Geesthacht. Nach dem Angriff seines American Bully XL kämpften die Ärzte vergebens um das Leben eines Geesthachters. Was über ihn bekannt ist.
Nach der Beißattacke durch seinen Kampfhund am Mittwoch, 24. Januar, den die Polizei in der Folge erschoss, ist ein 35-jähriger Geesthachter am Freitagabend seinen schweren Verletzungen erlegen. Der Mann hatte einige Zeit mit zerbissenen Unterarmen und stark blutend auf dem Waldboden gelegen, bevor er zufällig von einer Spaziergängerin entdeckt wurde. Seine Körpertemperatur betrug nur noch 29 Grad Celsius.
Im BG Klinikum in Boberg kämpften die Ärzte bis zuletzt um das Leben des Mannes, der per Rettungshubschrauber eingeliefert worden war. Sein Zustand war wegen des Blutverlusts und einer starken Unterkühlung von Anfang an kritisch.
Geesthacht: Sein Kampfhund half dem Opfer durch schwierige Zeiten
In Geesthacht bangten die Kameraden seiner Fußballmannschaft, der er sich im Herbst angeschlossen hatte, um das Leben ihres Mitspielers. Auch sie fragten sich: Wie konnte es passieren, dass der muskulöse American Bully XL sein Herrchen anfiel? Zumal der Hund bereits vor gut zwei Wochen das erste Mal auffällig geworden war.
Am 10. Januar war der etwa zweijährige Rüde über die Freundin des Opfers hergefallen, als diese beim Gassigehen wegen Eisglätte gestürzt war. Auch die 31-Jährige trug Bissverletzungen an den Armen davon. Tragisch: Sie wurde just an dem Tag aus dem Krankenhaus in Boberg entlassen, als das Unglück mit ihrem Freund passierte.
So extreme Fälle werden auch im Klinikum in Boberg selten eingeliefert
Wie unsere Redaktion erfahren hat, soll der Kampfhund der Rasse American Bully XL dem Geesthachter Halter in einer schwierigen Lebenslage zuvor viel Halt gegeben haben. Das könnte eine Erklärung sein, weshalb er nach dem Vorfall am 10. Januar weiterhin an ihm festgehalten hat. Züchter verlangen für einen Welpen bis zu 2000 Euro. Ausgewachsen wiegen American Bullys XL bis 50 Kilogramm.
Das BG Klinikum in Boberg ist seit über 60 Jahren eine Top-Anlaufstelle in Sachen Hand- und Plastischer Chirurgie. 1963 wurde hier deutschlandweit die erste eigene Abteilung für dieses Spezialgebiet gebildet, sie heißt mittlerweile Abteilung für Hand-, Plastische und Mikrochirurgie. Menschen mit derartig extremen Verletzungen durch Hundebisse würden selten eingeliefert, erklärt Chefarzt Dr. Klaus-Dieter Rudolf. Im vergangenen Jahr seien es drei gewesen.
Wobei Menschen, die gebissen wurden und deswegen gesundheitliche Probleme bekommen haben, drei bis viermal in der Woche eingeliefert würden. Denn auch Meerschweinchen schnappen mal zu. „Da ist das Problem dann die Infektion“, sagt Dr. Klaus-Dieter Rudolf.
Eine Besonderheit der Verletzungen durch Hunde, besonders durch große, schwere Exemplare, ist das massive Reißen und Schütteln, nachdem sich der Hund festgebissen hat. „Dadurch entstehen zerfetzende Verletzungen“, erklärt Dr. Klaus-Dieter Rudolf. Die Hunde machen es genau wie Wölfe, die die gepackte Beute tot schütteln. Das Verhalten ist angeboren und wird auch im Spiel trainiert.
Infektionen durch Bakterien auch dann, wenn sich die Wunde geschlossen hat
Je nach Art der Schädigung können Transplantationen notwendig werden. Wenn gut durchblutete Muskulatur offen liegt, lässt sich die Wunde mit bis zu 0,5 Millimeter starker Spalthaut reparieren, bei tiefgehenden Verletzungen mit offenliegenden Sehnen oder sogar Knochen reicht das nicht mehr. Dann wird die Technik der Lappenplastik notwendig, wie sie auch bei Unfallopfern angewendet wird. Das Annähen unter dem Mikroskop kann bis zu sechs Stunden dauern.
Ein weiteres Problem: Die Eckzähne dringen tief ein, unter Umständen können Bakterien eindringen. Auch solche, die keinen Sauerstoff benötigen. So entstehen auch dann noch gefährliche Infekte, wenn sich die Wunde bereits wieder geschlossen hat.
Polizei hat Ermittlungen eingestellt – alles weitere ist Sache des Ordnungsamtes
Die Polizei hat derweil die Ermittlungen eingestellt. Ein weiteres Vorgehen wäre Sache des Ordnungsamtes – sofern es das angesichts der Umstände überhaupt anstreben wird. Der Hund trug im Wald am Haferberg weder Maulkorb noch war er angeleint, obwohl die Auflagen es nach dem Angriff am 10. Januar vorsahen.
Der Fachdienst öffentliche Sicherheit der Stadt Geesthacht betont, die gesetzlichen Möglichkeiten gegenüber dem Halter und der Haltung des Kampfhundes umfänglich ausgeschöpft und seine Pflichten ausnahmslos wahrgenommen zu haben. So enthalte das Hundegesetz keine Vorgaben, dass angeordnete Maßnahmen zu kontrollieren seien.
Hundehalter versicherte ausdrücklich, Auflagen einzuhalten
„Zudem hätte es auch keine Hinweise darauf gegeben, dass der Hundehalter die Maßnahmen nicht einhalten würde. Die angeordneten Maßnahmen wurden ihm im persönlichen Gespräch erläutert und per Bescheid zugestellt. Den Erhalt hat er schriftlich quittiert und mündlich in einem vor der persönlichen Übergabe des Bescheides geführten Telefonat ausdrücklich versichert, dass er die Auflagen einhalten werde“, teilt der Fachdienst auf Nachfrage mit.
Darüber hinaus hätten sich die Kontrollmöglichkeiten in diesem Fall besonders schwierig gestaltetet, erläutert die Verwaltung. Denn: „Angeordnet worden sind als Sofortmaßnahme vom Ordnungsamt eine Leinen- und Maulkorbpflicht, die sich sogar in Teilen auf Innenräume bezog. Der Hund musste auch in Innenräumen einen Maulkorb tragen, wenn über den Haltenden hinaus weitere Personen mit im Raum waren.“
Ordnungsamt hat kein Zutrittsrecht zur Wohnung, um Auflagen zu kontrollieren
Das Problem dabei: Mitarbeiter des Ordnungsamtes hätten jedoch kein generelles Zutrittsrecht zu Wohnungen, das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung bliebe auch im Rahmen des Hundegesetzes grundsätzlich bestehen. Eine „Rund-um-die-Uhr“-Kontrolle durch Rathausmitarbeiter, ob die Leinen- und Maulkorbpflicht draußen eingehalten werde, sei nicht möglich.
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Zudem habe der Vorfall am 10. Januar im privaten Umfeld des Hundehalters stattgefunden. In diesem Fall gab es deswegen – anders als es meistens der Fall sei – keinen Außenstehenden, der eine Anzeige aufgegeben hat und somit niemanden, dem die Auflagen hätten mitgeteilt werden dürfen und der dann seinerseits der Behörde Hinweise auf Verstöße hätte geben können.