Geesthacht. Für die 45 Jahre alte Schwarzenbekerin hat ein neues Leben begonnen. Wie sie es geschafft hat, so viel Gewicht zu verlieren.
Manchmal hüpft Nicole Nwaokoro einfach so durch den Park. Das mag banal klingen, ist es für die Schwarzenbekerin aber nicht. „Ich hatte noch nie so eine Lebensqualität“, sagt sie und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Es ist noch gar nicht lange her, da konnte sich die 45-Jährige nicht einmal die Socken alleine anziehen. „Das mussten meine Kinder machen. Wenn ich dran denke, kriege ich eine Gänsehaut“, ergänzt die zweifache Mutter. Was Nwaokoro heute nicht anzusehen ist: Bis vor 2,5 Jahren hat sie bei einer Körpergröße von 1,67 Meter noch 197 Kilogramm gewogen. Jetzt sind es 61 – Normalgewicht.
Die anderen 136 Kilo hat sie nach einer Magenverkleinerung im neuerdings zertifizierten Adipositas-Zentrumdes Johanniter-Krankenhaus Geesthacht und einer strikten Nahrungsumstellung abgenommen. „Das geht aber nur, wenn der Kopf mitmacht. Der wird ja nicht mit operiert“, betont Nicole Nwaokoro. Ihr Body-Mass-Index (BMI) sank von 71 auf 22. Zur Einordnung: Als fettleibig (adipös) gilt man ab einem BMI von 30. Und die Kleidergröße reduzierte sich von 62 auf 36. Anders ausgedrückt: „Ich kann das erste Mal in meinem Leben Klamotten kaufen, die mir wirklich gefallen und nicht bloß passen.“
Abnehmen nach Magenverkleinerung
Nicole Nwaokoro litt bereits als Kind an Adipositas. „Das ist eine Krankheit. Denn essen müssen sie, und der Hunger kommt auch zurück. Das ist etwas anderes als etwa Nikotin, bei dem eine rein psychologische Abhängigkeit besteht“, stellt Oberärztin Michaela Nyström vom Adipositaszentrum Geesthacht klar und ergänzt: „Aber die ist in der Gesellschaft nicht anerkannt.“
Nyström verweist auf eine Studie aus Kalifornien/USA, bei der Kindern Bilder gezeigt wurden von Menschen mit körperlichen Behinderungen, mit Down-Syndrom und starkem Übergewicht. „Sie sollten sagen, mit wem sie gerne befreundet sein wollen. Die adipösen Kinder wurden immer zuletzt gewählt. Das kratzt an deren Selbstbewusstsein“, so Nyström.
Die genaue Ursache für Adipositas haben die Forscher noch nicht entdeckt. „100 verschiedene Genorte sind zuständig in Verbindung mit dem Nervensystem. Und Körper und Geist kann man auch nicht zu 100 Prozent voneinander trennen“, ergänzt Nyström. Es gebe auch adipöse Menschen, die sich gesund ernährten.
Ihre Patientin aus Schwarzenbek war bereits mit sechs Jahren das erste Mal zur Kur – ohne Erfolg. „Seitdem ich 15 bin, habe ich immer über 100 Kilo gewogen. Und ich war mein ganzes Leben lang immer auf Diät. Mal habe ich 50 Kilo alleine abgenommen, hatte dann aber wieder 80 Kilo drauf. Irgendwann frisst man sich einen Panzer an“, berichtet Nicole Nwaokoro.
„Ich konnte keine 100 Meter am Stück laufen“
Es habe Zeiten gegeben, als sie sich auch mit 120 Kilogramm noch ganz wohlgefühlt habe. Allerdings nahmen mit der Zeit die Begleiterscheinungen zu. Allgemein weit verbreitet sind hoher Blutdruck und Zuckererkrankungen, bei der Schwarzenbekerin waren es Rückenschmerzen und ständige Muskelkrämpfe. „Ich konnte keine 100 Meter mehr am Stück laufen und bin nicht mehr rausgegangen. Sie glauben auch nicht, wie viele neue Klobrillen ich schon kaufen musste, weil die mein Gewicht nicht gehalten haben. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Denn was ist das für ein Leben?“, fragt Nwaokoro.
Sie vereinbarte einen Termin im Zentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie am Johanniter-Krankenhaus in Geesthacht. Das ist die einzige Fachabteilung dieser Art der Region. Die nächsten Anlaufstellen sind Lübeck, Lüneburg und Hamburg-Eilbek. „Wir haben auch Patienten aus Bergedorf. Die Nähe zum Wohnort ist wichtig, weil ja gerade viele eine eingeschränkte Mobilität haben“, sagt Dr. Frank Templin, der Leiter des Kompetenzzentrums.
Adipositas-Zentrum jetzt mit Qualitätszertifikat
Dieses gibt es zwar seit 2006, doch erst kürzlich gab es das Qualitätszertifikat, sprich eine Beurteilung der angebotenen Leistungen. Abläufe, personelle Ausstattung, Qualifikation der Mitarbeiter, Patientenzahl und die Ergebnisse der Arbeit wurde über einen dreijährigen Zeitraum beobachtet und für gut befunden.
Inzwischen gibt es rund 100 Operationen pro Jahr. Für das Krankenhaus ist die Abteilung ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Die Eingriffe sind in der Regel Magenverkleinerungen oder ein Magenbypass. „Das Ziel der OP ist immer die anschließende Gewichtsreduktion“, betont Frank Templin.
