Lüneburg. Norddeutschlands beste Wasserrutscher trafen sich im Lüneburger SaLü. Reporter Sebastian Geschwill war dabei. Ein Erfahrungsbericht.
Ein Schwarzes Loch in Lüneburg? Gesichtet am 20. Januar? Falsch liegt man damit nicht. Zumindest ähnelt das der Aussicht, wenn die Augen den Blick nach unten wagen. Alles, was zu sehen ist, sind leuchtende LED-Balken, die sich in der Dominanz der Dunkelheit verlieren. Da ist Licht am Ende des Tunnels, denkt man sich. Licht am Ende der ersten Kurve, um genau zu sein. Was danach kommt, ist nicht zu sehen. Noch nicht.
Martin Petersmann, Mitarbeiter der Salztherme Lüneburg, weiß jedoch schon Bescheid. Er ist kein Anfänger mehr, auch wenn er das selbst nicht so recht zugeben möchte. Selbstbewusst steht er zwei Wochen vor Turnierbeginn am Eingang des Rutschturms. Sein Ziel: endlich die persönliche Bestzeit knacken. Und vorab für die Norddeutsche Meisterschaft im Wasserrutschen trainieren.
Die Wasserrutsche „Body2Racer“ inn Lüneburg ist 140m lang – und Schauplatz des Turniers
Einige Treppenstufen später ist der zwölf Meter hohe Turm erklommen, vor ihm liegt nun eine knapp 140m lange Rutschbahn. Genaugenommen sogar zwei, die parallel benutzt werden können, aber nicht identisch sind. Bevor er sich in eine der beiden hinabstürzt, deutet er auf ein Schild, das daneben angebracht ist. Es trägt die Aufschrift: „Die Rutsche ist ein Sportgerät“. Deswegen greift er professionell zu einem kleinen Handtuch, womit er seine Arme und die Rutschstange abtrocknet. „Dann habe ich besseren Grip“, erklärt er und gibt sich einen Ruck. Schon verschwindet er in den Tiefen der „Body2Racer“-Rutsche(n).
Grand-Prix-Modus wie in der Formel 1: Rutschen in Sekundenschnelle
Ein Monitor pro Rutsche ermöglicht es, den Rutschenden – besser: den Sportler – zu bewerten. Zumindest, was die Zeiten angeht. Auf die Hundertstelsekunde genau messen Lichtschranken die einzelnen Sektorenzeiten und addieren diese in Echtzeit zur Gesamtdauer auf. Das ermöglicht nicht nur einen Wettkampfmodus, in dem zwei Teilnehmer parallel gegeneinander antreten können – zusätzlich kommt dabei auch Formel 1-Feeling auf. Spätestens, wenn der Wettkampf-Button gedrückt wird und der „Imperial March“ aus Star Wars beim Rutschen erklingt.
Die Bestzeit liegt bei 17 Sekunden – und ist einer speziellen Technik zu verdanken
Die Musik nehme man allerdings nicht richtig wahr, betont Petersmann, als er unten angekommen ist. Zu sehr sei er konzentriert gewesen, keinen Fehler zu machen. Das ist ihm recht gut gelungen, weswegen ihn seine gerutschte Zeit auch zufriedenstellt. Mit etwa 21 Sekunden ist er von der Bestzeit jedoch noch vier Sekunden entfernt. Klingt wenig, ist es aber nicht.
Ähnlich sieht es bei der Technik aus – Petersmann wendet die Dreipunkt-Methode an. Der Name ist hier Programm, wie er kommentiert: „Im Optimalfall liegt man auf drei Körperpunkten in der Rutsche. Dazu zählen die beiden Schulterblätter und eine der beiden Fersen, die über die andere gelegt ist.“ Diese Hohlkreuz-Liegeposition mag nicht zwingend angenehm sein, orientiere sich aber an den Profis, berichtet er.
Dreipunkt-Technik oder Klappmesser – auf den Schwerpunkt kommt es an
Kim Oberlaender ist ebenso Rutsch-Expertin und arbeitet als SaLü-Sprecherin. Als eine der Organisatorinnen der Meisterschaft kennt sie sich ebenso mit der Rutschtechnik aus: „Nicht für jeden ist die Dreipunkt-Technik optimal, da es auf den Schwerpunkt ankommt. Frauen sind mit ihrem Körperbau im sogenannten Klappmesser schneller.“ Bei dieser Methode rutschen Frauen meist nach vorne übergebeugt und nur auf den Hacken und einer Pobacke, so Oberlaender.
