Geesthacht. Im Land fehlt es an Pädagogen. Nun haben auch Fachfremde eine Chance, in den Schuldienst zu wechseln. So wie Nina Kulcke.

Seit dem 1. Februar ist Nina Kulcke Grundschullehrerin auf dem zweiten Bildungsweg. An der Buntenskamp-Grundschule in Geesthacht unterrichtet die 42-Jährige fortan in zwei Klassen Mathematik, Sachunterricht und Musik. Nur die Papiere, die sie als Beamtin ausweist, liegen ihr noch nicht vor. „Ich wollte einen größeren Fußabdruck hinterlassen, als nur an Bakterien herumgeforscht zu haben“, sagt Kulcke, die ein Diplomstudium in Biochemie- und Molekularbiologie absolviert hat.

Quer- und Seiteneinstieg sind Wege, um dem Lehrermangel zu begegnen. Denn an vielen Schulen in Schleswig-Holstein fehlt es an ausgebildeten Fachkräften. Auch wenn die formale Besetzung der Planstellen etwas anderes suggeriert.

Die landesweiten Quoten für die meisten Schulformen beginnen meist ab 98 Prozent aufwärts. „Das heißt aber nicht, dass physisch immer jemand anwesend ist“, verweist David Ermes, der Sprecher des Kieler Bildungsministeriums, auf Krankheit oder Elternzeit.

Lehrermangel in Schleswig-Holstein: Im Herzogtum Lauenburg sind 20 Planstellen unbesetzt

Zudem gibt es starke regionale Unterschiede. In Flensburg, wo Lehrer in Schleswig-Holstein ausgebildet werden, gibt es ein Überangebot. An der Westküste und auch im Kreis Herzogtum Lauenburg können Stellen dagegen nicht besetzt werden. „Ein fertiger Lehrer wartet lieber ein paar Jahre auf eine freie Stelle an seiner Wunschschule und wird solange Vertretungslehrer anstatt etwa ins Lauenburgische zu ziehen“, sagt David Ermes.

So fehlen etwa an der Grundschule Silberberg in Geesthacht 2,5 Stellen, obwohl sie als Teil des Per­spektivschulprogramms bei der Besetzung besonders berücksichtigt wird. Im Herzogtum Lauenburg sind aktuell 20 Planstellen für Lehrkräfte unbesetzt. „Ich nehme diese Zahl sehr ernst“, sagt der neue Schulrat Michael Harder.

Schulen können kurzfristige Ausfälle kaum kompensieren

Michael Harder aus Kirchwerder ist seit dem 1. Februar der neue Schulrat des Kreises Herzogtum Lauenburg. Zuvor war der 53-Jährige Schulleiter am Förderzentrum Hachede-Schule in Geesthacht.
Michael Harder aus Kirchwerder ist seit dem 1. Februar der neue Schulrat des Kreises Herzogtum Lauenburg. Zuvor war der 53-Jährige Schulleiter am Förderzentrum Hachede-Schule in Geesthacht. © BGZ | Privat

Der 53-Jährige aus Kirchwerder hat die Stelle im Februar angetreten, um gestalterisch in der Schullandschaft tätig zu werden. Zuvor war Harder 17,5 Jahre als Leiter oder Korektor an der Hachede-Schule in Geesthacht. An Förderzentren wie am Dialogweg ist die Lage besonders prekär. In Geesthacht fehlen allein vier Lehrer. Auch die Stellenbesetzungsquote für diese Schulform im Kreis (80,9 Prozent) zeigt das Defizit. Auch Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe (93,3) haben deutlichen Nachholbedarf.

Obwohl Schleswig-Holstein in der Pandemie-Zeit die Mittel für Vertretungslehrkräfte deutlich aufgestockt hat, können Schulen kurzfristige Ausfälle kaum kompensieren. „Die halbe Fachschaft in Mathe macht Überstunden“, sagt Jan Kunze, stellvertretender Leiter am Otto-Hahn-Gymnasium Geesthacht.

Im zweiten Schulhalbjahr können manche Fächer nicht wie im Lehrplan vorgesehen unterrichtet werden. Über die sogenannte Kontingentstundenzahl kann das in späteren Jahrgängen nachgeholt werden – vorausgesetzt, das Defizit im betroffenen Fach ist dann behoben.

