Lauenburg. Aus Dachlatten, Teebeuteln und alten Wischlappen lässt sich Schönes schaffen. Ausstellung in Lauenburg zeigt, wie es geht.

Es ist eine ungewöhnliche Ausstellung, die derzeit in der Galerie ZustandsZone in Lauenburg zu sehen ist: Hier ein paar Liegestühle, dort ein Tisch aus Holz, in der Ecke ein Stuhl. An den Wänden Objekte, die sich erst auf den zweiten Blick als nutzlos gewordene Alltagsgegenstände entpuppen. In Endlosschleife ist auf dem Bildschirm ein Mann zu sehen, der Monologe in italienischer Sprache hält. Es ist der inzwischen verstorbene Designer Enzo Mari – ein glühender Gegner der kapitalistischen Konsumgesellschaft.

Die Ausstellung, die Carsten Uhlig in der ZustandsZone (Elbstraße 75) zusammengestellt hat, führt drei Künstler zusammen: Neben Enzo Mari, der seine Ideen via Bildschirm erläutert, ist der Architekt Simon Korn mit seinem Möbelkonzept vertreten. Die ungewöhnlichen Dekorationen an den Wänden schuf Objektgestalter Rainer Garbe. So unterschiedlich die drei Künstler in ihrem Ausdruck auch sind, eines haben sie gemeinsam: Das Schaffen eines Gegenentwurfes zu unserer heutigen Wegwerfmentalität.

Selbermachen: Workshop Möbelbau als Startschuss für die Ausstellung

Im Sommer 2018 hatten Carsten Uhlig und Zofia Heise das Haus an der Elbstraße in der Lauenburger Altstadt gekauft. Ein Raum im Erdgeschoss steht für Ausstellungen, Filmvorführungen, Lesungen und mehr zur Verfügung. In Hamburg hatte das Paar vergeblich nach einem Haus zum Leben und Arbeiten gesucht – ihre Idee für die ZustandsZone haben sie aber aus der Hansestadt mitgebracht: eine Galerie, ein Projekt und auch ein Zwischenraum zwischen privat und öffentlich.

„Wir wollen Menschen zum Mitmachen animieren, ihnen so ein Gefühl der Gemeinsamkeit vermitteln“, erklärt Carsten Uhlig die Vision. Seit er in Lauenburg wohnt, verfolgt er diese Idee. Vor drei Jahren wagte der 44-Jährige ein Experiment: Mit der „Neuen Initiative für Lauenburg“ wollte er Bewohner der Unter- und der Oberstadt zusammenbringen. Das Projekt scheiterte, nicht aber sein Bemühen, Begegnungen zwischen Menschen zu ermöglichen.

Materialwert des Liegestuhls liegt deutlich unter zehn Euro

„Marta“ steht in Kinderschrift auf auf einem Liegestühle in der Ausstellung. Das Mädchen ist neun Jahre alt und war die jüngste Teilnehmerin am Workshop Möbelbau. Carsten Uhlig hatte den Architekten Simon Korn dafür gewonnen. „Gemeinschaftsbildung“ nennt dieser seine Workshops. Die Idee dahinter: Funktionale Gegenstände selber bauen, mit minimalem Aufwand, für wenig Geld – und mit einem großen Erfolgserlebnis für die Teilnehmer. Jetzt sind die Möbel in der ZustandsZone zu sehen. Wenn die Ausstellung beendet ist, dürfen Marta und die anderen Teilnehmer des Workshops ihre Möbel abholen. Die Liegestühle bestehen aus Dachlatten, einem festen Stoffstreifen und ein paar Schrauben. „Der Materialwert dieses Models liegt deutlich unter zehn Euro“, weiß Carsten Uhlig.

Die Bauanleitung hängt an der Wand. Ausstellungsbesucher dürfen diese gern abfotografieren. So wie sein Vorbild Enzo Mari, möchte nämlich auch Simon Korn ermutigen, seine Möbel-Entwürfe zu kopieren.

Kunstobjekte aus Wischlappen und alten Teebeuteln

Wer die Objekte von Rainer Garbe betrachtet, wird vielleicht beim nächsten Mal den Teebeutel nicht in den Müll werfen und auch den alten Wischlappen mit anderen Augen sehen. Rainer Garbe fügt die unnütz gewordenen Dinge zu einer neuen Ästhetik zusammen, die den Betrachter inspiriert, es ihm gleich zu tun. Und genau das ist gewollt. 

Die Ausstellung in der ZustandsZone wurde gefördert durch das Programm „Demokratie leben!“ Geöffnet ist die Galerie freitags, sonnabends und sonntags, jeweils von 15 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Über den Designer Enzo Mari (1932-2020)

Nach der Philosophie von Enzo Mari hat Carsten Uhlig aus dem Studio Zustandszone die neue Ausstellung konzipiert
Nach der Philosophie von Enzo Mari hat Carsten Uhlig aus dem Studio Zustandszone die neue Ausstellung konzipiert © Wikipedia | Wikipedia
  • Enzo Mari ist eine Symbolfigur des italienischen Designs. Er wurde 1932 in Cerano in der Provinz Novara geboren. Seine lange Karriere begann mit der Teilnahme an avantgardistischen Designbewegungen.
  • Enzo Mari gehörte zu den einflussreichsten italienischen Designern. Seine Objekte sollten vor allem nützlich sein, nicht bloß dekorativ. Die Form galt ihm mehr als der Profit. Deswegen rief er auch dazu auf, seine Modelle zu kopieren. Das Entwerfen um des Entwerfens willen lehnte er ab.
  • Mari war vor allem inspiriert von der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung, ihn interessierten besonders die sozialen Aspekte seiner Arbeit. „Warum ich in all den Jahren ein guter Designer geworden bin? Weil ich ein Künstler war“, sagte er einmal. Sein Schaffen sollte ein Gegenentwurf zum Massenkonsum sein.
  • Enzo Mari wurde 1974 mit Modellen seiner Möbel für den Selbstbaukatalog „Autoprogettazione“ berühmt. Dort veröffentlichte der Designer Baupläne für eine komplette Einrichtung: Stuhl, Tisch, Bett, Regal, Bank. Sein kostenloses Buch umfasste insgesamt 19 Möbel, jedes leicht nachzubauen. Die Bauanleitungen gab es kostenlos auf Anfrage. Alles, was es brauchte, waren Bretter, Nägel, Lust zum Selbermachen – und Geld für das Rückporto.
  • Enzo Mari starb am 19. Oktober 2020 an den Folgen von Covid-19. Seine Frau Lea Vergine, eine Kunsthistorikerin, mit der er fast 60 Jahre lang verheiratet war, überlebte ihren Mann nur einen Tag. Auch sie war mit dem Coronavirus infiziert.