolregion und damit die Strahlkraft Hamburgs. Das Verhältnis zu unseren mecklenburgischen Nachbarn hat seinen unaufgeregten Lauf. So hätten viele unserer Betriebe und öffentlichen Einrichtungen Probleme, wenn sie nicht die MitarbeiterInnen aus den mecklenburgischen Nachbarkreisen hätten. Viele unserer Landwirte haben die Chance genutzt und sich Flächen in Mecklenburg dazu gepachtet oder gekauft. Und zu den positiven Entwicklungen gehört auch, dass die Lebenshilfe schon sehr früh ihre Kompetenz für Menschen mit Behinderung nach Hagenow und Kneese ausgedehnt hat. Es gäbe noch viele Beispiele. In unserem politischen Alltag ist die Wiedervereinigung kein Thema mehr. Für uns alle bleibt aber die die Pflicht, diesen unsäglichen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte weiter im Bewusstsein der Menschen zu bewahren.