Verliererdusche bestraft langsame Zeiten – und die falsche Wahl der Badehose
Doch nicht nur das spiele eine Rolle – auch die Wahl der richtigen Badehose sei nicht zu unterschätzen. Was auf den ersten Blick wie eine schlechte Ausrede für schlechte Zeiten klingt, entpuppt sich als logisches Konzept. Oberlaender: „Je weiter und größer die Badehose, desto mehr Widerstand durch das Wasser. Das sorgt dann für weniger Geschwindigkeit und für schlechtere Zeiten.“ Dieser Fehler sollte im Wettkampfmodus vermieden werden, so Oberlaender. Denn eine Niederlage kostet nicht nur Ruhm und Ehre: Wer langsamer rutscht, wird von der Verliererdusche im Auffangbecken nassgemacht.
Auf dem Spiel steht die Teilnahme am Deutschland-Cup 2024
Knapp zwei Wochen später ist es so weit – am 20. Januar ist der Turniertag gekommen. Etwa 100 begeisterte Kinder, Frauen, Männer und Profis sind angemeldet, die Salztherme Lüneburg ist voll. In diesen vier Kategorien wird auch gerutscht und je ein Gewinner ermittelt. Zu Beginn erhält jeder eine Teilnehmernummer, die kurzerhand per wasserfestem Filzstift auf den rechten Oberarm notiert wird.
So viele Menschen, die zu sehen sind – so viel steht auch auf dem Spiel: Drei Gewinner pro Kategorie fahren zum Finale des Deutschland-Cups 2024. Dafür sind drei Durchgänge je Röhre erlaubt, die besten vier der sechs Zeiten werden aufaddiert und nach Gesamtdauer bewertet. Die schnellsten Teilnehmer messen sich anschließend in einer entscheidenden Finalrunde mit je zwei Chancen pro Rutsche.
Der amtierende Deutsche Meister kommt aus Hamburg und ist erst 18
Petersmann kann aus organisatorischen Gründen nicht teilnehmen – dafür aber der Hauptfavorit: Cedric Köhnke ist als amtierender Deutscher Meister dieses Jahr erneut vor Ort und möchte sich für das Deutschlandcup-Finale qualifizieren. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg – zeitlich wie auch geographisch. Die Endrunde findet im November 2024 im südniedersächsischen Bad Lauterberg statt.
Zur Eröffnung des norddeutschen Turniers wünscht Petersmann allen einen „guten Rutsch“. Danach stürmen die ersten Teilnehmer Rutschturm hoch. Währenddessen nimmt Köhnke mit seiner Familie auf einer der Liegen Platz. Unschwer zu erkennen, dass er nicht allein ist: Begleitet wird er einerseits von Vater Andreas, der ebenfalls bei den Profis und damit gegen Cedric antritt. Und andererseits von seinem kleinen Bruder Lenny, der seinen Titel in der Kinderkategorie verteidigen möchte. Das Dreiergespann bildet eine Einheit, zumindest lässt das der äußere Eindruck vermuten. Man unterhält sich, lacht zusammen und gibt einander Ratschläge. Alle tragen ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „2Fast4You“ und ihrem Namen – eine unmissverständliche Kampfansage an die Konkurrenz.
Teilnehmer schätzen den Wettkampf – und nehmen dafür Strapazen auf sich
Diese tummelt sich inzwischen unmittelbar vor den Rutschen, im Turm herrscht leichtes Gedränge, Kinder rufen laut durcheinander. Die Anspannung ist spürbar, manche befinden sich in ihrem eigenen Tunnel. Andere hingegen verwickeln sich in Gespräche. Einer der erwachsenen Teilnehmer trägt das Tattoo eines süddeutschen Fußballvereins auf der Brust. Lange dauert es nicht, bis aus Neugier nachgefragt wird. Ursprünglich komme er aus Heidelberg, bestätigt er zum Verblüffen seiner Mitstreiter. Wiederum ein anderer Teilnehmer blickt ständig auf die Uhr, er arbeitet im Nachtdienst. Normalerweise schlafe er vormittags um diese Uhrzeit, um sich zu erholen.
Profis verfolgen unterschiedliche Herangehensweisen
Dafür ist jetzt jedoch keine Zeit. Im Eiltempo schießen sich die ersten Kinder in die beiden Röhren. Danach die Damen und die Herren. Zum Schluss sind die Profis an der Reihe. Dort ist auch die Herangehensweise ist ein Thema, das einige buchstäblich zu bewegen scheint. Erst dreimal die eine, dann dreimal die andere Rutsche? Oder immer abwechselnd? Die Meinungen sind verschieden: „Erstmal will ich mich auf eine Rutsche einschießen. So kann ich mich hoffentlich jede Runde verbessern“, meint einer der Männer. Ein anderer Profi sagt, er wechsle die Bahnen lieber ab, um die Konzentration hochzuhalten.
