Geesthacht. „Ausgestrahlt“: Aktivisten radeln durch Deutschland und wollen verhindern, dass stillgelegte Meiler wieder hochgefahren werden.

2011 stillgelegt, liegt das 1983 in Betrieb gegangene Atomkraftwerk Krümmel beschaulich an der Elbe. Die Genehmigung für den Rückbau ist beantragt, sie steht indes noch aus. Drinnen laufen vorbereitende Arbeiten. Seitdem das AKW vom Netz ist, ist es ruhiger geworden. Die letzte große Demonstration von Atomkraftgegnern war am Ostermontag 2011, 15.000 Menschen forderten die endgültige Stilllegung.

Nun steht wieder eine Demo an. Die Radtour „Ausgestrahlt“ hat sich am 9. Juli auf den Weg gemacht, um in Deutschland Ziele anzufahren, die Atomstandort sind oder waren, auch Deponien. Anlass für die Protest-Tour der Atomkraftgegner sind Überlegungen von Politikern: Um der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise zu begegnen, wollen sie die letzten drei Atomkraftwerke länger laufen lassen, als mit dem Atomausstieg mal geplant war. Die letzten AKW im Betrieb sind Isar II, Neckarwestheim II und Emsland, sie sollen zum 31. Dezember 2022 vom Netz gehen.

AKW Krümmel: Protest gegen Laufzeitverlängerungen

Der Abstecher nach Geesthacht steht für Dienstag, 26. Juli, auf dem Plan. Wie viele Demonstranten sich auf den Weg machen und wann sie vor dem AKW Krümmel erscheinen, ist unklar. Aus Altona kommend, schlagen die Teilnehmer am Montag im Café Flop an der Wentorfer Straße in Bergedorf ihr Nachtlager auf. Eine Gruppe fährt Richtung Lübeck zur Deponie Niemark, eine andere Gruppe optional am Dienstag nach Krümmel. Auch wenn hier kein Atomstrom mehr erzeugt wird, verweist Ausgestrahlt e.V. – der Verein war auch 2011 auf der letzten Demo dabei –, „auf das Standort-Zwischenlager mit 41 Castor-Behältern“.

Bettina und Gerhard Boll haben seit 1976 Unterlagen und Utensilien zur Atomkraft in einem Archiv zusammengetragen.
Bettina und Gerhard Boll haben seit 1976 Unterlagen und Utensilien zur Atomkraft in einem Archiv zusammengetragen. © Boll | Boll

Gesichert ist eine Uhrzeit: Um 17 Uhr wird das Atom-Archiv von Gerhard und Bettina Boll in Geesthacht an der Bergstraße 38 besucht. Die beiden gehören vor Ort zu den langjährigsten Kämpfern gegen die Atomkraft. „Die erste Akte im Archiv ist von 1976“, berichtet Bettina Boll. Da stand das AKW Krümmel noch nicht, aber Planungen liefen bereits. Zudem gab es bereits den Forschungsreaktor des GKSS, der 2010 abgeschaltet wurde.

Atom-Archiv ist voller Zeitungsartikel und Gerichtsunterlagen

Gesammelt wurden Zeitungsartikel und Gerichtsunterlagen, aber auch alte Plakate und viele Dinge, die beim Widerstand gegen Atomstrom eine Rolle spielten. Die Bolls halten das Archiv bei den Daten auf dem neuesten Stand. Für die Atomkraftgegner gibt es weiter viel zu tun. So sind sie in den Dialogrunden zu den jeweils noch nicht genehmigten Rückbauten der beiden Geesthachter Atomanlagen vertreten, liefern der Webseite www.atommuellreport.de Informationen zu. Eine gebundene Ausgabe von 2013 dieses Kompendiums rund um die Atomkraft-Nutzung in Deutschland findet sich ebenfalls im Archiv.

Bettina Boll berichtet von einem guten Verhältnis zu den Verantwortlichen der „anderen Seite“. „Ein Schwarz-Weiß-Denken habe ich nie gehabt“, sagt sie. Die große Demo von 2011 hatte sie mitorganisiert. Entsprechend dem damaligen von ihr kreierten Motto wird sie nicht als Demonstrantin dorthin zurückkehren, auch diesmal nicht.

Nach der Kehrtwende gab es kein zurück

„Es hieß Kehrtwende“, betont Bettina Boll. „Wir haben uns alle umgedreht, der Atomkraft den Rücken gekehrt und sind mit der Fließrichtung der Elbe in Richtung Zukunft davongegangen.“ Die Abschlusskundgebung fand auf dem Menzer-Werft-Platz statt.

Im AKW sieht man einem Protest vor den Toren gelassen entgegen. „Wir sind alle ganz entspannt“, sagt der für die Kommunikation Verantwortliche Karsten Wulff. Sicherheitsvorkehrungen würden auch nicht erhöht. Wenn möglich, sucht Karsten Wulff den Dialog. „Ich biete auch gern etwas zu trinken an.“