Lauenburg. Der Erdrutsch an der B209 ist derzeit in aller Munde. Doch die ungebändigte Naturgewalt des Elbhangs zeigt sich nicht erst seit heute.
In Lauenburg ist vieles auf Sand gebaut – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Zu allen Zeiten zeigte sich der Elbhang gelegentlich von seiner unberechenbaren Seite, forderte sogar Menschenleben. Aber anders als heute wurden solche Unglücke außerhalb der Stadtgrenzen kaum bekannt. Wie denn auch? Es gab kein Fernsehen und Radio und soziale Netzwerke schon gar nicht.
„Eine Warnung wurde in Lauenburg von Generation zu Generation weitergegeben: Fass den Elbhang niemals an!“, weiß Heimatforscher Horst Eggert. Für uns hat er in seinem Archiv nach Belegen für spektakuläre Erdrutsche in der Lauenburger Geschichte gesucht. Besonders wenn es wochenlang regnet, so wie jetzt, werfen die Menschen dem Elbhang von je her bange Blicke zu.
Lauenburgs Berg rutscht: Angst und Schrecken zu allen Zeiten
Warum der Berg hier immer wieder ins Rutschen kommt, haben Wissenschaftler relativ früh herausgefunden. So notierte der Gelehrte Johann Taube aus Celle nach einem Besuch in Lauenburg im Jahre 1769: „Hier zieht die Elbe nicht ruhig an Stadt und Land vorbei. Fast frontal prallt sie auf eine Endmoräne, die kein fester Berg, kein Fels ist, daher Stück um Stück angenagt und zum Steilufer wird. Nicht nur Schiffer und Fischer leben hier gefährlich.“
Weniger poetisch ausgedrückt: Die mächtigen Gletscher der letzten Eiszeit schoben sich von Norden her über den Untergrund. Sie lagerten große Mengen von Geröll, Kies und Sand ab, die Hauptbestandteile des instabilen Lauenburger Elbhangs.
1661 begrub der Schlossberg mehrere Häuser unter sich
Der Winter im Jahre 1661 war lang und nass. Nicht nur das einfache Volk, sondern auch die herzogliche Familie klagte über das „viel feltige continuirliche Regenwetter“. Doch damit nicht genug. In alten Aufzeichnungen ist nachzulesen, dass ein riesiger Teil des Schlossberges absackte und mehrere Häuser im Tal unter sich begrub. Der herzogliche Chronist schrieb auf, was alle befürchteten: „Nun werde die große Schloss Mauer follends nachschießen und alles zerschmettern und niederschlagen.“ Doch der Hang gab sich damals gnädig.
Dass mit dem Schlossberg aber auch in jüngerer Zeit nicht zu spaßen ist, zeigte sich vor genau 30 Jahren. Zu Beginn des Jahres 1994 hatte es fast ununterbrochen geregnet. Das Erdreich war völlig aufgeweicht und in den Hanglagen zeigten sich erste Spalten. Plötzlich rutschte der Hang ab und riss Bäume und Steine mit sich, die hinter dem Haus an der Elbstraße 105 landeten. Der Eigentümer des Hauses kommentierte den Vorfall mit trockenem Humor: „Das Schloss möchte ich aber nicht unbedingt im Garten haben“, sagte er.
Nicht immer waren es nur Gebäude, die dem unberechenbaren Hang zum Opfer fielen. Horst Eggert hat in seinem Archiv auch Unterlagen gefunden, die belegen, dass Menschen durch herabstürzende Teile des Elbhanges zu Tode gekommen sind. So soll es sich 1785 zugetragen haben, dass ein Mann im Kuhgrund Erdreich für den eigenen Gebrauch abgetragen habe. Das sollte ihm nicht gut bekommen.
Der Berg rutschte nach, der Mann erstickte. Besonders tragisch auch der Fall zweier Kinder, die im Jahre 1858 durch den Elbhang zu Tode kamen. Ein Vierjähriger und ein drei Jahre älterer Junge spielten am Lauenburger Sandberg, als sich ein großer Teil des Hangs löste und die Kinder unter sich begrub.
Rutschender Elbhang forderte auch Todesopfer
Immer wieder zeigte sich in der Vergangenheit, es müssen gar keine großen Eingriffe in den Hang sein, die eine Katastrophe auslösen können. Der Lauenburger Historiker Dr. Wichmann von Meding zitierte in seinem Buch „Stadt ohne Land am Fluss“ den Lauenburger Botaniker Wilhelm Claudius, der 1866 schrieb: „Als ich, nur mit dem Taschenmesser und dem Spazierstock eine mir interessante Stelle bearbeitete, stürzte rechts unmittelbar neben mir ein ungelogen hausgroßes Stück der Steilwand unter donnerartigem Getöse herunter.“
Claudius warnte nach diesem Vorfall dringend vor Eingriffen in den Elbsteilhang: „Nicht jeder dürfte so glücklich davon kommen, wie ich.“
Der Berg rächt sich für Eingriffe des Menschen
Doch nicht jeder hielt sich daran. Im Gegenteil, zu allen Zeiten gab es Menschen, die den Lauenburger Elbhang unterschätzten. Der Lauenburger Landbaumeister stellte im Jahre 1783 von Amts wegen fest, dass „viele Unterberger an den Berg hineingraben und sich daselbst Gartenland aptiren.“ Der Amtsmann stellte Abgrabungen bei sechs Unterbergern fest, die jeweils einen Reichsthaler Strafe zahlen mussten.
Aber auch in späteren Jahren gab es immer wieder Eingriffe in den Elbhang, teilweise sogar mit behördlicher Genehmigung. 1890 stellte der Eigentümer der heutigen Heinrich-Osterwold-Halle den Antrag an die Lauenburger Baubehörde, hinter dem Tanzsalon ein Clubzimmer anzubauen.
Seltsamerweise wurde dem Antrag stattgegeben, obwohl nun weit in den Berg hinein gebaut wurde. Das rächte sich viele Jahre später. 1926 kam der Hang hinter dem Gebäude ins Rutschen, durchbrach die Bühnenaußenmauer und schleuderte Bäume durch das Dach auf das Parkett im Saal.
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Viele weitere Gebäude fielen im Laufe der Jahrhunderte dem unberechenbaren Elbhang zum Opfer: Wo heute das prägnante Winkelhaus (Elbstraße 111) steht, gab es drei Vorgängerhäuser, die jeweils durch einen Erdrutsch vernichtet wurden. Sicher sind nicht alle Tragödien, die der Elbhang verursacht hat, dokumentiert. Natürlich gibt es kaum Bilder von den Unglücksszenarien vergangener Zeiten.
Ältestes Foto eines Abrutsches stammt aus 1910
Eine der frühesten Aufnahmen eines Erdrutsches in Lauenburg dürfte ein Foto aus dem Jahre 1910 sein. Damals war der Hang unterhalb des Halbmondes großflächig abgerutscht. Wie gewaltig die Abbruchstelle ist, lässt sich auch von Weitem erkennen. Weitere Umstände dieses Ereignisses sind nicht bekannt. Die Aufnahme ist allerdings auch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Die Abbruchstelle aus dem Jahre 1910 ist nur wenige hundert Meter vom aktuellen Hangabrutsch an der B209 entfernt.