Wenn G9 an Schulen mit Oberstufe kommt, verschärft sich die Situation

Vor allem mangelt es in den Fächern Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, Musik, Kunst und in der Sonderpädagogik, teilt das Bildungsministerium mit. „Wir müssen mehr Lehrer ausbilden. Da ist das Ministerium in der Bringschuld“, betont Jan Kunze, in seiner Eigenschaft als stellvertretender Sprecher des schleswig-holsteinischen Philologenverbands (PHV).

Zumal, wie Kunze zu bedenken gibt, sich die Situation in 3,5 Jahren an den Schulen mit einer Oberstufe noch mal verschärft, wenn wieder auf das Abitur nach neun Jahren (G9) umgestellt wird. „Dann gibt es auf einen Schlag pro Schule rund 100 Schüler mehr“, mahnt Kunze.

Zwei Kunstlehrerinnen und eine Referendarin für 830 Schüler

Wie prekär die Lage bereits jetzt ist, veranschaulicht die Lage im Fach Kunst am OHG. An der Schule unterrichten zwei Kunstlehrerinnen und eine Referendarin 830 Schüler. „Ich habe gehört, dass es landesweit gerade mal vier Kunst-Referendare gibt“, sagt Kunze. Und in manchen Fächern ködert auch die Wirtschaft potenzielle Lehrer mit vielfach höheren Verdienstmöglichkeiten.

Das Bildungsministerium arbeitet seit Jahren an Maßnahmen zur Personalgewinnung. Ministerin Karin Prien hat zudem zu einer „Allianz für Lehrkräftebildung“ aufgerufen. Neben mehr Studienplätzen werden Lehrer auf Planstellen verbeamtet. Zudem wurde der Sold für Grundschullehrer ans Hamburger Niveau angeglichen. Referendare erhalten 250 Euro Zuschlag, wenn sie sich in bestimmten Region ausbilden lassen.

Vorbereitungsdienst in der GS Nordost in Schwarzenbek

Von 2009 bis Oktober 2021 sind zudem 764 Personen als Quereinsteiger Lehrer geworden, 410 weitere als Seiteneinsteiger. Nina Kulcke, die neue Lehrerin an der Buntenskampschule, fehlt in dieser Auflistung. Sie hat ihren Vorbereitungsdienst in der Grundschule Nordost in Schwarzenbek absolviert. „Obwohl schon klar war, dass ich nach Geesthacht gehe, habe ich eigentlich jeden Tag eine Anfrage von einer Schule bekommen“, berichtet sie sogar von Anfragen aus Ahrensburg oder Bad Oldesloe.

Sie wollte aber in ihre Heimatstadt. Mit dem neuen Job hat sich die vierfache Mutter einen länger gehegten Wunsch erfüllt. Kulcke: „Ich wollte immer eine Großfamilie und habe gesagt, wenn ich danach noch Kinder mag, werde ich Lehrerin.“ Gesagt, getan. Wenngleich sie Nachahmern rät, zunächst als Vertretungslehrer reinzuschnuppern. „Es ist gar so nicht leicht, eine Gruppe zu führen. Das unterschätzen manche“, sagt Kulcke.

  • Quer- und Seiteneinstieg: Was ist der Unterschied?

Ein Quereinstieg in den Vorbereitungsdienst (früher Referendariat) ist nur möglich, wenn es nicht genügend Lehramtsanwärter gibt. Zudem ist es auf Grund- und Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe sowie Berufsbildungs- und Förderzentren begrenzt. Erforderlich ist ein abgeschlossenes Masterstudium, von dem eine Fachqualifikation herleitbar ist. Nach dem 18-monatigen Vorbereitungsdienst folgt der Eintritt in den Schuldienst.

Ein Seiteneinstieg ist dagegen an allen Schulformen möglich. Hat eine Schule eine Stelle zweimal erfolglos ausgeschrieben, kann sie diese für einen Seiteneinsteiger öffnen. Die angehende Lehrkraft bewirbt sich also direkt bei einer Bildungseinrichtung. Dort fängt sie nach einer zweijährigen Qualifizierung an. Denkbar ist, dass der Seiteneinsteiger nur ein Fach unterrichtet. Voraussetzung ist auch ein abgeschlossenes Masterstudium.