Alles für den guten Rutsch: Männer ziehen sich die Hosen hoch
Was sie jedoch vereint, sind die Starts: Zunächst fokussiert man sich, trocknet die Rutschstange ab, nimmt ordentlich Schwung und stürzt sich furchtlos hinab. Dabei erreichen Profis eine Geschwindigkeit von bis zu 20 Stundenkilometern. Tatsächlich ist noch eine weitere Kleinigkeit zu beobachten, die Oberlaender vorab andeutete: Wenn überhaupt ein Profi mit einer langen und weiten Herren-Badehose antritt, dann zieht er sie sich hoch. So weit, bis es nicht mehr geht. Für das Ziehen, Klemmen und Zurechtrücken ist sich offenbar niemand zu schade. Ganz nach dem Motto: Alles für den guten Rutsch.
Deutscher Meister frustriert und bescheiden: „Gönne es meinem Vater“
Und den haben die Köhnkes perfektioniert: Alle drei erreichen das Finale. Während Lenny die Kinderwertung mit einer Durchschnittszeit von etwas mehr als 19 Sekunden dominiert, kommt es im Finale zum Profi-Showdown mit Andreas Köhnke und Sohn Cedrik. Letzterer bleibt jedoch bescheiden und verrät dem Hamburger Abendblatt, er sei von Beginn an nicht ganz zufrieden gewesen.
Die spektakulärsten Wasserrutschen der Welt
Dieser Eindruck setzt sich im Finale fort, als er von seinem Vater knapp geschlagen wird. „Natürlich wollte ich gewinnen, aber ich gönne es meinem Vater absolut“, sagt Köhnke. An dessen Durchschnittszeit von 18,5 Sekunden kann er auch im Finale nicht anknüpfen. Andreas Köhnke landet folglich auf dem ersten Platz, der amtierende Deutsche Meister auf Platz Drei in der Profiwertung. Bei den Kindern siegt Lenny Köhnke deutlich und verteidigt damit seinen Titel.
Wasserrutschen als Sportart: Nicht nur Körper- und Kopfsache, sondern auch Übung
Warum es nicht gereicht hat, kann Cedrik Köhnke nicht genau sagen: „Im Training lief es bei mir tatsächlich besser. Heute hat es aber irgendwie nicht so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt hatte.“ Mal hänge es an der Tagesform, mal am eigenen Mindset, wie er zugibt. Auch die körperliche Ausdauer sei nicht zu unterschätzen, betont Köhnke: „Besonders wichtig ist es, den Po wirklich die ganze Zeit hochzuhalten. Das kann sehr anstrengend sein.“ Normalerweise gehe er bis zu fünfmal wöchentlich ins Fitnessstudio, auch der Schwimmbadbesuch darf nicht fehlen. Köhnke ergänzt: „Klar kann man auch viel über die Technik philosophieren, aber am Ende des Tages zählen hauptsächlich Kraft und Übung.“
Köhnke nimmt an vielen Turnieren teil – Preisgeld jedoch zweitrangig
Diese Übung holt sich Köhnke nicht nur im örtlichen Schwimmbad, sondern auch auf vielen Wettkämpfen. An etwa 25 Turnieren nimmt die Familie pro Jahr Teil, manchmal buchen sie dafür sogar einen Flug, so Köhnke. Das Preisgeld interessiert ihn eher wenig, dies gehe selten über eine Schwimmbadfreikarte hinaus. Der Reiz liege woanders: „Es ist einfach mal eine andere, aber tolle Sportart. Und es gibt immer Konkurrenz – man kann sich seines Sieges also nie sicher sein.“ Er fügt hinzu: „Wie man heute gesehen hat.“
Die Meisterschaft kennt viele Sieger – und zeigt, was die Sportart kann
Wasserrutschen sei nach wie vor eine Sportart, die sich unter dem Radar vieler bewege. Aber gleichzeitig „eine Sportart, die immer größer wird“. Zurzeit besucht der 18-Jährige die Oberstufe eines Hamburger Gymnasiums. Konkrete Pläne für die Zukunft habe er bisher kaum, lediglich den Sport wolle er „unbedingt weitermachen“ und „richtig durchziehen“.
Mittlerweile ist es bereits 18 Uhr, die Siegerehrung steht an und die Ergebnisse werden offiziell verkündet. Dabei blickt man in das ein oder andere enttäuschte Gesicht, die Mehrheit lacht allerdings. Gut möglich, dass es bei der Norddeutschen Meisterschaft in Lüneburg nicht (nur) um den Finaleinzug ging. Wichtiger schien es, den besten Freund zu besiegen, die persönliche Bestzeit zu knacken, am eigenen Ehrgeiz zu arbeiten und vor allem eins: Spaß zu haben. Wem der gute Rutsch an Silvester also nicht gelungen ist, hat es vielleicht jetzt geschafft.
PS: Reporter Sebastian Geschwill hat es ins Finale geschafft. Für das Treppchen reichte es diesmal (noch) nicht.