Lauenburg. Um das Elbschifffahrtsarchiv wird die Elbestadt weltweit beneidet. Doch in der Stadt selbst genießt es nur ein Schattendasein.
Wer durch die Lauenburger Altstadt spaziert, wird das unscheinbare Gebäude an der Elbstraße 141 wahrscheinlich übersehen. Dabei verbirgt sich hinter der hell getünchten Fassade ein Schatz, um den Lauenburg von Museen aus der ganzen Welt beneidet wird: Das Elbschifffahrtsarchiv beherbergt die deutschlandweit größte Sammlung an Dokumenten zu europäischen Wasserstraßen. Derzeit ist beantragt, dass sich das Lauenburger Archiv bald Deutsches Binnenschifffahrtsarchiv nennen darf. In dem European Network of River Museums (Europäisches Netzwerk der Flussmuseen) ist die Lauenburger Einrichtung bereits seit vielen Jahren Mitglied.
Umzug des Elbschifffahrtsarchivs in das Maritime Zentrum ist vom Tisch
Doch in der Schifferstadt fristet das Elbschifffahrtsarchiv ein Schattendasein. 2018 beschloss die Politik einen Masterplan zur Aufwertung der Einrichtung. Im geplanten Maritimen Zentrum auf dem Gelände der Hitzler-Werft sollte das Elbschifffahrtsarchiv die Bedeutung erhalten, die es verdient. Doch das Projekt ist vom Tisch: Die Werft will brachliegende Areale für eine Unternehmenserweiterung nutzen. Seitdem steht alles auf Anfang.
Vor der Sitzung des Bau- und Planungsausschusses in der vergangenen Woche hatten Archivleiter Werner Hinsch und sein Stellvertreter Bernd Dittmer zu einer Führung eingeladen – ein Angebot, das nur wenige der Lauenburger Politiker genutzt haben.
Schatzkammer für Wissenschaftler und Freunde spannender Geschichten
Zugegeben, im ersten Moment klingt der Besuch in einem Archiv auch wenig spannend. Man denkt an deckenhohe Regale voller Dokumente, lange Reihen mit Karteikästen und eine staubtrockene Führung durch die Archivräume.
Immerhin lagern im Elbschifffahrtsarchiv etwa 50.000 technische Zeichnungen aus dem Schiffbau, 15.000 Fachbücher und Archivalien, die teilweise bis in das 14. Jahrhundert zurückreichen. Doch viele dieser Exponate sind nicht nur für Wissenschaftler interessant. Das liegt vor allem daran, dass sich jeder der 15 ehrenamtlichen Mitarbeiter einem speziellen Fachgebiet gewidmet hat und dieses entsprechend aufbereitet. „Wir haben ehemalige Schiffbauer, Ingenieure und andere Fachleute in unserer Crew. Die schauen sich ein Foto an und können sofort sagen, wann das Schiff gebaut wurde und auf welcher Werft“, sagt Bernd Dittmer.
Mitarbeiter können auch kuriose Fragen beantworten
Dieses Fachwissen führt dazu, dass die Mitarbeiter auch kuriose Fragen beantworten können. „Uns erreichte kürzlich die Anfrage einer Studentin, die sich in einer Semesterarbeit mit Freizeitangeboten auf der Elbe beschäftigen musste. Sie wollte wissen, ob auf der Elbe mal Gondeln fuhren“, erzählt Dittmer.
Absurd im ersten Moment, doch eine kurze Recherche im Lauenburger Archiv ergab: Ja, es fuhren früher Gondeln auf der Elbe. August der Starke hatte die Idee von einer Reise nach Italien mitgebracht, aus der Elbe einen Canal Grande zu machen. Und natürlich bekam die Studentin die Geschichte um den Kurfürsten und seiner Geliebten gleich dazu geliefert.
Auch Detailzeichnungen werden aufbewahrt
Abgesehen von solchen Aufträgen ist das Elbschifffahrtsarchiv erste Adresse von Menschen, deren Fragen sich auf bestimmte Schiffe beziehen. „Manchmal ist der Opa auf einem Binnenschiff gefahren, und der Enkel möchte Näheres darüber wissen. In solchen Fällen können wir meist helfen“, sagt Dittmer.
Komplizierter wird es, wenn spezielle Konstruktionsunterlagen gefragt sind, etwa für Restaurationen. Doch hier zahlt sich aus, dass im Elbschifffahrtsarchiv nicht nur sogenannte Generalpläne aufbewahrt werden, sondern auch scheinbar unbedeutende Detailzeichnungen. „Die kommen hier manchmal in einem äußerst schlechten Zustand an und werden dann fachmännisch geklebt und geglättet“, erzählt Dittmer und deutet auf ein gewöhnliches Bügelbrett in der Ecke.
Bisher 17 Lauenburger Hefte zur Elbschifffahrtsgeschichte publiziert
Neben der Arbeit vor Ort gibt das Elbschifffahrtsarchiv Publikationen heraus. Die Lauenburger Hefte zur Binnenschifffahrtsgeschichte werden seit 1990 veröffentlicht. Ab Dienstag, 22. März, ist die Webseite aktiv. Unter www.elbschifffahrtsarchiv.de gibt es dann Informationen auch online.
2020 ist das Heft „Vom Wal zum Keiler – Eisbrecher in und um Lauenburg“ von Joachim Kedziora erschienen. Der Leser erfährt darin, was es mit „Böhmischen Kuchen“ auf sich hat und dass der Winter früher eine harte Zeit war.
Der Autor schildert unter anderem die Hochwasser aus den Erzählungen alter Lauenburger, so wie die von Christian Bollhorn, der die Flut 1855 als Zehnjähriger erlebte. Die Bewohner waren zunächst gelassen: „Hier is noch nie Water int Hus west un Ihs herkamen, uns kann hier nix passieren“. Sie sollten sich irren. „Am nächsten Morgen schwammen meine Holzpantinen durch die Kammer“, schrieb Christian Bollhorn in seinem Tagebuch.
Einen besonderen Platz in den Schilderungen von Joachim Kedziora nimmt der 1911 gebaute Eisbrecher „Elbe“ ein. „Dies ist meiner Verbundenheit mit dem Schiff zu verdanken. In jungen Jahren fuhr ich als zweiter Maschinist auf dem Schiff, und ist man mal auf einem Eisbrecher gefahren, dann ist man mit einem Virus infiziert, der einen nie wieder loslässt“, schreibt er.
Stadt zahlt 3200 Euro Zuschuss an den Mietkosten pro Jahr
Mit dem Virus der Binnenschifffahrt infiziert – dass sind sie wohl alle, die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Elbschifffahrtsarchiv. Schon seit 47 Jahren ist Werner Hinsch Leiter des Archivs. Noch heute arbeitet der 83-Jährige jede freie Minute mit den Exponaten.
Der damalige Lauenburger Bürgermeister Hauke Matthießen hatte damals das Potenzial der Sammlung erkannt, die zu diesem Zeitpunkt noch wesentlich kleiner war. Er unterzeichnete den Mietvertrag für das Haus an der Elbstraße 141. Heute bezahlt die Stadt lediglich einen Mietkostenzuschuss in Höhe von 3200 Euro pro Jahr. Eine weitere Unterstützung für das Elbschifffahrtsarchiv gibt es derzeit nicht.