Krankenkassen übernehmen Kosten, wenn die Patienten alle Prozesse durchlaufen haben
Bevor zum Skalpell gegriffen werden kann, muss zunächst nachgewiesen werden, dass andere Methoden zu keinem Erfolg geführt haben: Ernährungsberatung, Sportprogramm, Verhaltenstherapie. Zum Team in Geesthacht gehören etwa ein Ernährungsberater, der Anleitungen zur Nahrungsumstellung gibt, und eine Diätassistentin, die auf die Nahrungszubereitung spezialisiert ist.
„Der Patient muss auch Nachweise erbringen, dass er Sport getrieben hat, etwa mit einem Stempel vom Sportstudio. Und wenn die Patienten diese Prozesse alle durchlaufen haben, übernehmen auch die Krankenkassen die Kosten der Operation“, sagt Fachkoordinatorin Katja Badke, die für Dr. Templin „das Herz unserer Abteilung“ ist.
Fürs MRT in eine Tierklinik
Bei Nicole Nwaokoro dauerte die Vorbereitung vier Monate. Schon der Beginn war allerdings hart fürs Selbstbewusstsein. „Für das MRT musste ich in eine Tierklinik nach Hannover“, berichtet die gelernte Restaurantfachfrau. In normale Geräte passte sie nicht hinein. „Viele Patienten bekommen auch keinen Zahnarzttermin mehr, weil sie zu schwer für die Stühle sind“, ergänzt Katja Badke. Nach der Magenverkleinerung am 21. Juni 2021 begann jedoch erst die richtige Arbeit für Nicole Nwaokoro: die Nahrungsumstellung samt Gewichtsverlust und Muskelaufbau.
Während ein normaler Magen ein Fassungsvermögen von zwei bis zweieinhalb Litern hat, sind es nach einer Verkleinerung gerade noch 150 Milliliter. „Die Portionen pro Mahlzeit werden nach der Operation extrem klein“, sagt Oberärztin Nyström. Am Anfang sind es vielleicht 40 Gramm oder umgerechnet sechs bis zehn Teelöffel. Die Patienten müssen häufiger essen und können auch nicht mehr ausreichend Nährstoffe aufnehmen. Letztere werden durch spezielle Kaudragees zugeführt.
Erfolgsquote zwischen 70 und 90 Prozent
„Die Erfolgsquote für einen dauerhaften Gewichtsverlust liegt nach internationalen Zahlen zwischen 70 und 90 Prozent. Wir haben es mit Menschen zu tun, deshalb kann es Rückfälle geben“, sagt Michaela Nyström. Und Frank Templin ergänzt: „Wenn sich der Patient an die Ernährungs- und Bewegungstherapie hält, ergibt sich nur eine minimale Rückfallquote.“ Ein Erfolg gehe aber nun mal mit der Umstellung der Lebensweise einher. Dafür gibt es bei den Johannitern eine umfangreiche Nachbetreuung mit bis zu fünf Terminen jährlich.
Doch selbst, wenn eine Magenverkleinerung dauerhaft keinen Erfolg bringe, gibt es noch andere medizinische Ansätze. „Bei einer erneuten Gewichtszunahme kommen weitere minimalinvasive Operationsverfahren zum Einsatz, um eine langfristige Gewichtsreduktion zu erzielen“, sagt Frank Templin.
Überzählige Haut am Bauch entfernt
Bei Nicole Nwaokoro ist das nicht notwendig. Bei ihr hat es Klick gemacht. Sie läuft mit dem Hund oder geht neuerdings auch zum Tanzen. „Ein Urlaub, mal ins Eiscafé oder zum Dom – mir bieten sich jetzt so viele neue Möglichkeiten“, strahlt die Schwarzenbekerin, die allerdings einräumt, dass ihr Kopf bei der einschneidenden Veränderung manchmal nicht mitkomme. „Ich sehe manchmal noch mein dickes Ich. Auch meine Kinder, die total stolz auf mich sind, sagen: ,Du bist zwar unsere Mama, aber wir denken noch an das runde Gesicht.‘“
Die körperliche Veränderung bei Nicole Nwaokoro ist inzwischen so groß, dass Katja Badke Nicole sie nicht erkannte, als sie kürzlich wieder vorstellig wurde. „Ich bin an ihr vorbeigerannt“, sagt sie. Derzeit hat die Patientin eine Bauchdeckenstraffung in Geesthacht vornehmen lassen. Alleine die entfernte Haut wog schon drei Kilogramm. Die OP ging nicht ohne Komplikationen vonstatten, inzwischen lag sie deshalb viermal unter dem Messer. Ein so starker Gewichtsverlust ist also kein Zuckerschlecken. Zumal weitere Straffungen der Haut am unteren Rücken und den Beinen im kommenden Jahr folgen sollen.
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„Ich habe lange überlegt, ob ich mit meiner Geschichte und den Bildern an die Öffentlichkeit gehen soll. Aber vielleicht kann ich so ja jemandem helfen und Mut machen“, sagt Nicole Nwaokoro. Allein um im Park herumspringen zu können, dafür hätte sich der Aufwand gelohnt.
Kontakt zum Adipositas-Zentrum Geesthacht: Katja Badke, Telefon 04152/17 94 12 oder Mail an katja.badke@gst.johanniter-kliniken.de