Geesthacht. Geesthachter Suchtpräventionsforscher unterstützt die Cannabis-Legalisierung. Aber er betont auch die möglichen Risiken.
Nachdem die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis am Mittwoch gebilligt hat, hagelt es von vielen Seiten Kritik an den Plänen von GesundheitsministerKarl Lauterbach (SPD) – ob vom Deutschen Richterbund, Hamburgs Innensenator Andy Grote (ebenfalls SPD) oder Rainer Thomasius, dem Ärztlichen Leiter des Suchtbereichs am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), um nur einige zu nennen.
SuchtpräventionsforscherDr. Jens Kalke verfolgt einen anderen Ansatz. Er sagt: „Alles ist besser, als die bisherige Verbotspolitik.“ Der Geesthachter arbeitet am Institut für Interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Glücksspiel – und eben Cannabis. Bereits vor 30 Jahren hatte Kalke ein Modell zur Abgabe von Cannabis in Apotheken für die damalige rot-grüne schleswig-holsteinische Landesregierung entwickelt.
Suchtpräventionsforscher verteidigt Cannabis-Legalisierung
Im Vorfeld des Lauterbachschen Gesetzentwurfs war der Geesthachter an zwei Gutachten beteiligt, die Empfehlungen ausgesprochen haben auf Basis von ausgewerteten Studien, die sich mit Erfahrungen zu Legalisierungen in Uruguay, Kanada und 18 US-Bundesstaaten befassten. In den Gutachten enthalten waren einige Eckpunkte, die sich nun auch im Gesetzentwurf wiederfinden: etwa eine Beschränkung der Kommerzialisierung durch Abgabe über geregelte Abgabestellen. Denn, so Kalke: „Man darf die Fehler der Alkoholpolitik nicht wieder begehen. Alkohol ist ja rund um die Uhr verfügbar.“
Unbestritten ist: Der Cannabis-Konsum von Erwachsenen hat sich von 2006 bis 2021 verdoppelt. Der THC-Gehalt der Blüten ist in dieser Zeit von 10 auf 14 Prozent angestiegen, und die Fallzahlen der Beratungen und Behandlungen wegen übermäßigem Cannabis-Konsums sind ansteigend.
Gegner bieten keine Lösung der Probleme
Während Rainer Thomasius vom UKE in einem gemeinsamen Statement mit Fachgesellschaften und Verbänden deshalb warnt, die kontrollierte Freigabe „auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen auszutragen“, weil es durch die Freigabe ungünstige Effekte auf deren Konsumverhalten geben könnte, argumentiert Kalke so: „Der Anstieg des Konsums und der Beratungen sind ja mit dem Verbot passiert. Die Prohibitionisten wie Thomasius sagen nun, dass man wegen des Anstiegs nicht legalisieren dürfe, sagen aber nicht, wie sie es stattdessen ändern wollen.“
Kalke sieht in einem kontrollierbaren und qualitätsgesteuerten Zugang zu Cannabisprodukten einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Zumal dieser Weg mit wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet wird. „Damit sie mich nicht missverstehen: Kiffen ist nicht unproblematisch. Besonders Kinder und Jugendliche sollten die Finger davon lassen. Die Studienlage ist so, dass Cannabis nicht ungefährlich ist, aber weniger schädlich als Alkohol“, sagt der Suchtpräventionsforscher.
Gefährlich sind Beimischungen auf dem Schwarzmarkt
Zudem sei der Anstieg der Drogennotfälle laut Kalke auch darauf zurückzuführen, dass dem auf dem Schwarzmarkt gekauften Stoff gefährliche synthetische Cannabinoide beigemischt sein können, vor denen mit Dr. Lars Wilhelm jüngst eine weiterer Geesthachter Fachmann auf dem Gebiet gewarnt hatte. Wilhelm ist Toxikologe am LADR-Zentrallabor und Experte für den Ge- und Missbrauch von Cannabis.
„Mit dem deutschen Modell wird man den Schwarzmarkt nicht vollständig austrocknen können. Aber das ist kein Argument gegen das Modell. Alles, was den Absatz des Schwarzmarkts zurückdrängt, ist zu begrüßen“, sagt Jens Kalke.
Das plant die Bundesregierung
Die Pläne der Bundesregierung sehen vor, dass für Erwachsene künftig der Besitz von 25 Gramm Cannabis straffrei ist und sie maximal drei Pflanzen zu Hause anbauen dürfen. In neuen Vereinen soll zudem Cannabis für den Konsum der Mitglieder angebaut werden können, wobei die Abgabemenge pro Monat beschränkt ist und nicht in den Clubs geraucht werden darf. Die Vereine müssen auch einen Präventionsbeauftragten angeben und den THC-Gehalt ihrer Pflanzen im Labor überprüfen lassen.
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Personen unter 18 Jahren sollen besonders geschützt werden. In ihrer Anwesenheit soll nicht gekifft werden dürfen. Zudem gilt bis zum 21. Lebensjahr eine THC-Obergrenze von 10 Prozent. „Das ist ähnlich wie beim Alkohol, dass kein Hartalk unter 18 erlaubt ist“, sagt Jens Kalke. Zudem soll eine 200-Meter-Regel greifen. In dieser Entfernung zu Cannabis-Clubs, Schulen, Spielplätzen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Sportstätten sowie in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr soll kiffen verboten sein.
Kalke hofft auf Nachbesserungen bei der Legalisierung
In zwei Punkten hofft Kalke bei der „Legalisierung light“, wie er sie nennt, noch auf Nachbesserungen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes. Erstens, dass das Konsumieren auch in den Cannabis-Clubs erlaubt wird, und zweitens, dass die 200-Meter-Regel auf Praktikabilität überprüft wird. „Die Vereinsmitglieder wollen doch auch mal einen zusammen kiffen können und nicht in städtische Randlagen gedrängt werden, was durch die 200 Meter passiert“, sagt Kalke.
In einem nächsten Schritt müssten dann die THC-Grenzwerte (aktuell ein Nanogramm THC pro Milliliter Blut) fürs Autofahren angepasst werden, die aktuell kein Bestandteil der Legalisierung sind. „Unter Drogen Auto zu fahren geht nicht. Die entscheidende Frage ist aber, wann man wieder fahren darf. Der derzeitige Grenzwert ist zu niedrig. Leute, die am Freitag legal kiffen und nach einer Verkehrskontrolle am folgenden Dienstag oder Mittwoch den Führerschein verlieren – das darf nicht sein“, sagt Kalke.