Lauenburg. Lehrerin Ingrid Bindzus geht nach 40 Jahren in den Ruhestand. Das Selbstbewusstsein ihrer Schüler war ihr immer wichtig.
Kaum eine Ehe hält so lange und noch weniger Menschen bleiben über 40 Jahre an einem Arbeitsort. Ingrid Bindzus hängt dagegen freiwillig noch ein halbes Jahr dran. „Ich möchte nicht, dass sich die Kinder mitten im Schuljahr umgewöhnen müssen“, sagt sie. Mit Beginn der Sommerferien verabschiedet sich die Lehrerin der Albinus-Gemeinschaftschule in Lauenburg in den Ruhestand. Viel Aufhebens möchte die 66-Jährige darum aber nicht machen.
Eigentlich wollte Ingrid Bindzus einmal Modejournalistin werden. Da lag es auf der Hand, sich beim Pädagogikstudium für Deutsch und Textilehre einzuschreiben. Dann kamen die vorgeschriebenen Praktika in Schulen. Von nun an konnte sich die junge Frau keinen schöneren Beruf als Lehrerin mehr vorstellen. Als sie mit 25 Jahren an die Albinus-Realschule nach Lauenburg kam, hatte sie bereits zwei Referendar-Stellen hinter sich.
Auf Kinder achten, die schon früh ihr Päckchen zu tragen haben
Das war 1980. Seitdem sind über 40 Jahre vergangen und Ingrid Bindzus gehört noch immer zum Kollegium der Schule. Im Jahr 2008 ist aus der ehemaligen Realschule, der Hauptschule und dem Förderzentrum am Hasenberg die Albinus-Gemeinschaftsschule geworden. Zeit des Umbruchs – sowohl für die Schüler, als auch die Lehrer.
Plötzlich saßen die Kinder alle zusammen in einem Klassenraum: Die, deren schnurgerader Lebenslauf programmiert schien und diejenigen, die schon in jungem Alter ein schweres Päckchen zu tragen hatten. Gerade diese Kinder hatten es Ingrid Bindzus stets besonders angetan. Manche ihrer Schützlinge hat sie bis heute nicht vergessen.
Schüler sollen lernen, selbstständig zu denken
„Da war dieser kleine Junge, der immer anfing zu weinen, wenn er angesprochen wurde“, erinnert sie sich. Im Deutschunterricht studierte sie mit den Kindern die plattdeutsche Version des Märchens „Der Hase und der Igel “ ein. Obwohl der schüchterne Junge keine Rolle spielen wollte, konnte ihn seine Lehrerin überreden, mit auf die Bühne zu kommen. „Du gehörst dazu!“, sagte sie ihm. Als der Junge einige Tage später fragte, ob er in dem Stück auch einen Satz sprechen dürfe, war das Eis gebrochen. Heute ist der kleine Einzelgänger von damals ein gestandener Handwerker, den Ingrid Bindzus manchmal in Lauenburg auf der Straße trifft.
Nicht an alle ihrer Schützlinge kann sich die Pädagogin noch erinnern. Doch einige haben mittlerweile selbst Kinder, die bei ihr im Unterricht sitzen.
Hat sich Schule in den vergangenen 40 Jahren verändert? Und was ist dran an der Behauptung, dass früher mehr Wert auf Allgemeinbildung gelegt wurde? „Das Lernen hat sich verändert. Das Auswendiglernen von Merksätzen steht nicht mehr im Vordergrund. Heute vermitteln wir Wissen viel mehr im Gesamtzusammenhang. Die Schüler sollen lernen, selbstständig zu denken“, ist die Pädagogin überzeugt.
„Die Corona-Pandemie fordert den Heranwachsenden zuviel ab“
Zusammenhänge erkennen, flexibel sein und Selbstbewusstsein entwickeln – das ist das, worauf Ingrid Bindzus bei ihren Schülern besonderen Wert legt. Seit 1999 betreut sie die Juniorunternehmen der Schule. Sie gibt dort nicht viel vor. Die Schüler entwickeln selbstständig die Geschäftsidee und das Vermarktungskonzept. Sie stellen die Produkte her, kalkulieren die Preise und organisieren den Verkauf. Erfolgreich waren alle Juniorunternehmen der Schule, einmal war sogar der Landesmeistertitel drin.
Ingrid Bindzus hat ihren Schülern immer viel zugetraut, oftmals mehr, als die sich selbst. Aber jetzt macht sie sich große Sorgen. „Die Corona-Pandemie fordert den Heranwachsenden zu viel ab“, sagt sie und meint damit nicht nur den Wechsel zwischen Schulbesuch und Distanzunterricht.
Kürzlich habe sie einen Aufsatz über die größten Wünsche gelesen. Statt eines neuen Smartphones oder Markenklamotten hatte sich ein Junge gewünscht, sich endlich wieder mit seinen Freunden treffen zu dürfen. „Da hatte ich Gänsehaut. Ich hoffe sehr, dass diese Sorgen bei allen Entscheidungen nicht außer Acht gelassen werden.“