Gülzow/Sahms/Geesthacht. Die Politik verlangt die Bündelung von Infrastrukturprojekten. Was die Planung beschleunigen soll, kann auch Bürgern helfen.

Der Informationsbedarf der Menschen zu neuen Hochspannungsleitungen im Kreis Herzogtum Lauenburg ist weiterhin hoch. Fast 100 Bürger haben sich die Woche von Experten des Netzwerkbetreibers Tennet in Gülzow über die Pläne für eine neue 380.000-Volt-Trasse zwischen Lübeck über Sahms bis Krümmel an der Elbe informieren lassen. Auch wenn der Trassenverlauf derzeit noch in Planung ist: Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass ein weiteres Zerschneiden des Kreises durch Stromtrassen vermieden werden kann.

Zumindest für die vom Unternehmen Tennet vorangetriebene Nord-Süd-Verbindung weisen die aktuellen Vorplanungen in eine andere Richtung: Für den Nordabschnitt zwischen Stockelsdorf bei Lübeck und dem geplanten großen Umspannwerk bei Sahms (Amt Schwarzenbek Land) ist die Wahrscheinlichkeit gewachsen, dass der Neubau im Wesentlichen einer alten Trasse folgen wird. Im Südkreis, so erfuhren Besucher der Info-Veranstaltung, wolle Tennet ähnlich verfahren.

Neue Hochspannungsleitungen auf alter Trasse?

Das bedeutet nicht nur, dass die großflächigen Schutzgebiete östlich des Elbe-Lübeck-Kanals voraussichtlich nicht tangiert werden. Nach derzeitigem Planungsstand wird auch die Mehrzahl der Menschen, die westlich davon leben, von dem Neubau nicht berührt.

Grund: Die neue Stromautobahn soll nicht nur dem Verlauf einer bereits existierenden 110.000 Volt-Leitung bis Sahms folgen. Die Stromautobahn soll diese ersetzen, sodass sie später abgebaut werden kann.

Alte 110-KV-Trasse könnte abgebaut werden

„Wir haben für die neue Trasse die Chance, diese mit einer alten Trasse zusammenzufassen“, bestätigt Jan Niclas Wölfel, Sprecher des deutsch-niederländischen Unternehmens Tennet. Stehen die neuen Hochspannungsmasten, soll die 110-KV-Leitung von SH-Netz mit auf die neue Trasse genommen werden.

Angesichts der enormen Investitionskosten hatten die niederländische Konzernmutter beziehungsweise die niederländische Regierung 2023 darauf gedrungen, Deutschland solle das 2010 von E.on erworbene Verteilnetz übernehmen. Es ist eines von vieren in Deutschland und zugleich das flächenmäßig größte.

Tennet benötigt rund 25 Milliarden Euro

Jüngsten Informationen nach ist der Plan geplatzt. Deutschland zeigt sich angesichts der aktuellen Milliardenlöcher im Bundeshaushalt zugeknöpft. Tennet will dem Vernehmen nach nun versuchen, durch eine Kapitalerhöhung oder über Investoren das benötigte Kapital zu beschaffen. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ soll es zunächst um etwa 25 Milliarden Euro gehen. Allein die Umsetzung der Lübeck-Elbe-Trasse sollen sich nach Informationen unserer Redaktion auf rund eine Milliarde Euro belaufen.

Für die Menschen in der Region spielen andere Gesichtspunkte eine größere Rolle. Umso mehr, als Beschleunigungsgesetze für Infrastrukturmaßnahmen die Einflussmöglichkeiten für Betroffene und Umweltverbände in Deutschland einschränken. So ist zum Beispiel mit der Festlegung, Tennet und 50Hertz (plant die Hochspannungstrasse von Hamburg nach Sahms) sollen ihre Projekte als Überlandleitungen realisieren, die Frage beantwortet, ob nicht unterirdische Stromtrassen die umweltverträglichere Lösung wären.

Gesetzgeber: Stromtrassen, Schienen und Autobahnen bündeln

Jan Niclas Wölfel räumt in dem Zusammenhang mit einem Missverständnis auf. Die vom deutschen Gesetzgeber geforderte Bündelung von Trassen ziele nicht allein auf Starkstromleitung oder alle Energienetze. „Das Bündelungsprinzip soll auch mit Blick auf Bahntrassen oder Autobahnen gelten.“ Andererseits sei dies jedoch immer auch ein Punkt, der der Abwägung unterliege.

Im Kreis Segeberg baut Netzbetreiber Tennet provisorische Hochspannungsasten, um in der Bauphase die Verorgungssicherheit zu garantieren.
Im Kreis Segeberg baut Netzbetreiber Tennet provisorische Hochspannungsasten, um in der Bauphase die Verorgungssicherheit zu garantieren. © Christopher Mey | Christopher Mey

So könnte etwa der Schutz von Naturräumen oder Anliegern, könnten Eigentumsrechte, hohe Kosten oder technische Probleme einer Bündelung entgegenstehen. „Die Resonanz der Besucher unseres Infomarktes war unterschiedlich“, sagt Wölfel. Wobei die Einsicht in die Notwendigkeiten der Energiewende zunähme. Und damit auch die Erkenntnis, dass es nicht reiche, im Norden wachsende Mengen Windstrom zu produzieren. Diese müssten auch zu den Verbrauchern und den Industrieunternehmen im Westen und Süden gelangen.

Mehr zum Thema

Die Reaktionen der Menschen auf die Informationen sei unterschiedlich, bestätigt Wolfgang Schmahl, Bürgermeister von Gülzow. Dies sei keinesfalls verwunderlich, hänge auch vom Grad der Betroffenheit ab. „Die Neubauleitungen sollen zum großen Teil entlang bestehender Trassen entstehen, in manchen Regionen auch mal etwas dichter an manchen Orten entlanglaufen, je nach Gegebenheit“, so Schmahl. Für Gülzow bedeute die Umsetzung bereits bekannter Überlegungen jedoch kein Problem.

Im Süden des Kreises wolle Tennet ähnlich verfahren wie im Norden, wo das Planverfahren ein rundes Jahr weiter ist, sagt Wölfel. „Auch hier werden wir eine Bündelung entlang vorhandener Trassen beantragen.“ Mit der Realisierung wären Befürchtungen vom Tisch, die Region Geesthacht könne vom Anschluss der neuen Stromautobahn bis zum Übergang über die Elbe besonders betroffen werden.